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Ukrainer über russische Gefangenschaft: "Ich war ein Stück fauliges Fleisch"


Ukrainer über russische Gefangenschaft
"Ich war nur ein Stück triefendes, fauliges Fleisch"

Von afp
Aktualisiert am 22.08.2022Lesedauer: 3 Min.
Ukrainischer Soldat: Er und seine Kameraden stellen sich auf einen lange andauernden Krieg ein. (Quelle: Glomex)
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Der ukrainische Soldat Wladyslaw Schaiworonok geriet nach dem Kampf von Mariupol in russische Gefangenschaft. Dort hielt man ihn gerade so am Leben.

Im sommerlichen Kiew scheint der Krieg im Osten der Ukraine weit weg. Inmitten des geschäftigen Gedränges steht Wladyslaw Schaiworonok, auf Krücken gestützt, das Abzeichen des ukrainischen Asow-Regiments auf der Brust. Sein linkes Hosenbein ist leer. Hinter dem 29-jährigen ukrainischen Soldaten, über dem Eingang des Rathauses, hängt ein großes Banner mit der Aufschrift: "Befreit die Verteidiger Mariupols".

Schaiworonok hat in der südukrainischen Hafenstadt gekämpft, bis er verletzt und gefangen genommen wurde. "Es wurde schlimmer und schlimmer, härter und härter", erzählt er über die letzten Tage der russischen Belagerung. "Wir haben die Verteidigung so lange aufrechterhalten, wie es ging", sagt er über die Kämpfe im Asow-Stahlwerk, die zu den erbittertsten des inzwischen sechs Monate andauernden Kriegs gehörten.

Am 24. Februar hatten russische Truppen die Ukraine überfallen und die strategisch wichtige Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer innerhalb weniger Tage eingekreist. Schaiworonok erzählt, er und seine Kameraden hätten im März Stellung im riesigen Asow-Stahlwerk bezogen. Unter ständigem Beschuss habe er sein Lager in einem halb zerstörten Bunker eingerichtet und tagsüber seinen Dienst als Drohnenpilot verrichtet. "Das gesamte Gebiet war mit Gebäudebruchstücken übersät", erzählt er.

Bewusstlos und mit amputiertem Bein

Trotz der sich rapide verschlechternden Situation im Stahlwerk sei die Moral unter den Ukrainern gut gewesen, berichtet der 29-Jährige. Sie hätten eine Art Entscheidungsschlacht erwartet und sich darauf vorbereitet.

Am 15. Mai wurde Schaiworonok beim Einschlag einer Panzerabwehrrakete verletzt und halbtot in den "Medizinbunker" geschafft. Am nächsten Morgen wurde sein Bein amputiert. Im Anschluss war er nur wenige Sekunden bei Bewusstsein, bevor er aus dem Asow-Stahlwerk getragen wurde. Er erinnere sich daran, russische Soldaten gesehen zu haben, die das Symbol "Z" trugen, erzählt der Ukrainer.

Wegen seiner schweren Verletzung blieb ihm eine Internierung in der berüchtigten Haftanstalt von Oleniwka erspart, in der Berichten zufolge bei einer Explosion vergangenen Monat Dutzende ukrainische Gefangene getötet wurden. Stattdessen wurde Schaiworonok in ein Krankenhaus in der Region Donezk gebracht, wo ihn eine andere Art des Leidens erwartete.

Gerade so viel Essen, "damit das Herz nicht stehen bleibt"

"Es gab keinen Kontakt zu Verwandten, keinen Zugang zum Telefon", erzählt er. Die medizinische Versorgung sei "sehr minderwertig" gewesen, Medikamente knapp. "Ich war einfach nur ein Stück triefendes, fauliges Fleisch", erinnert sich der Soldat. Erst ab dem fünften Tag habe er Antibiotika bekommen. Er und drei weitere Soldaten auf seiner Station hätten gerade genug Essen bekommen, "damit das Herz nicht stehen bleibt".

Seine eineinhalb Monate Gefangenschaft endeten ohne Vorwarnung. "Wir wurden um vier Uhr morgens geweckt, die Listen wurden vorgelesen, wir wurden nach draußen gebracht, auf Busse verladen und fuhren bis zum Abend", erzählt Schaiworonok. Er und rund hundert weitere verletzte ukrainische Gefangene konnten das Krankenhaus im Zuge eines Gefangenenaustauschs verlassen.

Seine schweren Verletzungen versucht Schaiworonok mit einem Scherz herunterzuspielen: "Ich habe unseren Ärzten viel Arbeit gegeben." Als Berufssoldat erfülle er trotz seiner Verletzungen weiter gewisse militärische Verpflichtungen, sagt der 29-Jährige, der in sehr ruhigem Ton von seinem Schicksal erzählt. Nur einmal versagt kurz seine Stimme, als er über die Tausenden Ukrainer spricht, die noch in russischer Kriegsgefangenschaft sind. "Es lässt mir keine Ruhe. Das drückt von innen heraus. Wenn die Jungs zurück sind, werde ich in der Lage sein, freier zu atmen."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur AFP
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