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Olympia 1972 in München: Als "heitere Spiele" im Terror untergingen


Olympia 1972
Als Münchens "heitere Spiele" im Terror untergingen

Von Marc von Lüpke

26.08.2022Lesedauer: 6 Min.
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Blutiges Attentat: Die Olympischen Spiele 1972 sollten bunt werden, doch endeten in einer Tragödie. (Quelle: t-online)

Deutschland zeigte seine "beste" Seite, ein Amerikaner holte Gold in Serie. Olympia in München hätte eine Erfolgsgeschichte werden können. Doch dann regierte der Schrecken.

Abergläubische Menschen hätten es für ein schlechtes Omen halten können. Da hatte das olympische Feuer den weiten Weg per Fackellauf aus dem griechischen Olympia bis nach München absolviert, doch was geschah wenige Stunden vor dem Beginn der Olympischen Sommerspiele in der bayerischen Hauptstadt? Das Feuer erlosch. Alles aus und vorbei? Zum Glück war eine "Ersatzflamme" vorhanden. Allen Versicherungen zufolge kam sie ebenfalls aus Griechenland.

So stand dem Beginn der Sommerspiele in Bayerns Hauptstadt nichts mehr im Wege. Mehr als 7.000 Athletinnen und Athleten aus über 120 Mannschaften sollten sich ab dem 26. August 1972 miteinander messen. Für die noch junge Bundesrepublik ging es aber um weit mehr, als nur erfolgreich dieses Sportereignis der Superlative durchzuführen.

Anders als die Nazis

Erst wenige Jahrzehnte waren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen, in dem Deutschland Europa mit Krieg und Zerstörung überzogen hatte. Dann war noch München als Austragungsort gewählt worden. Ausgerechnet! Die Stadt, die die Nationalsozialisten einst als ihre "Hauptstadt der Bewegung" bezeichnet hatten. Doch halt... Wo, wenn nicht in München, könnte die Bundesrepublik beweisen, dass sich das Land gewandelt hatte?

"Ein neues Kapitel im Geschichtsbuch der Deutschen zu schreiben, ein fröhliches, eines mit gutem Ausgang" – so beschreiben die Autoren Markus Brauckmann und Gregor Schöllgen in ihrem detailreichen und anschaulich geschriebenen Buch "München 72. Ein deutscher Sommer" die bundesrepublikanischen Bemühungen um die Ausgestaltung der Olympischen Spiele. Personifiziert wurde all dies von einem Menschen: Willi Daume. Seines Zeichens der "führende Sportfunktionär in der Bundesrepublik", wie der Regisseur Brauckmann und der Historiker Schöllgen ausführen.

Daume war es dann auch, der "Olympia" in die Hand nahm. Und das unwillige München mit seinem sozialdemokratischen Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel von der Idee überzeugte. 1966 erhielt die Stadt den Zuschlag vom Internationalen Olympischen Komittee, dann fing die Arbeit erst richtig an. Vor allem für Daume. Urlaub? Gestrichen! Das heimische Bett? Nichts da, Daume nächtigte bei der Arbeit. Bald genoss der Sportfunktionär einen Ruf als "Spinner", aber eben als ein schlauer.

Denn Daume machte aus den Olympischen Spielen 1972 in München das Gegenteil zu Olympia 1936 in Berlin, mit denen sich die braunen Machthaber vor der Welt aufgespielt hatten. "Heiter, leicht, dynamisch, unpolitisch, unpathetisch, frei von Ideologie", so lautete der Plan. In gewisser Weise war Daume genau der richtige Mann für den Job. Denn 1936 war der alles andere als systemferne Daume bereits für Deutschlands braune Machthaber in Berlin aufgelaufen. Allerdings nicht in seiner Paradedisziplin Handball, sondern als Basketballer. Wer hätte besser einen Kontrast schaffen können?

Premiere für die DDR

Aber den bundesrepublikanischen Olympiaplanern machte nicht nur die nationalsozialistische Vergangenheit zu schaffen, sondern auch die politische Gegenwart. Denn es existierten eben zwei deutsche Staaten, einander in aufrichtiger Antipathie zugewandt. Die Mathematik war der SED dabei gewogen, denn wie ihre Funktionäre spotteten, ist "2 x '36" tatsächlich "72". Die "Logik" dahinter: Die Bundesrepublik würde Olympia 1972 entsprechend als propagandistische Veranstaltung missbrauchen, so wie einst die Nazis Olympia 1936.

