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Tea-Party-Bewegung in den USA: Die konservative Lawine


Politik
Die konservative Lawine

t-online, Von Lukas Martin

Aktualisiert am 28.10.2011Lesedauer: 8 Min.
Zurück zu den Wurzeln: Tea-Party-Anhänger demonstrieren vor dem KapitolVergrößern des BildesZurück zu den Wurzeln: Tea-Party-Anhänger demonstrieren vor dem Kapitol (Quelle: dpa-bilder)
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Vor 18 Monaten haben die Kandidaten der Tea-Party-Bewegung noch auf Mall-Parkplätzen in Megafone geschrien, um ihre Anhänger zu erreichen. Inzwischen haben sie beide Kammern des US-Kongresses durchdrungen und rechnen sich große Chancen aus, den nächsten Präsidenten zu stellen. Ultrakonservative, die Wissenschaften ablehnen? Christliche Extremisten, die Obama für den gefährlichsten Islamisten halten? Oder ganz normale Amerikaner, die nur den Schuldenwahnsinn stoppen wollen?

Alles begann mit ein paar Zöpfen und Federn. Im Januar 2009 protestierten Mitglieder der "Americans for Liberty“ in New York gegen Steuern auf Limonaden. Die hatte Gouverneur David Paterson gefordert, weil Soft Drinks ungesund sind und dick machen. Mehrere Demonstranten hatte sich als Indianer verkleidet, ganz wie die amerikanischen Siedler, die im 18. Jahrhundert bei der sogenannten Tea Party Tee in den Bostoner Hafen kippten, um gegen die Steuern der Engländer zu protestieren – und damit die Unabhängigkeitsbewegung der USA entscheidend voranbrachten. Die Aktion in New York wurde sofort von Bloggern aufgegriffen und stieß landesweit auf großes Echo. Der Begriff "Tea Party“ wurde sofort mit neuem Inhalt gefüllt: Tea steht seitdem für "Taxed enough already“ (Schon genug besteuert). Heute ist die Tea-Party-Bewegung die einflussreichste Gruppe innerhalb der republikanischen Partei.

Weniger Staat, weniger Religion - die Ansichten

"Die Tea-Party-Bewegung versucht sich als eine spontane, unideologische Protestgruppe gegen hohe Steuern und das riesige Staatsdefizit der US-Regierung darzustellen“ sagt Charles Postel, amerikanischer Historiker und Experte für die Tea-Party-Bewegung. "In Wahrheit repräsentieren diese Leute die konservative Bewegung in Amerika, die die äußerste Rechte des politischen Spektrums darstellt. Seit einem halben Jahrhundert warten sie darauf, ihre Werte durchzusetzen.“

Warum kommt die Tea Party ausgerechnet jetzt groß raus? "Erst als die Finanzkrise durch die neue Massenarbeitslosigkeit das Land tief verunsichert hat und fast gleichzeitig Obama gewählt wurde, ist eine Mischung aus Angst und Wut entstanden, die das Phänomen Tea Party möglich gemacht hat.“

Für die Tea-Party-Anhänger verstößt jede soziale Absicherung gegen die Verfassung, denn wer arm ist, ist selbst daran schuld. Steuern riechen nach Diebstahl, gleiche Chancen für Minderheiten und Umweltschutz sind nicht Aufgabe des Staates; die USA sollten aus den Vereinten Nationen austreten, die Macht sollte Washington entzogen und den Einzelstaaten gegeben werden. Darunter mischen sich allgemeine konservative Ansichten: Abtreibung sollte verboten und die Homo-Ehe abgeschafft werden und Amerika muss endlich wieder zu den Werten der Gründerväter zurückkehren.

