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"Risikogesellschaft"-Autor Ulrich Beck mit 70 gestorben


Folgen eines Herzinfarkt
Der Soziologe und Weltrisikoforscher Ulrich Beck (70) ist tot

afp, dpa, are

Aktualisiert am 03.01.2015Lesedauer: 4 Min.
Der Soziologe und Risikoforscher Ulrich Beck (1944-2015). Er starb im Alter von 70 Jahren.Vergrößern des BildesDer Soziologe und Risikoforscher Ulrich Beck (1944-2015). Er starb im Alter von 70 Jahren. (Quelle: Metodi Popow/imago-images-bilder)
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Der deutsche Soziologe Ulrich Beck ist im Alter von 70 Jahren gestorben. Dies bestätigte der Suhrkamp-Verlag in Berlin, der zahlreiche Bücher des international anerkannten Wissenschaftlers veröffentlichte. Wie die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf die Familie des Verstorbenen berichtet, starb der renommierte Wissenschaftler bereits am 1. Januar an den Folgen eines Herzinfarkts.

Beck prägte den Begriff der "Risikogesellschaft" und der "Zweiten Moderne" und gilt als einer der bedeutendsten, einflussreichsten und meistzitierten Soziologen der Gegenwart mit internationalem Ruf.

Ihm gelangen seit den achtziger Jahren Beschreibungen der Gegenwart, die über das akademische Feld hinaus auch in der Politik auf große Resonanz stießen. Das bahnte ihm eine Karriere, die nur wenigen Soziologen vergönnt ist. Auch viele Politiker holten sich bei ihm Denkanstöße.

So wurde Beck 2011 von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in die Ethikkommission der Bundesregierung für eine "Sichere Energieversorgung" berufen, die sich mit der Nutzung von Atomkraft beschäftigte und angesichts der Atomkatastrophe von Fukushima der Frage nachgehen sollte, ob der Nutzen der Atomkraft deren Risiken aufwiegt. Trotz düsterer Prognosen ist Ulrich Beck Optimist geblieben - bis zuletzt.

"Risikogesellschaft" in 35 Sprachen übersetzt

Beck interessierte sich vor allem für den Grundlagenwandel moderner staatlich verfasster Gesellschaften, insbesondere im Zeichen der Globalisierung, und für die daraus entstehenden Folgen für Wirtschaft, Politik und Kultur. Ein besonderes Anliegen seiner Soziologie war es, den Deutungsrahmen des Nationalstaates in seinen territorialen Grenzen zugunsten eines kosmopolitischen Denkens jenseits nationalstaatlicher Grenzen zu überwinden.

Sein 1986 erstmals veröffentlichtes Buch "Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne" wurde in mehr als 35 Sprachen übersetzt und 2007 mit dem Buch "Weltrisikogesellschaft" aktualisiert. Es machte ihn international und auch weit über wissenschaftliche Kreise hinaus bekannt.

Steile Thesen: Sieg des Westens birgt Gefahren wie Terrorismus

In seinem Buch über die Risikogesellschaft weist Beck auf die Gefährdungen für moderne westliche Gesellschaften hin, die vom Staat nicht kompensiert werden können. Risiken und Kontrollverluste des Staates und seiner Institutionen in der globalisierten Welt blieben bis zuletzt sein Thema, unter anderem in den Debatten über die digitale Überwachung und die globale Erderwärmung.

Eine der zentralen Thesen Becks ist, dass die die moderne Gesellschaft nicht an ihren Niederlagen, sondern an ihren Siegen krankt: Der weltweite Terrorismus, so Beck, sei Konsequenz eines Sieges der westlichen Moderne gegenüber anderen Gesellschafts- und Kulturformen. Die Klimakatastrophe droht laut Beck, weil die Industrialisierung so erfolgreich war. Die Massenarbeitslosigkeit folge aus den Produktivitätsgewinnen. Und die Alterspyramide sprenge die Sozialsysteme, weil die Medizin die Menschen länger leben lasse.

Becks Ausführungen zur sozialen Konstruktion globaler Risiken in der "zweiten Moderne" fanden viel Zustimmung: Weil das Risiko - als Vorwegnahme einer möglichen Katastrophe - nicht messbar sei, hänge sein gefühltes Ausmaß von der Definition ab. Es könne dramatisiert oder minimiert, verwandelt oder geleugnet werden. Und es müsse sichtbar werden, etwa als Wirbelsturm, der zum Vorboten der Erderwärmung erklärt wird.

Kritik an Sicherheitsgesetzen nach dem 11. September

Allerdings zeigte sich Beck auch kritisch gegenüber der Politik, die er zu beraten versuchte: Die globalen Weltrisiken, so argumentierte der Soziologe, entziehen sich der Kontrollierbarkeit. Er kritisierte, dass die Politik mitunter den Schrecken inszeniere und die Terrorangst seit den Anschlägen vom 11. September 2001 nutze, um ungehemmt Sicherheitsgesetze und staatliche Überwachungsinstrumente auf den Weg zu bringen.

Aber auch mit Humor, griffigen Bildern und Bodenhaftung publizierte Beck - gelegentlich gemeinsam mit seiner Frau und Kollegin Elisabeth Beck-Gernsheim - einen Bestseller nach dem anderen. In "Das ganz normale Chaos der Liebe" (1990) und "Fernliebe: Lebensformen im globalen Zeitalter" (2011) beschrieb das Paar das Zerbrechen traditioneller Werte und Bindungen sowie die Folgen der Individualisierung.

Professuren in München, London und Paris

Beck wurde am 15. Mai 1944 in Stolp in Hinterpommern geboren. Nach der Übersiedlung der Familie in den Westen wuchs er mit seinen vier Schwestern in Hannover auf. Nach seinem Studium in den Fächern Soziologie, Philosophie, Psychologie und Politikwissenschaft in München promovierte er dort 1972. Von 1973 bis 1979 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität München. Sieben Jahre später wurde er dort im Fach Soziologie habilitiert.

Nach Professuren in Münster und Bamberg wurde er 1992 an die Ludwig-Maximilians-Universität München berufen und übernahm dort einen Lehrstuhl für Soziologie. Als Direktor des Soziologischen Instituts blieb er dort bis zu seiner Emeritierung (2009). Außerdem bekleidete er Professuren an der London School of Economics (LSE), in Cardiff und der Fondation Maison des sciences de l'homme in Paris. Eine Reihe weiterer ausländischer Universitäten verliehen ihm die Ehrendoktorwürde, außerdem erhielt Beck zahlreiche Preise.

Würdigung aus Reihen der SPD

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel erklärte in Berlin, mit Beck verliere die deutsche und europäische Politik, insbesondere die Sozialdemokratie, einen Vordenker der Politik und "präzisen Analytiker und hochgeschätzten Ratgeber, der vor allem die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse aufgriff und aus der wissenschaftlichen Reflexion heraus Handlungsorientierung entwickelte und weitergab".

"Wir alle wurden in den letzten dreißig Jahren von seinen paradigmatischen Begriffen und Theoremen beeinflusst, die nicht nur die internationale Forschung, sondern auch den politischen Diskurs voranbrachten." Gabriel ergänzte: "Seine Kritik an den falschen Antworten auf die Krise Europas unter dem Stichwort 'Merkiavelli' ist uns allen in besonderer Weise präsent."

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