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Geplante Lauterbach-Entführung: Anwälte wollen im Prozess jedes Wort aufzeichnen


Geplante Lauterbach-Entführung
Anwälte wollen im Prozess jedes Wort aufzeichnen

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

18.05.2023Lesedauer: 4 Min.
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Terror-Prozess: Justizbedienstete bringen Elisabeth R. in den Saal, den möglichen ideologischen Kopf der mutmaßlichen Terrorgruppe. Die Verteidigung will, dass jedes Wort im Prozess aufgenommen wird.Vergrößern des Bildes
Elisabeth R. (m.), der mögliche ideologische Kopf der mutmaßlichen Terrorgruppe: Die Verteidigung will, dass jedes Wort im Prozess aufgenommen wird. (Quelle: Boris Roessler/dpa)

Tonaufnahmen von Verhandlungen sollen nach dem Willen der Regierung Pflicht werden. Im Prozess um eine geplante Lauterbach-Entführung stellt sich die Frage schon.

Man hätte das häufige Husten eines Angeklagten hören können auf einer möglichen Aufzeichnung, vielleicht auch das gequälte Seufzen der einzigen weiblichen Angeklagten. Brisante Sätze werden erst noch fallen im Prozess um Pläne zur mutmaßlichen Terror-Gruppe, die laut Vorwurf für einen Putsch Karl Lauterbach entführen und einen flächendeckenden Stromausfall auslösen wollte.

Der Prozess gegen fünf Angeklagte hat am Mittwoch begonnen – und die Anwälte wollen, dass er komplett aufgezeichnet wird. Die Revolution in deutschen Gerichten wird kommen, aber wohl noch nicht aktuell in Koblenz. Hintergrund ist die weitreichendste Änderung im Strafprozessrecht seit mehr als 100 Jahren.

Genaues Protokoll von Zeugenaussagen

Die Verteidiger von zwei der fünf Angeklagten haben den Antrag gestellt, dass der Prozess aufgezeichnet wird, die anderen Anwälte unterstützen den Vorschlag: Zumindest per Tonaufnahme soll alles festgehalten werden, was in der Verhandlung gesprochen wird. Das wird seit vielen Jahren diskutiert.

Die Anwälte wollen, dass die aufgezeichneten Aussagen automatisiert verschriftlicht werden, es also ein genaues Protokoll von Zeugenaussagen gibt. Die heutigen Vorschriften zur Protokollierung des Strafverfahrens stammen aus dem Jahr 1877. Eine allgemeine Dokumentation des gesprochenen Worts ist gesetzlich nicht vorgesehen, Beteiligte können sich Notizen anfertigen.

"Es würde die Wahrheitsfindung enorm verbessern", wenn nicht Monate später überlegt oder gestritten werde, wie genau etwas gesagt wurde, erklärte der Koblenzer Anwalt Philipp Grassl. Er argumentierte, Prozessbeteiligte könnten auch viel besser dem Geschehen folgen, wenn sie nicht Aussagen mitnotieren müssten. Da stimmte auch der Vertreter des Generalbundesanwalts zu – und war dennoch dagegen.

Bundesregierung will Pflicht einführen

Das Thema ist hochaktuell, Deutschlands Strafrechts-Anwälte diskutierten es am vergangenen Wochenende beim 44. Strafverteidigertag: Am 10. Mai hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf aus dem Haus von Justizminister Marco Buschmann (FDP) beschlossen, der die digitale Aufzeichnung zur Pflicht macht – per Tonaufzeichnung mit Transkription oder auch Videoaufzeichnung. Dazu sollen die Länder Einzelheiten regeln. Schon 2019 hatte eine Expertenkommission für das Justizministerium digitale Aufzeichnungen für grundsätzlich zulässig erachtet.

