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Franca Lehfeldt: "Natürlich bin ich leidenschaftlich gerne Frau"


Buch über alte, weiße Männer
"Man muss doch fragen, warum sind die da?"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

12.03.2023Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Franca Lehfeldt (links) und Nena Brockhaus: Sie haben sich für ihr neues Buch mit alten Männern unterhalten.Vergrößern des Bildes
Franca Lehfeldt (links) und Nena Brockhaus: Sie haben sich für ihr neues Buch mit alten Männern unterhalten. (Quelle: Luca Geselle)

Die Journalistinnen Franca Lehfeldt und Nena Brockhaus haben ein Buch geschrieben, das provozieren soll: "Alte weise Männer". Warum? Was treibt die beiden an?

Nena Brockhaus kommt zu spät zum Interview per Video. Die Kamera lässt sie ausgeschaltet und entschuldigt sich: Erst vor ein paar Wochen habe sie ein Baby bekommen, noch laufe es turbulent. Franca Lehfeldt plaudert in der Zeit aufgeschlossen, blickt aber auf die Uhr: In einer Stunde beginnt die Aufnahme einer Nachrichtensendung, die sie moderiert.

Kein Problem, darum soll es schließlich gehen: Die Herausforderungen, heute Frau zu sein – und warum die beiden jungen Frauen ein Buch geschrieben haben, das sich ganz um Männer dreht. Konkreter: alte weiße Männer. Von Mario Adorf über Lehfeldts Vater, Claus-Holger Lehfeldt, ihre Mentoren, die Journalisten Stefan Aust und Heiner Bremer, bis hin zu Schauspieler Heiner Lauterbach versammeln sie unterschiedliche Männer in ihrem Buch, lassen sie ausführlich sprechen. Das trägt den Titel: "Alte weise Männer".

Ein Gespräch über Alice Schwarzer, Wolfgang Kubicki, Demut und Provokation.

Zu den Personen

Franca Lehfeldt, 33 Jahre alt, ist Chefreporterin für Politik bei der "Welt". Deutschlandweit bekannt wurde sie, als sie im Sommer 2022 Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) heiratete.

Nena Brockhaus, geborene Schink, 30 Jahre alt, moderiert die Talkshow "Viertel nach acht" bei Bild TV. Sie hat drei Bücher geschrieben: "Unfollow", "Pretty Happy" und "Ich bin nicht grün: Ein Plädoyer für die Freiheit".

t-online: Sie sind beide Frauen Anfang 30 und lassen sich in Ihrem Buch von alten Männern die Welt erklären. Haben Sie das überhaupt nötig?

Nena Brockhaus: Das täte unserer Generation insgesamt ganz gut. Gerade als Journalistin erlebe ich in meiner Branche Gleichaltrige, die noch nie einen Arbeitsplatz für jemand anderen geschaffen haben, die kein bahnbrechendes Patent erfunden haben, die keine Verantwortung für Kinder tragen, aber mit größter Selbstgewissheit ihre zumeist linke Weltsicht verbreiten. Unser Buch ist Ausdruck von Demut und zugleich eine Provokation.

Franca Lehfeldt: Das Grundanliegen der Frauenbewegung unterstützen wir. Aus der Frauenbewegung ist aber Identitätspolitik geworden, die ein Feindbild brauchte – den "alten weißen Mann". Es ist eben leichter, sich gegen etwas zu definieren als eigene Werte zu setzen. Wir wollen mit dem Buch ein Zeichen setzen, dass innere Überzeugungen nichts mit dem Alter oder Geschlecht zu tun haben. Daher haben wir dieses Feindbild für unser Buch umdefiniert und mit "alten weisen Männern" gesprochen: Die sind mindestens 70 Jahre alt, haben Erfahrung, ein festes Wertesystem und bekennen sich zum Leistungsprinzip.

Aber der "alte weiße Mann" ist doch weniger ein Feindbild als ein Begriff, der – natürlich plakativ – immer noch herrschende Machtverhältnisse beschreibt.

Brockhaus: Bildlich gesprochen denkt man, wenn man manche Debatten dazu hört: Da sitzen also Männer in den Chefetagen, die die Tür zuhalten. Das ist doch absurd. Natürlich gibt es viele einflussreiche Männer. Man muss doch fragen, warum sind die da? Und was tun die?

Lehfeldt: Ich fürchte sogar, dass manche Führungskraft heute mit Diversity davon ablenken will, dass ihre Zahlen ansonsten nicht stimmen. Diversity ist ein wichtiges Ziel, aber doch nicht wichtiger als Leistung.

Es geht mir nicht um Schuldzuweisungen, sondern um Fakten. Sie schreiben in Ihrem Untertitel, der "alte weise Mann" sei eine "bedrohte Spezies". Aber nehmen wir den Bundestag: Von 735 Abgeordneten sind nur 256 Frauen – das sind gerade einmal 34 Prozent. Auch in den Medien sind Chefredakteure noch immer in der Überzahl, dasselbe gilt für die Leitungsebene in großen Konzernen.

