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Zwischen dieser Flüchtlings-Liebe liegen 5000 Kilometer


Bishara liebt Ali
Eine Flüchtlings-Liebe über 5.000 Kilometer

Von den chrismon-Autoren M. Fallet & A. Ackermann

03.11.2018Lesedauer: 7 Min.
Nachrichten
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Im Stammcafé in Kampala: Bishara träumt. Von Ali, von einem besseren Leben.Vergrößern des Bildes
Im Stammcafé in Kampala: Bishara träumt. Von Ali, von einem besseren Leben. (Quelle: Anne Ackermann/chrismon)

Ali liebt Bishara. Und Bishara liebt Ali. Aber so einfach ist es nicht. Er lebt in Bayern, sie in Uganda. Zwischen ihnen liegen Tausende Kilometer. Ist diese Liebe eine Illusion? Kann sie Wirklichkeit werden?

Es gibt Geschenke. Einen Trainingsanzug von FC Chelsea. Ein Parfüm. Eine goldfarbene Armbanduhr. Und: "Inshallah", lässt sie ausrichten, so Gott will. Bishara hat Ali* ein Paket geschnürt, das jemand nach Deutschland mitnehmen konnte. Ali lebt in einem bayerischen Nest und Bishara in Kampala, Uganda, über 5000 Kilometer liegen zwischen ihnen.
Bald will er um ihre Hand anhalten, erzählt er. Damit sie heiraten können, spart er eisern – für seine Reise, die Feier, das Gold, das Brautgeld. Bishara und Ali stammen aus Mogadischu, Somalia, sie flohen vor Krieg und Terror.

Ali, 22 Jahre, ernst das Gesicht und drahtig der Körper, verließ seine Mutter und die beiden jüngeren Geschwister mit 16. Jede Nacht telefoniert er mit der Mutter, "ohne Mama ist es nicht gut", jeden Monat schickt er ihr Geld. Er ist ein Hoffnungsträger für die Daheimgebliebenen.

Somalische Frauen
Genitalverstümmelung ist in Somalia trotz Aufklärungskampagnen und gesetzlichen Verbots verbreitet. Laut Terre des Femmes sind 98 Prozent der Somalierinnen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. Die Hälfte der Mädchen heiratet vor dem 18. Geburtstag. Im Durchschnitt bekommt eine Somalierin sechs Kinder.

Oh, Bishara, sagt er, als er die Geschenke auspackt, oh, Bishara, dabei schüttelt er den Kopf. Er legt die Uhr an, sprüht sich schweres Parfüm aufs Handgelenk, riecht daran, lächelt fein. Sie kennen sich von früher, da waren sie nur Freunde. Vor fünfeinhalb Jahren sahen sie sich zuletzt. Verliebt haben sie sich erst, als Ali schon auf dem Weg nach Europa war, seitdem besteht ihre Beziehung aus Telefonaten und Abertausenden Whatsapp-Nachrichten.

Ist diese Liebe eine Illusion? Kann sie Wirklichkeit werden?

"Hier gibt's super Internet", sagt Ali, das ist für ihn fast so wichtig wie Fanta und Sambusa, gefüllte Teigtaschen. Die bereitet eine Somalierin zu, die in der Nähe wohnt. Smartphones sind für Geflüchtete die Verbindung zu Familie und Freunden in aller Welt. Facebook, Skype, Instagram und Whatsapp vermitteln Nähe, auch wenn die anderen weit weg sind.

Auf Facebook bastelt Ali Collagen von sich und Bishara, Bishara am Strand, Bishara in der Shoppingmall, Bishara auf der Hochzeit ihrer Schwester. Bishara antwortet mit Herzchen und "I love you". Happy Valentine’s Day to all of my friends, Happy Somalia Independence Day. Und Bishara postet Filmchen von sich auf Instagram, tanzt dazu. Ali mag Cristiano Ronaldo und dicke Autos, und, das steht ganz oben auf seiner Facebookseite: "I need Allah in my life."

In "Little Mogadishu" leben Tausende im Exil

Bishara ist auf diesen Fotos immer stark geschminkt, die Lippen, die Augen, die Augenbrauen. Ihre Kleider sind lang und eng und extravagant gemustert, dazu trägt sie den obligatorischen Hidschab, den trägt sie oft sogar zu Hause. Sie wohnt mit drei ihrer Schwestern, Mutter und Großmutter in Kisenyi, einem Slum Kampalas, der auch "Little Mogadishu" heißt. Dort leben Tausende Somalier im Exil. Die Wohnung ist klein und dunkel, Bishara teilt sich ein Zimmer mit den Schwestern. Die eine studiert Medizin, die andere ist Ingenieurin, die jüngste ist acht, sie hat das Downsyndrom.