Das Vorhaben geht jetzt in den Bundesrat, dann muss der Bundestag zustimmen. Es gilt als wahrscheinlich, dass das Gesetz kommt. In Deutschland würde damit ermöglicht, was es in vielen anderen Ländern längst eingeführt ist. "Der Entwurf schafft die Grundlagen für digitale Aufzeichnung", sagte Grassl – und will das auch im aktuellen Prozess. Er vertritt dort den früheren NVA-Offizier Sven Birkmann, der in der Coronazeit zum Schluss gekommen war, dass die Regierung abgesetzt werden muss. Er will im Prozess umfassend aussagen, von ihm könnte also viel aufgezeichnet werden.

Allerdings: Sonderlich schnell soll es nach dem Entwurf nicht gehen: 2030 soll die Praxis der Aufzeichnung überall Pflicht sein. "Spätestens ab dem Jahr 2025" könnten Pilotversuche laufen und ab dem Jahr 2026 bei allen Staatsschutzsenaten eingeführt, 2028 dort Pflicht sein und nach der Testphase für die weitere Nutzung für alle Gerichte angewandt werden.

Anwalt: Wir können auch selbst transkribieren

Für einen solchen Test haben die Anwälte den jetzt begonnen Prozess gegen die "Vereinten Patrioten" im Sinn, verhandelt wird am Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Koblenz. "Problem wird die Technik sein", sagte Grassls Verteidigerkollege Stefan Schmidt. In den Überlegungen im Justizministerium sei von Kosten von 30.000 Euro pro Verhandlungsaal die Rede. Der Gesetzentwurf sieht auch Mittel des Bundes zur Digitalisierung vor.

Die Verteidigung der "Terror-Theologin" Elisabeth R., die die ideologische Rädelsführerin gewesen sein soll, beantragte ebenfalls die Aufzeichnung. "Es geht um ein objektiv verlässliches, einheitliches Arbeitsmittel", sagte Anwalt Bernd Fiessler. Er zitierte den BGH-Richter und Strafrechtsprofessor und Andreas Mosbacher: Beim Strafverteidigertag habe der gesagt, die Notwendigkeit einer digitalen Aufzeichnung müsse jedem einleuchten, die meisten Einwände seien vorgeschoben.

Fiesslers Vorschlag: "Sollte der Senat nicht über eine Transkriptionsmöglichkeit verfügen, hindert das nicht, Tonaufzeichnungen zu machen und den Beteiligten zur Verfügung zu stellen." Dann könnten die Anwälte sich selbst die Aussagen verschriftlichen lassen und zumindest als Hilfsmittel nutzen.

Sämtliche Strafverteidiger wollten das, stimmte Martin Nitschmann zu, Anwalt eines weiteren NVA-Soldaten. "Es ist die Justiz, die blockiert. Ein Schelm, der Böses denkt." Von dort gibt es enorme Vorbehalte gegen Videoaufzeichnungen wegen der Persönlichkeitsrechte, aber auch Widerstände gegen Tonaufzeichnungen.

Bundesanwaltschaft gegen Aufnahmen

Und tatsächlich stellte sich auch Wolfgang Barrot, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, gegen den Antrag: Die Voraussetzungen lägen nicht vor. "Es wäre auch für mich hilfreich. Aber es fehlt eine gesetzliche Grundlage dafür." Als eine Lehre aus dem NSU-Prozess darf heute zwar bereits für die Wissenschaft aufgenommen werden, wenn es sich um ein Verfahren von "herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung" für die Bundesrepublik Deutschland handelt. Das geschah seither im Prozess gegen den rechtsextremen Attentäter an der Synagoge in Halle. Die Aufnahmen sind allerdings für 30 Jahre gesperrt. Die nötige Relevanz habe die Verhandlung nicht, sagte Barrot. Außerdem habe er Bedenken, Zeugen könnten unter dem Eindruck der Aufzeichnung beeinflusst sein.

Über die Anträge müssen jetzt die Richter des Koblenzer Staatsschutzsenats entscheiden. Der nächste Verhandlungstag ist am kommenden Mittwoch.

Verwendete Quellen
  • Teilnahme am Prozess
  • bmj.de: Gesetzgebungsverfahren Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz
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