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RAF-Terroristen: Die Jagd auf die dritte Generation


Ungeklärte RAF-Attentate
Drei Rentner und ein großes Rätsel

  • Carsten Janz
  • Lars Wienand
  • Jonas Mueller-Töwe
Von C. Janz, L. Wienand, J. Mueller-Töwe

Aktualisiert am 19.02.2024Lesedauer: 6 Min.
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Die drei mutmaßlichen RAF-Terrorristen vor einem RAF-LogoVergrößern des Bildes
Fahndungsbilder der Gesuchten: Dies sind die drei mutmaßlichen übrig gebliebenen RAF-Terroristen. (Montage) (Quelle: privat/BKA)

Ein spektakulärer Einsatz am Wuppertaler Bahnhof entpuppt sich als Fehlalarm. Die Fahndung nach den letzten gesuchten RAF-Terroristen läuft weiter. Sie könnten der Schlüssel zu zahlreichen ungeklärten Morden sein.

Als am frühen Morgen des 27. März 1993 fünf Bomben explodieren, bleiben von der neu gebauten Justizvollzugsanstalt Weiterstadt nur noch Trümmer, und auch von der Roten Armee Fraktion (RAF) ist bald nicht mehr viel übrig. Es wird der letzte Anschlag der Terrorgruppe sein, die über mehr als zwei Jahrzehnte die deutsche Öffentlichkeit in Atem gehalten hatte. Fünf Jahre später löst sie sich auf. Und die letzten heute bekannten Mitglieder bleiben im Untergrund.

Die Gruppe ermordete 33 Menschen, verletzte über 200 weitere. Noch Jahrzehnte nach dem nahezu 100-Millionen-Mark-Schaden an der JVA in Weiterstadt sind zahlreiche Verbrechen nicht aufgeklärt. Die dritte Generation der RAF, von der man ab etwa 1983 spricht, sie ist bis heute weitgehend ein Phantom. Vermutlich sind viele der damaligen Täter noch völlig unerkannt.

Es ist unklar, wer den Siemens-Manager Karl-Heinz Beckurts und den Diplomaten Gerold von Braunmühl erschossen hat. Nie gelöst wurde der tödliche Sprengstoffanschlag auf Alfred Herrhausen, den Chef der Deutschen Bank. Der Präsident der Treuhand, Detlev Rohwedder, wurde von Unbekannten ermordet.

Einige der vermutlich letzten, die Aufschluss geben könnten mit ihren Aussagen, sind die Verdächtigen im Falle des Sprengstoffanschlags in Weiterstadt. Und sie sind bis heute auf der Flucht: Burkhard Garweg, Daniela Klette und Ernst-Volker Staub. Sie hielten sich mutmaßlich nach dem Ende der Terrorgruppe mit Raubüberfällen in Westdeutschland über Wasser.

Eine internationale Fahndung lief bislang ins Leere – auch ein spektakulärer Polizeieinsatz am Wuppertaler Bahnhof entpuppte sich am Samstag als Fehlalarm. Trotzdem hoffen Ermittler auf einen späten Durchbruch. Denn gerade jetzt gehen neue Hinweise auf das Trio ein.

Wer sind die drei Gesuchten?

Ernst-Volker Staub wurde 1954* in Hamburg geboren. Bereits 1986 wurde er unter anderem wegen Mitgliedschaft in der RAF zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Es steht in Rede, dass er an Verlautbarungen der Gruppe in den Neunziger Jahren beteiligt war.

Daniela Klette wurde 1958 in Karlsruhe geboren. Seit Ende der Siebzigerjahre bewegte sie sich im Unterstützerumfeld der Terrorgruppe, wo sie in Kontakt mit der späteren Führungsebene um Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld kam. Sie könnte neben dem Gefängnisanschlag auch an einem Anschlag auf die US-Botschaft in Bonn und einem Anschlag auf die Rechenzentrale der Deutschen Bank in Eschborn beteiligt gewesen sein.

Burkhard Garweg wurde 1968 in Bonn geboren, wuchs aber in Hamburg auf. Vermutlich schloss er sich Ende der Achtzigerjahre der RAF an.

Was wird ihnen vorgeworfen?