Brockhaus: Aber daran ist doch nicht der "alte weiße Mann" schuld.

Das habe ich auch gar nicht behauptet. Systemisch ist es aber so, dass der "alte weiße Mann" weiterhin in den Schlüsselpositionen der Macht am stärksten vertreten ist.

Lehfeldt: Es gibt ein strukturelles Aufholbedürfnis, das stellen wir nicht in Abrede. Was wir hinterfragen, das sind moralische Bewertungen und die Wege, wie wir dieses Ungleichgewicht überwinden. Ich glaube nämlich nicht, dass Männer Frauen systematisch behindern, nach oben zu kommen. Deshalb werben wir dafür, den Blick vom Kollektiv auf das Individuum zu richten. Die zehn Männer, die wir gesprochen haben, sind Männer, die sich schon für Frauenförderung starkgemacht haben, als es den Begriff noch gar nicht gab.

Brockhaus: Ich sehe das sogar härter. Wir haben mit Männern gesprochen, die Pioniere auf ihren Feldern sind. Ohne die Arbeit von Thomas Strüngmann zum Beispiel hätten wir heute vermutlich keinen Impfstoff gegen das Coronavirus. Aber in Interviews interessiert niemanden, was diese Männer zu sagen haben. Es geht nur darum, dass es ausschließlich Männer sind.

Der Gegenwind könnte auch daran liegen, dass Sie eben nicht nur am Individuum entlang argumentieren. Eine Ihrer Hauptthesen ist schließlich, dass der "alte weiße Mann" die "Personifizierung von Tugenden wie Leistungswille, Opferbereitschaft, Pflichterfüllung und Disziplin" sei. Dabei erledigen Frauen den Hauptteil der Sorgearbeit, oft mit doppelter Belastung, weil sie auch berufstätig sind – und zu schlechterer Bezahlung. Ist Ihre Ausgangsthese nicht ein Schlag in die Gesichter des eigenen Geschlechts?

Brockhaus: Überhaupt nicht, denn Ihre Frage ist ja ein rhetorischer Trick. Nur weil wir bestimmten Männern Eigenschaften zuschreiben, sprechen wir den Frauen ja nichts ab. Alte weiße Männer aber sind für die Twitter-Trends ein gern genommenes Feindbild – alleinerziehende Mütter nicht. Und uns geht es darum, der Debatte einen Spiegel vorzuhalten.

Den rhetorischen Trick wenden allerdings Sie gerade an. Denn es geht in Ihrer Definition ja nicht um bestimmte Männer, sondern den "alten weißen Mann" an sich – und eine "Personifizierung" sagt eben: Der steht mehr als andere für diese Tugenden.

Lehfeldt: Diejenigen, die den alten weißen Mann zu einer Kategorie gemacht haben, haben ihm doch Eigenschaften zugewiesen? Wir weisen nur darauf hin, dass man diese Männer auch grundsätzlich anders sehen kann.

Woran genau machen Sie fest, dass der "alte weiße Mann" ein Feindbild der Gesellschaft ist?

Lehfeldt: Man muss unterscheiden zwischen medialen Debatten und der Bevölkerung in der Breite. In vielen Medien herrscht Gendersprache, die weit überwiegende Mehrheit des Landes lehnt das ab. Unterschiede bei der Bezahlung, die sich nicht erklären lassen, lehnt jeder ab, der bei Trost ist. Aber auf Events für Frauen-Empowerment dient immer der Mann als Feindbild, nach dem Motto: Wir müssen uns gegen den Mann verbrüdern, der Mann hat uns aufgehalten, Männer sind besonders rücksichtslos. Diese Beobachtung ist verdammt bequem, aber falsch.

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Brockhaus: Zumal man gerade nicht sagen kann, dass Frauen automatisch Frauen fördern. Ich selbst bin von männlichen Vorgesetzten gefördert worden. Unter Kolleginnen werden die Ellbogen besonders gerne nach Bussi und Lächeln eingesetzt. Und nun werden die letzten Männerclubs für Frauen geöffnet, aber im selben Moment entstehen Veranstaltungen exklusiv nur für Frauen.

Sie sagen selbst, dass es Aufholbedarf in der Gesellschaft gibt. Warum sollten Frauen sich dann nicht in Gruppen, die nur Frauen offenstehen, vernetzen?

Lehfeldt: Wir sind keine Event-Polizei, die sagt, was erlaubt ist und was nicht. Aber es wirkt doch sehr nach dem Motto: In der Hinrunde kamen die Männer zum Zug, in der Rückrunde sind es jetzt die Frauen.

Würden Sie sich selbst als Feministinnen bezeichnen?