Dabei hatte der Arbeiter-und Bauernstaat 1972 eigentlich allen Grund zur Freude. Mehrmals waren west- und ostdeutsche Athletinnen und Athleten zuvor gemeinsam bei Olympia angetreten, was reichlich Kompromisse erzwungen hatte. So erklang bei einem Medaillengewinnen nicht etwa die west- oder ostdeutsche Nationalhymne, sondern stattdessen die "Ode an die Freude" von Ludwig van Beethoven. Auch sehr schön, aber auf Dauer kein Zustand. 1972 durfte das DDR-Nationalteam dann zum ersten Mal mit eigener Flagge und Hymne antreten.

Einen entsprechenden Regen aus Gold, Silber und Bronze erhofften sich die Parteibonzen. Einige Seitenhiebe auf die braune Vergangenheit der westdeutschen Systemkonkurrentin inklusive. Was in der Realität gar nicht so einfach war. Denn der Organisator Daume hielt sich streng an die Auflage "heiterer" Spiele. Und hatte eine Art Ass im Ärmel.

Denn als "Gestaltungsexperte" der Spiele wurde niemand anderes als Otl Aicher berufen, der Schwager von Hans und Sophie Scholl – das Geschwisterpaar, das als Angehörige der Weißen Rose Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet hatte und für seine Überzeugung in den Tod gegangen war. "Es kommt weniger darauf an, zu erklären, dass es ein anderes Deutschland gibt, als es zu zeigen", zitiert das Autorenduo Brauckmann/Schöllgen Aicher.

Ein Amerikaner wird zum Superstar

Am 26. August 1972 zeigte sich, dass sich die vereinten Anstrengungen der Bundesdeutschen gelohnt hatten. Zum Sinnbild und als eine Verheißung auf "heitere" und erfolgreiche Spiele avancierte das neue Olympiastadion mit seinem auffälligen Zeltdach. Ähnlich beeindruckend geriet das Olympische Dorf, das einladend und gastlich auf die Sportlerinnen und Sportler aus aller Welt wirken sollte. 12.000 Menschen fanden dort Unterkunft, unbehelligt von allzu scharfen Sicherheitsmaßnahmen. Was sich noch als verhängnisvoll erweisen sollte.

Zunächst aber wetteiferten die Sportler um Medaillen. Das erste Gold holte ein Sportschütze, der Schwede Rangnar Skanåker. Wenn eine olympische Leistung von München 1972 der Nachwelt aber in Erinnerung blieb, dann fand diese im nassen Element statt. Es wurden die Spiele des Mark Spitz, halb Mensch, halb Fisch. Am 28. August, einem Montag, ging es los. Der Amerikaner Spitz holte sich gleich zweimal Gold: 200 Meter Schmetterling und viermal 100 Meter Freistil in der Staffel. Mit seiner Figur und dem Schnäuzer wurde Spitz der Liebling der Damenwelt.

Später folgte das dritte Gold, 200 Meter Freistil, auch seine weiteren Auftritte bei 100 Meter Schmetterling und viermal 200 Meter Freistil mit der Staffel vergoldete Spitz. Fünfmal Gold, die Zuschauer waren begeistert. Dann folgte 100 m Freistil, am 4. September schließlich die siebte Goldmedaille: viermal 100 Meter Lagen. Als Spitz gesiegt hatte, applaudierte das Publikum mehr als eine Viertelstunde lang. Es sollte ein Höhepunkt der "heiteren" Spiele sein. Die am nächsten Tag vorbei sein sollten.

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In den Morgenstunden des 5. Septembers überwand eine Gruppe von Männern den Zaun, der das Olympische Dorf von der Außenwelt trennte. Keine große Sache, sondern eher ein vertrautes Ritual für die Zeugen, die diese Szenen beobachteten. Denn schon seit Beginn der Spiele herrschte ein reges Kommen und Gehen über den Zaun. Alles harmlos. Diese spezielle Gruppe führte aber nichts Gutes im Schilde. Es waren palästinensische Terroristen.