"Die zentrale Idee der Konservativen ist die Rückkehr zu den Prinzipien der Verfassung“, erklärt Postel, "sie lassen aber nur einige Prinzipien gelten, zum Beispiel das Recht, Waffen zu tragen oder die Unabhängigkeit der Staaten. Wenn Washington eine Politik fährt, die einem nicht passt, pocht man einfach auf die Rechte des Bundesstaates – das haben schon die Sklavenhalter so gemacht. Wenn sie von einer schlanken Regierung reden, meinen sie in Wirklichkeit, dass sie gewisse Dinge schlank haben wollen – allerdings wollen sie ein großes Militär und ein großes Gefängnis-System.“

Und die Religion? "Sie spielt bei bei der Tea Party keine zentrale Rolle“, sagt Michael Hochgeschwender, Professor für Kulturgeschichte in München. "Es findet momentan eine Repolitisierung statt. Die Neo-Fundamentalisten unter George W. Bush haben alles aus der religiösen Perspektive interpretiert. Die Tea-Party-Anhänger sehen alles aus der politisch-wirtschaftlichen Sicht – auch wenn viele persönlich tief religiös sind. Bush war sehr sozial eingestellt, nur sollte die Wohlfahrt nicht der Staat, sondern die Kirche übernehmen. Die Tea Party lehnt jede Wohlfahrt ab, denn das Individuum soll sich selbst helfen.

Das große Geld - wer dahinter steht

Die Tea Party ist tatsächlich eine Bewegung, die auch an der sogenannten Basis stattfindet – In Umfragen bezeichnen sich bis zu 30 Prozent der Amerikaner als Anhänger oder zumindest Sympathisanten der Bewegung. Was sie aber so erfolgreich und für ihre Gegner so gefährlich macht, ist ihre Organisation:

"Die Konservativen hatten viele Jahre Zeit, sich zu organisieren. Seit der Kandidatur von Barry Goldwater im Jahr 1964 haben diese Leute im Stillen gearbeitet. Sie haben Strukturen aufgebaut, einflussreiche Think Tanks gegründet, Komitees eingerichtet, Lobbyarbeit betrieben, regelrechte Schulen für ihre Ideologie geschaffen - alles unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit“, sagt Postel.

Das Geld dafür stammt von einigen der reichsten Unternehmer der USA. Große Schlagzeilen machte das Engagement der Koch-Brüder, die viele Milliarden Dollar besitzen und einiges davon in die "Freedom Works“ gesteckt haben, eine Organisation, die Freiwillige für die konservative Sache gewinnt, sie für Kampagnen schult, aber auch Politiker mit Argumenten, Ansichten und Unterstützung versorgt. Andere Geldgeber sind unter anderem die Telefongesellschaft AT&T, der Chemie-Riese Bristol Myers-Squibb und der Zigarettengigant Philip Morris.

Fox News und Mundpropaganda - die Medienmaschine

"Die Schlüsselrolle im System Tea Party nimmt Fox News ein. Sie berichten nicht nur über die Tea Party, sie sind ihr Sprachrohr und verbreiten die Unwahrheiten der Bewegung“, sagt Postel. Zwar hat der populärste Nachrichtensender der USA nur 1,2 Millionen Zuschauer pro Tag. Das Echo hallt aber über Tausende von konservativen Webseiten, wird von Zeitungen und Radiosendern aufgegriffen - und erreicht durch Mundpropaganda Millionen von Amerikanern, die überhaupt keine politische Berichterstattung verfolgen.

"Fox News gehört Rupert Murdoch und damit zum machtvollsten Medienapparat in der Geschichte der Menschheit. Der Sender verbreitet Nachrichten, dass Obama den Amerikanern die Waffen wegnehmen will und den Sozialismus einführt - auch wenn das völlig absurd ist. Obama hat zum Beispiel den Waffenbesitz eher erleichtert als eingeschränkt. Die Konservativen lassen dann ihre eigene Armee von Experten auftreten, die das auch noch bestätigen. So etwas hat es in den USA noch nie gegeben", sagt Postel. Die Tea-Party-Wähler sind über die Mainstream-Medien kaum zu erreichen: Gerade Sarah Palin versucht sehr erfolgreich, die großen Sender und Tageszeitungen als Lügner darzustellen.

