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Kolumne: Hagelflieger sind nichts als Bauernfänger


Kachelmanns Donnerwetter
Hagelflieger sind nichts als Bauernfänger

MeinungVon Jörg Kachelmann

27.06.2018Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Ein Hagelflieger in Stuttgart: Sie sollen die Bürger angeblich vor gefährlichen Hagelkörnern schützen – ganz großer Unsinn, sagt Wetterexperte Jörg Kachelmann.Vergrößern des Bildes
Ein Hagelflieger in Stuttgart: Sie sollen die Bürger angeblich vor gefährlichen Hagelkörnern schützen – ganz großer Unsinn, sagt Wetterexperte Jörg Kachelmann. (Quelle: Franziska Kraufmann/dpa)

Wenn Gewitter drohen, heben in einigen Regionen Hagelflieger ab – sie sollen auf Kosten des Steuerzahlers Wolken "impfen", um Hagelschäden zu vermeiden. Das ist schlicht Betrug.

Sobald wir einen Fernseher hatten, einen Schwarzweiß von Saba, gehörte die Sendung zwecks wohligem Gruseln zur familiären Tradition: "Vorsicht Falle" mit dem griffigen Untertitel: "Nepper, Schlepper, Bauernfänger". Es war die angenehmere Sendung als "Aktenzeichen XY", wo andauernd Leichen zu sehen waren, die mich wiederum als Zugfahrer in einer autolosen Familie an alle die Menschen erinnerten, die in den Zügen einschliefen und immer genauso aussahen wie die Leichen im ungelösten Aktenzeichen.

Die Gewitter und die Hagelfliegerchen

Damals glaubte man noch an die Möglichkeit, dass man durch das Einbringen von Silberjodid in Gewitterwolken Hagel verhindern könnte. Es war ein Thema seit den Fünfzigerjahren, es gab immer wieder kleinere Versuche, die alle keinen Unterschied ergaben beim Hagelschlag, ob nun vorher mit Silberjodid "geimpft" oder nicht. Der Höhepunkt und Schlusspunkt dieser wissenschaftlichen Versuche sollte der legendäre "Großversuch IV" sein, mehrere Nationen haben mitgemacht und es wurde das gröbste Geschütz getestet, das es gab: das Impfen der Gewitterwolken nach der sowjetischen Methode – im Vergleich zu dieser sind die heutigen Hagelfliegerchen wie eine Brio-Lok im Vergleich zu einem echten Schweizer Krokodil.

Jörg Kachelmann ist der bekannteste Wetterexperte im deutschsprachigen Raum und betreibt die Plattform Kachelmannwetter. Für t-online.de schreibt der Schweizer, der gerne kein Blatt vor den Mund nimmt, ab sofort eine wöchentliche Kolumne über Wetterphänomene.

Das Fazit, kurz gefasst: Es bringt nix. Sie können aber auch gern hier den ganzen Bericht herunterladen.

Danach wurden weltweit alle staatlichen Programme eingestellt – man glaubte, was schon denklogisch ist: Eine Gewitterwolke ist etwas zu Mächtiges, um deren Dynamik beeinflussen zu können, man kommt ihr weder mit Kanonen bei, noch mit lustigen kleinen Flugzeugen, die eine Gewitterwolke in mehreren Teilen ausspucken würde, kämen die Hagelpiloten auch nur in die Nähe der Wolkenregion, wo es zur Sache geht.

Deutschland – Land des Aberglaubens

Inzwischen ist einiges an Zeit vergangen seit dem "Großversuch IV", die Wissenschaftler von damals sind in Rente und die Nepper, Schlepper und Bauernfänger der Hagel-Mafia haben gerade in Deutschland ein leichtes Spiel, weil hierzulande die globale Zentrale für Aberglauben beim Wetter angesiedelt ist. Man glaubt – obwohl es dafür keine wissenschaftliche Basis gibt und es vielmehr völliger Blödsinn ist – an Folgendes (nicht vollständig):

  • Wetterfühligkeit,
  • einen Einfluss des Mondes auf das Wetter,
  • dass Flüsse und Kanäle irgendeinen Einfluss aufs Wetter hätten,
  • dass Seen Gewitter umleiten,
  • dass Hochspannungsleitungen Wetter beeinflussen,
  • den Hundertjährigen Kalender,
  • den "Siebenschläfertag" und dass jetzt das Wetter sieben Wochen gleich bliebe,
  • dass mittags die höchste Temperatur herrsche ("Mittagshitze" und nicht wie in Realität gegen 18 Uhr,
  • dass es so etwas wie "Durchzug" gäbe und das irgendetwas anderes sei als ein angenehmer Wind am Strand von Fuerteventura,
  • dass man das Wetter für die kommende Jahreszeit vorhersagen könnte,
  • dass eine App morgens um 8 wissen würde, ob es abends um 19 Uhr gewittert.