Lehfeldt: Ich bezeichne mich als Individualistin, nicht als Feministin. Mir ist gleich, welches Geschlecht, Alter oder Hautfarbe jemand hat. Es geht um die Werte, die er oder sie lebt.

Brockhaus: Ich würde sagen, dass ich eine der größten Feministinnen überhaupt bin in diesem Land. Ich bin feministisch erzogen worden, ich habe mehr Bücher von Alice Schwarzer gelesen als alle anderen. Deswegen macht mich der aktuelle Feminismus so traurig. Man postet lieber "Ich bin Feministin" auf Instagram, als Artikel über niedrige Renten von Frauen zu schreiben, als über soziale Herkunft zu sprechen. Ich kann das verstehen, das ist sexier. Aber es geht an den wahren Problemen vorbei. Der rosagefärbte Lifestyle-Feminismus schadet dem Feminismus.

Aber dieser, wie Sie ihn nennen, "Lifestyle-Feminismus" ist doch nur eine kleine Facette des aktuellen Feminismus. Es gibt doch ebenso den Teil, der für gerechtere Gehälter, für volle Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern auf allen Ebenen kämpft, vielleicht stärker als je zuvor.

Lehfeldt: Mit diesem Feminismus sympathisieren wir. Es geht uns darum, das Entweder-Oder zu überwinden, kleine Mädchen und Jungs gleich zu fördern, Karrieren auf Leistung zu gründen und den Blick auf die Individuen zu richten. Natürlich bin ich leidenschaftlich gerne eine Frau. Aber Frau sein ist eben nur ein Merkmal meiner Persönlichkeit, deshalb möchte ich auch nicht nur als Teil des Kollektivs Frau gesehen werden.

Sie haben sehr unterschiedliche Männer interviewt, vom Schauspieler Heiner Lauterbach bis zum Politiker Edmund Stoiber. Wie haben Sie Ihre Auswahl getroffen? Was macht Männer für Sie "weise"?

Brockhaus: Es hätte noch zahllose andere gegeben. Für mich ist zum Beispiel weise, wenn man alle Menschen gleich behandelt. In der Showbranche ist das zum Beispiel gar nicht gang und gäbe. Weil wir einen Schauspieler im Buch haben wollten, habe ich bei Maskenbildnern und Pförtnern im Theater unterschiedliche Namen abgefragt. Und die Rückmeldung war: Heiner Lauterbach ist einer, der von der Putzfrau bis zum Intendanten gut zu allen war.

Lehfeldt: Natürlich spielte bei der Auswahl auch eine Rolle, wer etwas Spannendes zu berichten hat. Edmund Stoiber enthüllt im Gespräch mit Nena, dass ausgerechnet Gerhard Schröder ihn als Präsidenten der EU-Kommission wollte. Von Stefan Aust zu lesen, wie er auf die RAF geblickt hat, ist einfach Zeitgeschichte. Und wie er Zweifel sät, ob die Work-Life-Balance nicht eine Lebenslüge ist, ist einfach herrlich provokant.

Lauterbach war beim Interview noch nicht über 70, für ihn brechen Sie mit Ihrer Definition. Mit manchen Ihrer Gesprächspartner sind Sie verwandt, mit anderen befreundet, andere kennen Sie persönlich nicht. Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" kritisiert, dass Ihre Auswahl so willkürlich sei wie Ihre Definition des "alten weisen Mannes". Frei nach Pippi Langstrumpf: "Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt." Was sagen Sie dazu?

Brockhaus: Ich habe ja bereits drei "Spiegel"-Bestseller veröffentlicht. Darüber habe ich gelernt, dass man Rezensionen am besten still genießt.

Lehfeldt: Das Feedback gerade auch von Leserinnen zeigt, dass wir und die von uns befragten Männer offenbar vielen aus der Seele sprechen.

Stand auch zur Debatte, FDP-Vize Wolfgang Kubicki zu interviewen? Der ist 71 und für viele der Inbegriff eines "alten weißen Mannes".

Brockhaus: Ich schätze ihn als unabhängigen Kopf, aber er wäre wohl eher dem Genuss- als dem Leistungsprinzip zuzuordnen.

Welchen Ratschlag nehmen Sie von Ihren Gesprächspartnern mit für Ihr eigenes Leben?

Lehfeldt: Konzentriere dich auf dich selbst, kümmere dich nicht um das Gerede von anderen hinter deinem Rücken. Wolfgang Reitzle erzählt das sehr schön, wie es ihm geholfen hat, bei sich selbst zu bleiben, geradlinig zu sein und seine Ziele weiterzuverfolgen – egal, was andere um ihn herum tuschelten.

Brockhaus: Mario Adorf sagte mir: Arbeite im Hier und Jetzt, erledige den Job, den du gerade hast, mit vollem Engagement – und denke nicht schon an den nächsten Job, an die nächsten fünf Jahre.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Franca Lehfeldt und Nena Brockhaus
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