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Polens Parlament billigt umstrittene Justizreform und erntet heftige Kritik


Trotz Warnungen aus Brüssel
Polen: Parlament verabschiedet umstrittene Justizreform

Von afp, dpa, t-online
08.12.2017Lesedauer: 3 Min.
Proteste im November in Warschau: Viele Polen befürchten eine Beschneidung des Rechtsstaates durch die Justizreform.Vergrößern des BildesProteste im November in Warschau: Viele Polen befürchten eine Beschneidung des Rechtsstaates durch die Justizreform. (Quelle: Tomasz Gzell/dpa-bilder)
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Das polnische Parlament hat am Freitag die umstrittene Justizreform gebilligt. Heftige Kritik kam auch von EU-Ratspräsident Donald Tusk.

EU-Ratspräsident Donald Tusk sprach am Freitag im ungarischen Pecs. Aber er sprach nicht nur über das Ungarn Victor Orbans, sondern indirekt auch über seine Heimat Polen. „Europa ist eine Gemeinschaft der Werte, von denen ich die Freiheit an erste Stelle setzen würde“, sagte er. Vielleicht sei er „stur oder anachronistisch“, fuhr Tusk fort, „aber er könne nicht anders als festzuhalten, dass die wichtigsten europäischen Werte weiterhin Menschen- und Bürgerrechte, Meinungs- und Gewissensfreiheit sowie Rechtsstaat und der Respekt für Minderheiten sind.“

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Eine offene Anklage gegen die nationalkonservative Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in seiner Heimat Polen. Dort hat das Parlament trotz scharfer Kritik von EU-Kommission in Brüssel und Europarat in Strasburg die von Präsident Andrzej Duda angestrengte Justizreform gebilligt. Abgeordnete der Opposition und der größte Richterbund des Landers, Iustitia, warfen der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) vor, die Justiz unter ihre Kontrolle bringen zu wollen.

Heftige Kritik auch von Opposition und Richterbund

Grzegorz Schetyna, der Chef der Oppositionspartei PO, kritisierte das Votum als "beschämend und schändlich". Er rief den Präsidenten dazu auf, ein Veto gegen die beiden Gesetze einzulegen. Der Richterbund verkündete nach der hitzigen Sitzung im Sejm, er werde "die Menschenrechte bis zum letzten unabhängigen Richter verteidigen". In Warschau und anderen Städten kam es zu kleineren spontanen Protesten.

Die sogenannte Venedig-Kommission, die die Staaten des Europarates verfassungsrechtlich berät, veröffentlichte am Freitag eine Stellungnahme, in der sie warnte, dass die Reform die Unabhängigkeit der polnischen Justiz "einer ernsthaften Gefahr" aussetze. Die Änderungen des Präsidenten hätten nur "sehr begrenzte Verbesserungen" gegenüber den ursprünglichen Entwürfen gebracht.

Machtkampf zwischen Kaczynski und Präsident Duda

Bereits im Juli hatte die PiS drei Gesetze durchs Parlament gebracht, die das Justizsystem reformieren sollten, damals noch auf Druck von Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Präsident Duda stoppte nach Protesten im ganzen Land zwei der drei Gesetze per Veto, weil er Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit hatte. Doch auch seine Gegenentwürfe, über die am Freitag abgestimmt wurde, stellten Rechtsexperten und Opposition nicht zufrieden. Die EU-Kommission in Brüssel eröffnete gar ein Rechtsstatsverfahren gegen Polen, doch schreckte der zuständige Vizepräsident Frans Timmermans vor einschneidenden Maßnahmen gegen die nationalkonservative Regierung zurück.

Aufpasser für den Obersten Gerichtshof

Einer der beiden Gesetzesentwürfe betrifft den Obersten Gerichtshof. Er soll eine Disziplinarkammer bekommen, die über die Arbeit der Richter im Lande wacht. Kritiker befürchten, dass diese missbraucht werden könnte, um unliebsame Richter einzuschüchtern. Auch die Venedig-Kommission äußerte Bedenken: Das Gesetz gebe den Richtern dieser Kammer Sonderbefugnisse, die sie weit über andere Richter stelle. Kritisiert wird auch die Absenkung des Rentenalters für die Richter am Obersten Gericht von 70 auf 65 Jahre. Die Maßnahme diene der PiS dazu, die Kader auszutauschen, so die Opposition.

Das zweite Gesetz betrifft den Landesjustizrat (KRS), der für die Ernennung der Richter fast aller Gerichte im Land verantwortlich ist. Das Gesetz sieht vor, dass die Richter dieser Kammer vom Parlament gewählt werden, statt wie bisher von der Richterschaft selbst. Die Venedig-Kommission warnte vor einer "weitreichenden Politisierung der Kammer".

Die Kommission veröffentlichte heute eine weitere Stellungnahme, in der sie empfahl, das Amt des Generalstaatsanwaltes und des Justizministers wieder zu trennen. Die beiden Ämter hatte die polnische Regierung 2016 zusammengelegt.

Staatsumbau nach ungarischem Vorbild

Die Sorge vor staatlichem Einfluss auf Polens Gerichte treibt auch die EU-Kommission weiter um. Dudas Gesetze würden nicht den EU-Standards entsprechen, hatte Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans nach vorläufiger Prüfung der Reformen gesagt.

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Zuvor hatte sich die EU-Kommission bereits eine heftige Auseinandersetzung mit Ungarn um die Reform des Verfassungsgerichts geliefert. Polens Staatsumbau gilt als Kopie des Vorgehens von Ungarns rechtspopulistischem Premier Viktor Orban.

Seit 2016 EU-Verfahren gegen Polen

Wegen umstrittener Veränderungen des polnischen Justizsystems hatte die EU-Kommission bereits 2016 ein allgemeines Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet. Diese Untersuchung führte bislang zu keinem befriedigenden Ergebnis. Zuletzt drohte die EU-Kommission die Einleitung eines weiteren Verfahrens an, durch das Polen sogar bei Abstimmungen im EU-Ministerrat sein Stimmrecht verlieren kann.

Beide am Freitag im Seijm verabschiedeten Gesetze müssen noch von der zweiten Kammer des Parlaments, dem Senat, angenommen und vom Präsidenten unterschrieben werden. Beides gilt als sehr wahrscheinlich. Nach dem Verständnis der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Parteichef Jaroslaw Kaczynski stehe die Justiz zwischen dem wahren Volkswillen und der Politik. EU-Ratspräsident Donald Tusk gab darauf am Freitag seine eigene Antwort. „Europa ist ein einzigartiges Gebiet der Freiheit“, sagte er in Pecs. Noch nicht alle in der EU haben dies verstanden.

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