Alle drei könnten laut Spurenlage des Generalbundesanwalts an dem Sprengstoffanschlag auf die JVA Weiterstadt beteiligt gewesen sein. Tatbeteiligungen an weiteren Anschlägen sind nicht ausgeschlossen. All das dürfte aber weitgehend verjährt sein – wenn sie nicht an Morden oder Mordversuchen beteiligt waren. Zuletzt aufgefallen ist das Trio hauptsächlich, weil sie mutmaßlich an Raubzügen beteiligt waren.

Dabei geht es geht um mindestens elf Raubüberfälle und versuchte Raubüberfälle, in deren Zusammenhang ihnen auch ein versuchter Mord zur Last gelegt wird. Bei den Überfällen auf Supermärkte und Geldtransporter kamen die Täter zum Teil mit zwei Autos, nutzten Doublettenkennzeichen, versteckten die Fluchtfahrzeuge anschließend unter Tarnnetzen im Wald. Sie sollen schwer bewaffnet gewesen sein – bis hin zu zwei Kalaschnikows und einer Panzerfaust.

Welche Hinweise gab es, wo die drei sich aufhalten könnten?

Was die Ermittler sicher wissen, geht auf Indizien bei Straftaten zurück, die aber auch schon wieder Jahre zurückliegen. Da waren sie in Niedersachsen mutmaßlich sehr aktiv. Bei Ronnenberg unweit von Hannover hat das Trio demnach im September 2015 einen blauen Ford Focus gekauft. Er wurde genutzt, als am 25. Juni 2016 zwei Männer und eine Frau mit Panzerfaust und Automatikgewehr einen Geldtransporter in Cremlingen bei Braunschweig überfielen. DNA-Spuren stammten von Staub und Garweg.

In Oldenburg wurden mutmaßlich die beiden Männer in einem Bus gefilmt, als sie wieder zum Kauf eines Autos fuhren. Ein weiteres Video mit mutmaßlich den beiden Männern entstand im Dezember 2015 beim Überfall auf einen Supermarkt in Hildesheim. Im Mai 2016 soll das Trio verantwortlich sein für einen Überfall auf einen Supermarkt in Wolfsburg. Nach 2016 verliert sich die Spur, es gibt bisher keine Hinweise, dass sie an neuen Taten beteiligt waren.

Politische Motive gab es bei der Raubserie nicht – aber das Leben im Untergrund ist teuer und schwierig. Für die Fahnder waren deshalb auch andere Linksextremisten interessant, die untergetaucht waren und auf ähnliche Unterstützernetzwerke zurückgreifen konnten. Einer berichtete von einem angeblichen Angebot des LKA: Der Mann, der nach einem todbringenden Messerstich im Streit an einer Tankstelle bei Neapel und seiner Flucht von deutschen Zielfahndern gefasst worden war, sollte demnach Vergünstigungen erhalten, wenn er Hinweise auf das Trio liefere.

Für ihn überraschend wurde er im Oktober 2017 aus der JVA Volkstedt in Sachsen-Anhalt abgeholt und verbrachte für eine Vernehmung zehn Stunden im Gewahrsam des LKA Niedersachsen. Die Ermittler hätten ihm vorgeworfen, Kontakt zu den Gesuchten gehabt zu haben. Und sie wollten wissen, wie er nach dem Abtauchen im Untergrund leben konnte.

Ermittler gingen da Hinweisen nach, dass die RAF-Rentner Unterstützernetzwerke im Ausland hatten, etwa bei Aktiven der früheren "Roten Brigaden" in Italien. Der Häftling aus Sachsen-Anhalt lebte einst in einem besetzten Haus in der Rigaer Straße in Berlin, dessen Bewohner der Verfassungsschutz "zum harten Kern der militanten autonomen Szene" zählte.

Er hatte nach eigenen Angaben Freundschaft zu ehemaligen "Rote Brigade"-Mitgliedern geschlossen. Die Gruppe hatte einst mit der RAF eine "antiimperialistische Front in Westeuropa" schmieden wollen. Auch Verbindungen zu spanischen Linksextremisten wurden bei dem einstigen RAF-Trio geprüft. Im Raum stand, dass sie nur zu den Überfällen einreisten.

Ein an der deutsch-niederländischen Grenze ausgeschaltetes Handy und ein niederländischer Zeitungsausschnitt in einem Auto lieferten auch eine Spur in die Niederlande. Keine erwies sich als heiß. 2020 landeten Staub und Garweg aber auch auf einer Interpol-Liste der meistgesuchten Verbrecher Europas – Klette nicht, da jeder Staat dort nur zwei Gesuchte platzieren darf, wie das LKA erklärte. Heute findet sich Klette auch auf der Liste.

