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Markus Söder in der Migrationsdebatte: Will er so die AfD überbieten?


Tagesanbruch
Es knallt

MeinungVon Tim Kummert

Aktualisiert am 27.09.2023Lesedauer: 6 Min.
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München: CSU-Chef Markus Söder.Vergrößern des Bildes
München: CSU-Chef Markus Söder. (Quelle: Peter Kneffel/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

ich möchte Ihnen an diesem Morgen die Geschichte einer Verwandlung erzählen. Es war vor knapp vier Jahren, im November 2019. Gemeinsam mit einem Kollegen fuhr ich damals nach Bayern zu einem Interview mit Markus Söder. Er empfing uns in seiner Staatskanzlei, einem Bau, der wie eine Mischung aus Aquarium und Barockschloss aussieht. Hoch über München betrat Söder den Raum – und blieb stehen. Söder musterte uns, und wir musterten Söder. Die Sekunden verstrichen. Es wirkte, als würde er sich eine Aura verleihen wollen. Die Aura von einem, der in sich ruht.

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Anschließend sagte Söder ein paar sehr klare Sätze. Beispielsweise: "Die AfD ist die neue NPD." Oder: "Es ist wichtig, die konservative Seite unserer Parteien zu betonen. Das ist die DNA der Union." Und dann sagte er noch: "Doch wer den Fehler macht, sich bei den Populisten anzubiedern, der wird erleben, dass er diese nicht überbieten kann."

Ein Jahr zuvor hatte er im bayerischen Landtagswahlkampf genau das versucht: Die Populisten zu überbieten. Er hatte scharf gegen den "Asyltourismus" gewettert. Keine Metapher war ihm zu scharf, kein Vergleich groß genug, wochenlang ging das so. Doch Söder scheiterte. Die AfD erreichte 10,2 Prozent. Daraufhin gab sich Söder also im t-online-Interview geläutert. Seinen Fehler wollte er nicht wiederholen. Wähler wollte er künftig ohne Populismus gewinnen, mit ruhigen, ausgeklügelten Plänen überzeugen. So wirkte Söder zumindest.

Nun sind vier Jahre vergangen und Söder spricht wieder viel über Migrationspolitik. Seinen Plan von damals scheint er verworfen zu haben. Denn sein Lieblingswort dabei lautet heute zwar nicht mehr "Asyltourismus". Sondern: "Integrationsgrenze". Diese soll bei 200.000 Flüchtlingen liegen. Mehr Menschen könne Deutschland pro Jahr nicht aufnehmen.

Söder betont das immer wieder. Dass das mit einer starren Zahl nicht so einfach ist, ließ sich bereits am Sonntag bei "Anne Will" beobachten, als er mit Argumenten konfrontiert wurde, die dagegen sprachen. Söder eierte da plötzlich herum: Na ja, so klar könne man das nicht sagen, natürlich sei die Zahl nur ein Richtwert. Aber: Hauptsache, es ist jetzt mal Schluss mit immer mehr Menschen, so lässt sich sein Auftritt zusammenfassen.

Sein Auftreten ist wieder wie im Jahr 2018. Nur mit anderem Vokabular. Söder bedient sich der Methode Haudrauf, um Wählerstimmen zu generieren. Um die AfD kleinzuhalten. Und vor allem, um die Anfang Oktober in Bayern anstehende Landtagswahl zu gewinnen.

Nun war Markus Söder schon immer ein Politiker, der so stark wie niemand sonst seine Popularität aus den Mehrheiten zog. Wohin sich der Wind in den Umfragen auch wendete, dort stand Markus Söder. Das führte mal dazu, dass er Bäume umarmte als Beweis seiner Umweltverbundenheit. Und mal dazu, dass die Polizei München, die Söders Innenminister Hermann unterstellt ist, in der Corona-Pandemie allen Ernstes verkündete, es sei verboten, auf einer Parkbank ein Buch zu lesen. Position Söders war, was gerade als opportun erschien.