Flüchtlinge in Uganda dürfen, im Gegensatz zu anderen afrikanischen Ländern, arbeiten. Um die Familie zu ernähren – der Vater ist nach Somalia zurückgekehrt und mittellos – jobbt Bishara als Kassiererin in einer Tankstelle, 150 Dollar im Monat für zwölf Stunden Arbeit Tag für Tag, erzählt sie. Eigentlich sucht sie eine Stelle als Journalistin, Nachrichtensprecherin, Anchorwoman, das wär was. Bedeutet Bishara ja auch "Botin vieler froher Nachrichten".

Das klingt wie ein Traum. Ein anderer Traum von Bishara: Kampala verlassen. Ihre Chancen auf eine gute Stelle sind gering, die Familie lebt in Armut. Die bearbeiteten Fotos, die Filmchen, die Schminke, all das wirkt wie eine Fassade.

"Ich bin immer traurig"

Und wie geht es Ali in Deutschland? Vor vier Jahren kam er hier an. Er hat Heimweh, und als auf Facebook alle ein frohes neues Jahr 2016 wünschen, schreibt er: "Ich bin immer traurig, weil I’m in love." Ali arbeitet oder erholt sich vom Arbeiten, er macht eine Ausbildung zum Maler und Lackierer, zweites Lehrjahr. Sonntags hängt er mit Kumpels ab, somalische Geflüchtete wie er. In jeder freien Minute schreibt oder spricht er mit Bishara. So sind sie immer beieinander, virtual reality. Das Smartphone ist fast wie ein Körperteil, aber das ist bei den meisten jungen Leuten so, Flüchtling oder nicht.

Somalia
1991 brach in dem Land am Horn von Afrika ein Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Clans aus. Die Islamistenmiliz Al Shabaab verübt blutige Terroranschläge und kämpft gegen den Staat und die AMISOM-Friedenstruppe. Das UN-Flüchtlingshilfswerk geht von 2,1 Millionen Binnenvertriebenen aus. Rund eine Million Somalier leben im Exil, die meisten in Kenia, Äthiopien oder Uganda. In Deutschland wurde im ersten Halbjahr 2018 über 4991 Asylanträge von Somaliern entschieden – in 42 Prozent der Fälle mit positivem Ausgang

Ali hat eine eigene Wohnung in der bayerischen Provinz, ein Zimmer, Wohnküche, winziges Bad, die Miete zahlt das Jobcenter. Auf dem Wohnzimmertisch eine weiße Tischdecke, an den Fenstern Vorhänge, die hat er geschenkt bekommen. Eine App ruft ihn fünf Mal am Tag zum Gebet, manchmal fährt er mit den Kumpels zu einer Moschee, 70 Kilometer entfernt.

Schon im August hatte Ali nach Kampala fliegen und um Bisharas Hand anhalten wollen. "Er hat noch nicht genug Geld gespart", sagt Bishara am Telefon. "Mein Chef konnte mir nur eine Woche Urlaub geben", sagt Ali, das lohne sich nicht. Nun hoffen sie auf ein Wiedersehen in den Weihnachtsferien. Wenn Mutter und Großmutter mit der Höhe des Brautgelds einverstanden sind – Bishara hat gerade einen Bachelor in Journalism gemacht, da ist der Preis gestiegen –, wenn sie also zustimmen, findet ein paar Tage später auch gleich die Hochzeit statt.

7000 Euro Brautgeld hat der Mann von Bisharas älterer Schwester an die Mutter und die Großmutter bezahlt, ein Geschäftsmann, der in Südafrika lebt. Er kommt alle zwei Monate vorbei, bezahlt die Miete, überhaupt die Rechnungen der Schwester und ihres Babys. Aber ein Bräutigam, der in Europa lebt oder in den USA, verheißt für die Familie das große Geld – Töchter als Geschäftsmodell.

Wie viel kostet die Hochzeit? "20.000 Dollar, mindestens"

Dürfte Ali träumen, würde er ihre Hochzeit in Mogadischu feiern, "mit viel Kamelfleisch und vielen Gästen". Wie viel Geld brauchst du für deine Traumhochzeit, Ali? – "20.000 Dollar, mindestens." Wie viel hast du schon? "Nicht genug." Wo soll er es auch herhaben?