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Was erhoffen sich die Ermittler jetzt?

Seit dem 9. Februar gibt es einen neuen Fahndungsaufruf, es gab die Berichterstattung bei "Aktenzeichen XY ... Ungelöst" – und eine Menge neuer Hinweise. 212 sind es seit dem 9. Februar, davon 189 seit der ZDF-Sendung, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Verden t-online. Über die Güte kann er wenig sagen – es sind aber viele darunter, die weitere Ermittlungen nach sich ziehen: "Es gibt einige Hinweise, dass jemand Gesuchte da oder dort gesehen haben will. Wir können nicht sagen, ob es eine heiße Spur ist oder ein Wuppertal-Hinweis." Dort hatten sich Hoffnungen nicht bestätigt.

67 der Hinweise sind über das anonyme, privat betriebene Online-Meldesystem BKMS gekommen. Die Staatsanwaltschaft hofft, dass darüber auch Hinweise von früheren Weggefährten eingehen könnten. Sogar auf eine Kontaktaufnahme aus dem Trio oder über Anwälte hoffen die Ermittler und stellen Kronzeugenregelungen in Aussicht. Bislang gibt es aber kein Lebenszeichen von der RAF-Bande.

Warum sind sie immer noch gefährlich?

Die dritte Generation der RAF lebt schon viele Jahrzehnte im Untergrund. In dieser Zeit müssen sich Burkhard Garweg, Daniela Klette und Ernst-Volker Staub vermutlich mit gefälschten Identitäten durchgeschlagen haben. Bei ihren Überfällen auf Geldtransporte und Supermärkte sind sie meist schwer bewaffnet. So wie beim Überfall auf einen Geldtransporter in Stuhr in Niedersachsen im Juni 2015, bei dem sie verdächtigt werden, mit Kalaschnikows und einer Panzerfaust bewaffnet gewesen zu sein.

Die Ermittler vermuten, dass die Waffen noch aus einem alten RAF-Depot stammen. Bei diesem Überfall wurden die Waffen auch eingesetzt – körperlich verletzt wurde niemand. Beide Wachmänner benötigten aber später psychologische Betreuung. Die dritte Generation der RAF ist also nach wie vor bereit, Waffengewalt anzuwenden. Es ist daher nicht auszuschließen, dass bei einem Überfall auch Menschen zu Schaden kommen.

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagt: "Wir wissen nicht, was sie machen, wenn ihnen die Finanzmittel ausgehen." Wie viel Geld die Bande bei ihren Überfällen 2015 und 2016 insgesamt erbeutet hat, ist ein gut gehütetes Geheimnis. "Wir machen aus ermittlungstaktischen Gründen keine Angaben."

Warum ist es so schwer, sie zu fassen?

Die drei leben, so vermuten es die Ermittler, sehr unauffällig. Es sei davon auszugehen, dass sie nicht in einer Art "Dreier-WG" zusammenleben, weil das zu auffällig sei. So ist es gut denkbar, dass Garweg, Klette und Staub an unterschiedlichen Orten, vielleicht sogar im nahen Ausland leben und nur für die Planung, das Ausspähen und die Durchführung von Straftaten wieder zusammentreffen.

Die Ermittler gehen davon aus, dass die RAF-Mitglieder immer noch Unterstützer in Deutschland haben. Das ist einerseits ein guter Ermittlungsansatz für die Behörden, andererseits helfen diese Unterstützer natürlich dabei, dass die drei weiter im Untergrund agieren können. Das erschwert die Arbeit zusätzlich. Und durch die Erfahrung, die Klette, Garweg und Staub haben, können sie den Ermittlern immer wieder entwischen.

Erschwert wird die Suche auch dadurch, dass die neusten Fahndungsfotos schon einige Jahre alt sind. Die drei RAF-Terroristen können dafür sorgen, dass sie diesen Bildern nicht mehr ähneln und die Bevölkerung sie nicht erkennt. Trotz intensiver Öffentlichkeitsfahndung der Ermittlungsbehörden.

*Wir hatten an dieser Stelle zunächst versehentlich geschrieben, Staub sei 1964 geboren.

Verwendete Quellen
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