Doch in der Migrationspolitik ist das besonders gefährlich. Es geht um Menschen, die Hilfe suchen. Und um Menschen, die es verunsichert, wenn in ihrem Dorf plötzlich Hunderte von Migranten auftauchen. Wenn Söder nun erneut versucht, die AfD mit einer Art "Asyltourismus Light"-Politik rechts zu überholen, dann wiederholt er nicht nur einen Fehler. Sondern verliert auch an Glaubwürdigkeit, dass er es mit einer ausgeruhten Strategie wirklich ernst gemeint hat.

Markus Söder beantwortet die Frage gar nicht, was eigentlich konservative Asylpolitik im Jahr 2023 ist. Alle paar Jahre möglichst laut nach einer Obergrenze zu rufen, ist zu wenig. Söder weiß, dass sie gegen das EU-Recht verstoßen würde. Doch er fordert sie trotzdem, eben weil sie so schön griffig klingt. Das ist politisches Theater.

Söder ist einer der einflussreichsten Politiker der Union. Und die Probleme in den Kommunen sind real, der Staat muss handeln, um die aktuelle Lage in den Griff zu bekommen. Es gäbe ausreichend kluge Ansätze, um auch als Konservativer über Lösungen nachzudenken. Ja, finanzielle Unterstützung kann als Sachleistung an Migranten ausgehändigt werden. Doch Söder kündigt das erst jetzt an, kurz vor der Wahl – obwohl er das schon seit Langem in seinem Land hätte umsetzen können.

Es gäbe einiges zu klären. Die Frage, von welchen kommunalen Modellen man lernen kann, weil sie kreativ Kapazitäten schaffen oder vorhalten. Wie sich Bürokratie mit einfachen Hebeln abbauen lässt, um eine möglichst große Wirkung zu erzielen. Und ja, auch wie Menschen, die kein Aufenthaltsrecht haben, zügiger abgeschoben werden können.

Das sind die Fragen, die wirklich vor Ort gelöst werden müssen. Doch die Antworten auf diese Fragen sind nicht in einfache Botschaften zu packen, ja sie sind teilweise nicht mal einfach zu finden. Söder weiß das und deshalb redet er nicht darüber.

Stattdessen spricht er bei öffentlichen Auftritten lieber lang und breit über die Obergrenze. So geht es weder in der Migrationspolitik vorwärts, noch finden konservative Wähler Antworten – und es hilft auch dem Wahlkampf der CSU nicht. Im Gegenteil. Die liegt in den Umfragen aktuell recht stabil zwischen 36 und 37 Prozent. Die AfD hat in Bayern im Vergleich zur letzten Wahl zugelegt. Sie steht nun bei 13,3 Prozent.


Was steht an?

Die Debatte um die Migrationspolitik wird nicht nur in München, sondern heute auch intensiv in Berlin geführt. Um 10 Uhr trifft sich der Innenausschuss des Deutschen Bundestages zu einer Sitzung, auch Innenministerin Nancy Faeser wird dazu erwartet. Ebenfalls um 10 Uhr findet eine Pressekonferenz des Berliner Instituts für Bevölkerung und Entwicklung statt. Der Titel der Studie, die vorgestellt wird: "Alle sollen teilhaben – Wie Kreise und kreisfreie Städte Integration neu denken".


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Sie nutzen den großen Hebel: Sechs Jugendliche aus Portugal verklagen 32 EU-Staaten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Heute findet die erste Anhörung statt. Bei ihrer Klage geht es vor allem um die Frage, ob genug für den Klimaschutz getan wird. Sollten sie Recht bekommen, müssten die Regierungen der EU-Mitgliedsländer und der mitangeklagten Staaten Norwegen, Russland, Türkei, Schweiz und Großbritannien strengere Klimaziele einhalten.

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Ohrenschmaus

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Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser steht massiv unter Druck. Doch Olaf Scholz hält trotzdem an ihr fest. Warum? Das erklärt meine Kollegin Sara Sievert in diesem Text.


Zum Schluss

Manche belauern sich in ihren Beziehungen auf ganz eigene Weise.

Morgen schreibt an dieser Stelle wieder unser Chefredakteur Florian Harms für Sie. Kommen Sie gut in diesen Mittwoch – und bewahren Sie einen kühlen Kopf.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Tim Kummert
Politischer Reporter im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @TKummert

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Mit Material von dpa.

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