Man wird das in keinem Land der Welt so finden, was durch die Möglichkeit geschaffen wurde, schulisch abzuwählen, was etwas mehr belastet als eine Milchschnitte. Das entstandene Bildungsprekariat hat es in einem erfolgreichen Marsch durch die Institutionen in Redaktionen und an Mikrofone geschafft und beschert uns am Siebenschläfertag eine Fülle von Geschichten über etwas, was es nicht gibt: Wie erwähnt, der 27. Juni ist für das Sommerwetter völlig bedeutungslos – aber dumm klickt gut und so müssen wir das alle Jahre wieder über uns ergehen lassen.

Wetter in einem Klima trivialer Fakten

Dieses Klima, in dem Fakten völlig egal geworden sind und es nur noch um das kollektive Gefühl einer globulisierten Gesellschaft geht, dass da ja etwas dran sein könnte, hat auch in einzelnen – besonders dummen – Landkreisen der Republik die Hagelflieger zurückgebracht. Befeuert durch ahnungslose Lokaljournalisten, die zum Verfassen eines Heldenepos neigen, obwohl die Flugzeuglein aus gutem Grund immer großen Abstand zu den Gewitterwolken halten.

Es ist der Erfolg einer betrügerisch anmutenden Bande, die es geschafft hat, dass sie das eigene teure Hobby durch Dorfdeppen finanziert bekommt – weil das sinnlose Tun in den (wenigen) Landkreisen so populär ist, hängen sich auch einzelne Versicherungen und sogar Behörden mit Steuergeldern dran und finanzieren etwas mit, was nachweislich nichts bringt.

Es wäre schön, wenn das ausgegebene Geld wenigstens direkt aus dem Flugzeug geworfen würde, solange es noch am Boden ist. Für das Hagelrisiko macht es keinen Unterschied, aber die Bevölkerung hätte wenigstens etwas davon und mit dem aufgesammelten Geld könnten soziale Einrichtungen unterstützt werden.

Noch schlimmer: Hagelkanonen

Mit den betrügerischen Hagelfliegern ist unser Reloaded von "Nepper, Schlepper, Bauernfänger" noch nicht vorbei. Es gibt besonders bescheuerte Gegenden, wo Behörden systematische Lärmbelästigung durch Menschen erlauben, die mit Gewitterkanonen ihr scharlataneskes Handwerk ausüben und mit eigenem Wahnsinn andere in den Wahnsinn treiben: Wir stellen uns vor, wie tief beeindruckt Hagelkörner in vier oder fünf Kilometer Höhe im Getöse der Gewitterwolke sein werden durch das kleine entfernte, wohl eher unhörbare "Plop".

Betrüger, Nepper, Schlepper, Bauernfänger, denen kein Eduard Zimmermann vom ZDF mehr das Handwerk legt. Anything goes. Die Betrüger profitieren davon, dass es an einem bestimmten Ort rund alle 20 bis 30 Jahre Großhagel gibt. Das führt dazu, dass viele Menschen sagen werden, dass es "nicht mehr stark gehagelt habe, seit es die Hagelflieger gibt". Hagelt es doch mal in großem Ausmaß trotz der Hagelflieger, wie es jedes Jahr irgendwo vorkommt, heißt es dann immer: Ohne Hagelflieger wäre der Hagel doppelt so groß gewesen!

Kommende Woche geht es wieder los mit den Gewittern und sie werden wieder aufsteigen. Hagelflieger haben nichts als Verachtung verdient, weil sie wissen, dass sie nicht in die Nähe der Gewitterwolken kommen – weshalb nie jemand mitfliegen darf bei einem echten Einsatz, aus Versicherungsgründen natürlich – und ihr Tun lustig, aber komplett sinnlos ist.

Wenn Sie was gegen Hagel tun wollen, gehen Sie in die Kirche und zünden Sie eine Kerze an. Von Hagelfliegern wissen wir, dass es nichts bringt. Beim Beten ist noch alles möglich.

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