Überall Verschwörungen - die Taktik

Mit Hilfe von Fox News nährt die Tea Party eine ganze Reihe von Verschwörungstheorien, die meisten verbreiten offensichtliche Lügen über Barack Obama. Charles Postel sieht das mit großer Sorge: "Die Bewegung spaltet die USA dadurch so extrem, wie es die meisten Amerikaner noch nie erlebt haben." Der Großteil der Republikaner glaubt, dass Barack Obama nicht ihr rechtmäßiger Präsident ist; dass er nicht in den USA geboren ist, dass er Stimmen gekauft hat, dass er gegen die Verfassung den Sozialismus einführt, dass er Amerika islamisieren will. "Das letzte Mal gab es so etwas in den 50er Jahren während der McCarthy-Ära, als extremistische Republikaner Jagd auf sogenannte Kommunisten machten.“

Die Tea Party verfährt nach dem Motto: Wenn man etwas oft genug wiederholt, bleibt immer irgendetwas bei den Menschen hängen. "Ein gutes Beispiel ist die Klimaerwärmung. Zunächst war es nur eine ganz kleine Minderheit, die bestritten hat, dass sie stattfindet“, sagt Hochgeschwender. Über 70 Prozent der Tea-Party-Anhänger sagen heute, es gebe überhaupt keine Beweise für die Klimaerwärmung. Inzwischen glaubt das auch die Mehrheit der Republikaner. Der Meinungsumschwung ist dramatisch: Noch vor vier Jahren sagten 62 Prozent der Republikaner, dass es deutliche Hinweise auf einen vom Menschen verursachten Temperaturanstieg gebe. Für die Konservativen ist der Klimawandel eine Waffe, die die Demokraten erfunden haben, um durch Umweltschutz die freie Wirtschaft zu gängeln und das Land in den Sozialismus zu treiben.

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Charles Postel hält sogar das Wettern gegen die hohen Steuern für Hysterie: "Wir haben im Moment in den USA so niedrige Steuern wie seit Jahrzehnten nicht. Die Reichen haben seit der Einführung der Einkommenssteuer im Jahr 1913 nicht mehr so wenig Steuern bezahlt. Viele Amerikaner fragen sich: Wogegen protestieren sie eigentlich?“ Ganz typisch für die Bewegung: Ein solcher Widerspruch stellt überhaupt kein Problem dar. Fakten sind unwichtig, solange die Tea-Party-Anhänger das Gefühl haben, dass es so ist - und ihnen dieses Gefühl immer und immer wieder bestätigt wird. So tauchen sie in die konservative Parallelwelt ab, in der ihnen niemand widerspricht - und beschwören ein verklärt-nostalgisches Bild von der Vergangenheit, der guten alten Zeit der Gründerväter.

Republikaner im Schwitzkasten - die Wirkung

Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, überschüttete die Tea Party noch Ende 2009 mit Hohn: "Das ist keine Graswurzel-Bewegung, das ist Kunstrasen.“ Inzwischen ist den meisten Demokraten und vielen Republikanern das Lächeln gefroren. Die Tea Party ist dabei, die republikanische Partei zu übernehmen. 60 Abgeordnete des Kongresses sind schon Mitglieder im Tea-Party-Gremium, bei den Wahlen im 2010 kam eine regelrechte Flut von Konservativen ins Repräsentantenhaus.

Durch ihre Aggressivität und ihre Auftritte in den konservativen Medien sind sie in der Lage, auch die anderen Abgeordneten in die Enge zu treiben. "Sie haben es geschafft, die moderaten Republikaner aus ihrem Amt zu drängen oder ruhig zu stellen. Meinungen wie öffentliches Geld für Universitäten oder eine Reform der Zuwanderungspolitik werden in der Partei einfach nicht mehr vertreten." Fortschrittliche Republikaner gebe es fast überhaupt nicht mehr, auch keine Politik, wie Schwarzenegger sie gemacht hat – konservativ aber ökologisch. "Unorthodoxe Republikaner wurden ausradiert“, sagt Postel.

Die Konservativen haben aus den Republikanern eine viel ideologischere Organisation gemacht, die immer mehr nach rechts schwenkt. "Verschwörungstheorien und Hass auf Präsident Obama dominieren jetzt eine von nur zwei großen Parteien in den Vereinigten Staaten“, klagt Postel.

