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AfD: Chemtrails in Sachsen? Grüner Günther reagiert auf Anfrage mit Humor


Kondensstreifen in Sachsen
Grünen-Minister verulkt AfD für Chemtrail-Anfrage

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 25.06.2023Lesedauer: 3 Min.
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Stoff für Aluhutträger: Verschwörungsideologen interpretieren in Kondensstreifen Sprayaktionen.Vergrößern des Bildes
Stoff für Aluhutträger: Verschwörungsideologen interpretieren in Kondensstreifen Sprayaktionen. (Quelle: U. J. Alexander/imago-images-bilder)

Kondensstreifen von Flugzeugen beflügeln die Fantasie von Verschwörungsideologen. Nun antwortet Sachsens Landesregierung auf ungewöhnliche Weise auf eine Kleine Anfrage hierzu.

Seit Jahren kursiert unter Verschwörungsideologen die Vorstellung, in Kondensstreifen einiger Flugzeuge seien giftige Chemikalien enthalten. Diese dienten dazu, wahlweise Geo-Engineering zu betreiben, also das Wetter künstlich mit chemischen Stoffen zu manipulieren oder die Menschen zu vergiften. "Chemtrails" nennen sie diese Kondensstreifen daher.

Nun wollte der Polizist Sebastian Wippel, seit 2014 AfD-Landtagsabgeordneter, in einer Kleinen Anfrage vom sächsischen Umweltminister Wolfram Günther (Die Grünen) wissen, was dran sei an der "zielgerichteten Einbringung von Chemikalien in die Atmosphäre" für "Zielsetzungen wie das Geo-Engineering oder die Bevölkerungsreduktion". Er erkundigte sich nach Erkenntnissen zur systematischen "Einbringung von Substanzen".

"Bis zu 23 weitere Substanzen" in Chemtrails

Seit fast 20 Jahren werden regelmäßig solche Fragen vorzugsweise von Abgeordneten aus Parteien des politischen Randes gestellt. Eigentlich bekommen sie seither mehr oder weniger die gleichen Antworten: Es gebe keine "Chemtrails" – es handele sich um Kondensstreifen.

Umweltminister Günther hat es nun in seiner Antwort auf Wippels Kleine Anfrage mit Humor versucht. Er schreibt zunächst, dass nicht bekannt sei, ob "Chemtrails" existierten und fährt dann fort: "Ebenfalls ist nicht bekannt, ob derartige Substanzen bei der möglicherweise erfolgten Verbringung des Gegenstandes, der vielfach als Heiliger Gral bezeichnet wird, in die Erdatmosphäre freigesetzt worden sein könnten." Günther doziert dort sogar, die – nicht existierenden – "Chemtrails" könnten sich aus "dieser oder bis zu 23 weiteren Substanzen" zusammensetzen.

Auf die Idee, mit dem Heiligen Gral zu antworten, also an eine Legende aus dem Mittelalter anzuknüpfen über ein wundersames, machtvolles Gefäß, sei noch niemand gekommen, sagt Jörg Lorenz, Autor des Buches "Das Chemtrailhandbuch" und Betreiber der Seite chemtrail-fragen.de. "Solche Anfragen gab es immer mal wieder. Ursprünglich in Deutschland von der NPD, später parteiübergreifend."

Sachsen hätte über den Versuch des Scherzes hinaus aber durchaus besser antworten können, findet Lorenz, der sich intensiv mit Luftfahrt und Wetterkunde befasst. "Fragen und auch die Antworten sind von Unkenntnis geprägt."

Kleinigkeit kann reichen für Streifenbildung

Bei manchen Wetterlagen genügt der durch Flugzeuge freigesetzte Wasserdampf zusammen mit dem Ruß der Triebwerke, um in feuchter Luft kleine Tröpfchen zu bilden, die sofort gefrieren und als Wolken zu sehen sind. Abhängig von Triebwerkstechnik und Klimabedingungen bilden sie sich unterschiedlich schnell und bleiben unterschiedlich lang in der Luft.

Denn: Günther schreibt auch, dass Sachsen keine Daten zur Konzentration von chemikalischen Stoffen wie Aluminium, Barium und Strontium aus dem Luftqualitätsmessnetz habe und Messwerte an 56 sächsischen Bodendauerbeobachtungsflächen (BDF) kein einheitliches Bild ergäben: Aluminium sei kaum vorhanden, Barium-Werte seien konstant oder würden sinken, bei Strontium sei zum Teil ein Rückgang, zum Teil ein Anstieg gemessen worden. Soll wohl heißen: Wenn Flugzeuge, warum auch immer, derartige Chemikalien sprühen würden, hätten sie auf sächsischem Boden zumindest keine Spuren hinterlassen.

Die Frage sei schon methodischer Unsinn, sagt Lorenz: "Solche Proben haben rein gar nichts zu bedeuten, weil die Stoffe natürlich vorkommen und durch industrielle Prozesse ausgebracht werden." Das Ministerium verweist da selbst auf Reifenabrieb.

Aber auch Feuerwerk, gegen dessen Verbot sich die AfD populistisch stark gemacht hat, trage zur Verbreitung der Stoffe bei, so Lorenz. "Strontium- und Bariumverbindungen färben Raketen rot und grün, Aluminium wird als Reduktionsmittel verwendet und verursacht die silbrigen Funken." Wenn es "systematische Einbringung" gäbe, dann nicht durch Flugzeuge, sondern durch Böllerei in der Silvesternacht.

Wissenschaftler analysisieren schon lange

Lorenz sagt: Wenn man tatsächlich nach "Chemtrails" suchen wolle, müsste man am Himmel messen. Dazu gibt es Veröffentlichungen des Umweltbundesamts. Die Behörde verwies schon im März 2011 auf seit vielen Jahren laufende Untersuchungen des Instituts für Physik der Atmosphäre des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zu Emissionen des Luftverkehrs auf die Atmosphäre: Versprühtes Barium, Strontium oder Aluminium wurden nicht gefunden.

Keine Erkenntnisse also – die EU-Kommission beantwortete das bereits 2007, als ein sozialistischer Abgeordneter nach den "möglicherweise durch Barium, Aluminium und Eisen verursachten langanhaltenden milchigen Schleiern" fragte. Bürger in den USA und in Kanada beklagten seit 1999 solche "in zunehmendem Maße in der Luft vorhandene Flugzeugspuren eines neuen Typs", erklärte er.

Das deutsche Umweltbundesamt stellte vermehrte Fragen seit 2004 fest, als ein Artikel "Die Zerstörung des Himmels" in einem pseudowissenschaftlichen Magazin erschienen war. Der 2022 ausgeschiedene niedersächsische CDU-Landtagsabgeordnete Martin Bäumer stellte sogar beharrlich drei Anfragen. Wippels Fragen lesen sich fast wie kopiert. Nun hat er eine bislang einzigartige Antwort bekommen.

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