Bishara sagt, sie wolle einfach nur mit Ali zusammensein. Kamelfleisch, Reis, all das sei ihr egal. Sie war schon mal verheiratet, sie war 14, und es war furchtbar, sagt sie. "Ich kam an einem Freitagabend in meiner Schuluniform nach Hause, und meine Eltern sagten: Wir werden dich diesem Mann zur Frau geben." Ein wohlhabender Somali aus Norwegen, der auf einem Hochzeitsvideo Gefallen an Bishara gefunden hatte.

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„Ich sagte ihnen, dass ich zu jung bin, dass ich den Mann gar nicht kenne. Es hat sie nicht interessiert.“ Kurz nach der Hochzeit setzte er sich ins Ausland ab und meldete sich nicht mehr. Was für eine Schande! Sie traute sich kaum, es den Eltern zu erzählen. Sie nahmen sie trotzdem wieder auf, Bishara ließ sich scheiden und ging weiter zur Schule.

Das ist Somali Culture

Sie hadert mit diesem System und kann sich ihm doch nicht entziehen. Weißt du, sagt sie immer wieder, das ist Somali Culture, die Kultur. Sie wisse, dass ihre Mutter sie liebe, aber die glaube, Geld heile alle Wunden. Und die Familie braucht Unterhalt für Miete, Strom, Essen, je mehr, desto besser. "Davor hat Ali Angst", sagt sie, und davor hat auch sie Angst. Denn wenn ein reicher Somali Ali zuvorkommt und um Bisharas Hand anhält, ist klar, was passiert. Obwohl Bisharas Familie von ihrer Beziehung zu Ali weiß. Obwohl sie nicht noch mal wegen des Geldes heiraten will.

Sie liebt an Ali, "dass er immer zu dem steht, was er sagt". Dass er ein "reines Herz" habe. Da weint sie ein bisschen am Telefon. Und dass er gleichberechtigt denke. Wenn sie im Studium gezweifelt hat, habe er sie immer bestärkt – wo viele andere somalische Männer ihre Frauen unterdrückten. Dass in Deutschland auch Frauen auf dem Bau arbeiten, war für Ali trotzdem erst mal ungewohnt, das gebe es nicht in Somalia oder Uganda, sagt er. Aber warum denn nicht? „Alle sollen arbeiten dürfen.“

Ob es Bishara in Bayern gefallen würde? "Es würde ihr ja nichts anderes übrig bleiben", sagt Ali, der Bayern seine zweite Heimat nennt. Anfangs, sagt er, sei es schlimm gewesen auf dem Dorf. So ruhig. So klein. Er hat sich dran gewöhnt. Geht gern spazieren am Kanal, dorthin braucht er "zehn, fuchzen Minuten", Dialekt schleicht sich ein. Bishara sagt, bestimmt würde sie es dort mögen. Ali erzähle doch immer, dass die Leute so freundlich seien.

Sie wäre gerne endlich bei ihm. So sehr, dass sie manchmal darüber nachdenkt, sich durchzuschlagen nach Nordafrika und ein Boot zu besteigen nach Europa. "Aber ich würde mein Leben riskieren." Und Ali sage dann immer: Bitte, tu es nicht, wir finden eine andere Lösung.
Wenn die Liebe so groß ist, könnten sie nicht einfach in Uganda zusammenleben? Nein, sagt Bishara, man verdient sehr wenig, wir könnten uns keine Mietwohnung leisten, kein Essen, wir würden im Nichts enden.


Und wenn ihr Traum wahr wird? Wenn Großmutter und Eltern einer Heirat zustimmten, wenn Ali irgendwann genug Geld verdiente, um eine Wohnung und eine Familie zu unterhalten – dann könnte Bishara vielleicht nachkommen. Dann wäre das Leben vielleicht wunderbar. Vielleicht wäre es auch bitter. Aber wenn man es nicht ausprobiert, kann man es nicht wissen.

Diese Geschichte erscheint in Kooperation mit dem Magazin "chrismon". Die Zeitschrift der evangelischen Kirche liegt jeden Monat mit 1,6 Millionen Exemplaren in großen Tages- und Wochenzeitungen bei – unter anderem "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit", "Die Welt", "Welt kompakt", "Welt am Sonntag" (Norddeutschland), "FAZ" (Frankfurt, Rhein-Main), "Leipziger Volkszeitung" und "Dresdner Neueste Nachrichten". Die erweiterte Ausgabe "chrismon plus" ist im Abonnement sowie im Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel erhältlich. Mehr auf: www.chrismon.de

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Weiterlesen auf chrismon.de.

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