Die Liste prominenter Mitglieder der Bewegung beschränkt sich nicht mehr nur auf Sarah Palin - Michelle Bachman, Ron Paul, Herman Cain und Rick Perry bestimmen das Rennen um den Präsidentschaftskandidaten mit. Aber auch die anderen Anwärter buhlen um die Stimmen der äußersten Rechten.

Der amerikanische Wutbürger- die Wähler

Die Umfragen zeichnen ein klares Bild der Anhänger: Republikaner, weiß, männlich, verheiratet, älter als 45 und wohlhabender als der Durchschnitt. "Die Tea Party ist vor dem Hintergrund der Angst vor der Finanzkrise, vor dem Hintergrund des Hasses auf Obama vor allem bei der weißen Mittelklasse erfolgreich."

"Die älteren Wähler sehen die Sozialversicherung oft als ungerechtes Geschenk für die Schwarzen, haben aber gar nichts dagegen, in den Genuss der Krankenversicherung für Ältere zu kommen. Da spielt auch der Rassismus ein große Rolle, wobei der paradoxerweise nicht immer an Rassengrenzen verläuft“, sagt Hochgeschwender. Schwarz sei in den USA immer eine Sache der Wahrnehmung, nicht nur eine der Hautfarbe - das passt in die Erfolgsideologie der Bewegung. Viele sehen den Tea-Party-Kandidaten Herman Cain nicht als Schwarzen, weil er erfolgreich ist. "Schwarz, das ist der Rapper im Ghetto“, so Hochgeschwender. "Die Wähler verschieben sich immer mehr Richtung weißer Vorstadt. Sie haben keinen Bezug mehr zur armen Unterschicht, die in den Ghettos der Innenstadt wohnt."

Ein Klassenkampf von oben? "Die weiße Mittelschicht ist Opfer ihrer eigenen Ideologie. Die obersten zwei bis fünf Prozent der Gesellschaft sind in den letzten Jahrzehnten so reich geworden, wie man sich das gar nicht vorstellen kann. Die Mittelklasse hat stagniert. Durch den Häusermarkt hatten sie auch etwas von dem Aufschwung abbekommen. Der brach aber 2008 zusammen.“ Jetzt kämpfe die Mittelklasse gegen den Absturz – und gegen die Armen.

Die Anhänger selbst bezeichnen sich selbst meist als sehr konservativ, sehr enttäuscht und sehr wütend über die Politik in Washington. Die Wut macht sie so entschlossen, entschlossen genug, um auch als Minderheit eine Mehrheit zu dominieren.

Die Tea-Party Anhänger mögen Obama nicht, weil er zu intellektuell und zu urban ist. Der Präsident begünstige mit seiner Politik nur die Armen, das Land sei auf einem völlig falschen Weg. Ein weiteres Zeichen, dass die Tea-Party-Wähler in ihrer konservativen Welt isoliert sind: Über 90 Prozent sind sich sicher, dass der nächste Präsident ein Republikaner ist. Egal, wer antritt. Diese Meinung deckt sich mit keinem seriösen Umfrageergebnis.

Suche nach dem Kommunikator - die Zukunft

"Die Tea Party wurde über Nacht erfolgreich, in nur 14 Monaten – genauso schnell kann sie auch wieder verschwinden“, sagt Charles Postel. Man könne aber nur schwer sagen, wo ihre Reise hingeht. "Das schlechteste, was der Bewegung passieren könnte, wäre ein Tea-Party-Präsident. Er würde die Konservativen in eine tiefe Krise führen, weil dann die ganzen Lücken in der Argumentation zu Tage treten – die Leute würden der Tea Party sehr, sehr schnell müde werden.“

Diese Meinung teilt Michael Hochgeschwender: "Ein Tea-Party-Präsident würde nach vier Jahren vor einem Trümmerhaufen stehen. Es ist eine typische Protestbewegung die aber irgendwann mit den Widersprüchen in der eigenen Ideologie umgehen muss. Momentan lebt sie von der guten Organisation. Sie braucht aber unbedingt jemanden, der radikale Werte mehrheitsfähig verpackt. So wie Ronald Reagan damals." Einen Kandidaten mit dem Charisma des großen Republikaners muss die Tea-Party-Bewegung aber erst noch finden.

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