Terror im Olympischen Dorf

Die Unterkunft des israelischen Nationalteams war ihr Ziel, schnell vergossen die Angreifer Blut. Ihr erstes Opfer war Mosche Weinberg, der Trainer der Ringer, dann wurde der Gewichtheber Josef Romano schwer verwundet – und sich selbst zum Sterben überlassen. "Hoffentlich passiert in dieser Woche nicht noch eine Schweinerei", hatte Bundeskanzler Willy Brandt zuvor noch seinen düsteren Ahnungen Ausdruck verliehen. Nun war der Ernstfall eingetreten.

Die Katastrophe nahm ihren Lauf, denn auf einen Terrorakt waren die Sicherheitsorgane alles andere als vorbereitet. Hätten es aber sein können. Der Psychologe Georg Sieber hatte im Vorfeld der Spiele ein Szenario skizziert, wie es dann traurige Realität werden sollte: eine Attacke von Palästinensern auf jüdische Teilnehmer, wie Brauckman und Schöllgen schreiben. Die Verantwortlichen, darunter der Polizeipräsident Münchens, befanden Siebers Warnung als "unrealistisch".

So wurde der Terror dann Realität. Erst mit den zwei ermordeten israelischen Sportlern im Olympischen Dorf, dann mit neun weiteren toten Israelis auf dem Militärflughafen Fürstenfeldbrück. Die Terroristen wurden samt Geiseln dorthin ausgeflogen, dann entschlossen sich die deutschen Sicherheitskräfte zum Zugriff, planlos, ohne Konzept. Rund 90 Minuten dauerte das folgende Feuergefecht, am Ende waren fünf Terroristen tot, ein Polizist und die neun israelischen Geiseln. Als "schlimmste Nacht der Bundesrepublik" bezeichnete der "Spiegel" die Ereignisse.

"Heiter", dieses Wort sollte in Willi Daumes Wortschatz nicht mehr vorkommen. "Sie haben uns die Seele aus dem Leib geschossen", bekannte er. Im Olympiastadion hat er später gesprochen, vor Schmu’el Lalkin, der das israelische Team anleitete. Lalkin bedankte sich für den "Einsatz" der deutschen Sicherheitskräfte, dann reiste das israelische Team ab. Die Spiele waren für sie vorbei. Für alle anderen aber noch lange nicht.

"Eine üble Nummer"

"The games must go on", verkündete Avery Brundage als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees anschließend: "Die Spiele müssen weitergehen". Wie Willi Daume hatte auch der Amerikaner eine Art "braune" Vergangenheit. Als die USA 1934 einen Boykott der Olympischen Spiele 1936 in Berlin erwogen, schickten sie Avery Brundage nach Deutschland. Der beide Augen fest vor dem Antisemitismus der Nationalsozialisten verschloss. Dieser Mann plädierte nun für eine Fortführung der Spiele.

Uli Hoeneß vom FC Bayern sah das anders: "Man kann doch nicht zuerst um ermordete Menschen weinen und dann wieder in Jubel ausbrechen." Holger Geschwindner vom deutschen Basketball-Nationalteam befand: "Eine üble Nummer". Am besten verlieh aber ein Rentner dem Ende der Olympischen Spiele von München Worte: "Ich bin Münchener und habe Angst. Dass uns die ganze Welt verabscheut, weil wir die heitersten Spiele und das schrecklichste Ende überhaupt geschafft haben."

Bis heute dauert dieses "Ende" an. Am kommenden 5. September soll eine zentrale Gedenkveranstaltung an die Ermordeten stattfinden. Ihre Angehörigen haben die Teilnahme abgesagt. In einem Brief an den bayerischen Regierungschef Markus Söder werfen sie Deutschland "50 Jahre Schmähung, Lügen, Erniedrigung und Abweisung durch die deutsche Regierung und insbesondere bayerische Behörden" vor. Brauckmann und Schöllgen stellen dabei klar, dass es etwa Ankie Spitzer, der Witwe eines ermordeten Sportlers, nie ums Geld ging. Sondern um die Anerkennung von Schuld.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Markus Brauckmann, Gregor Schöllgen: "München 72. Ein deutscher Sommer", München 2022
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