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Ukraine-Krieg | Fakten-Check: So steht es tatsächlich um Putins Fähigkeiten


Scharfe Kritik am Bundeswehrinspekteur
So steht es tatsächlich um Putins Fähigkeiten

Von t-online, cli

Aktualisiert am 16.09.2022Lesedauer: 4 Min.
Generalinspekteur Eberhard Zorn: Er hatte mit seinen Äußerungen für internationale Kritik gesorgt.Vergrößern des BildesGeneralinspekteur Eberhard Zorn: Er hatte mit seinen Äußerungen für internationale Kritik gesorgt. (Quelle: Christian Spicker/imago-images-bilder)
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Äußerungen des Bundeswehrinspekteurs Eberhard Zorn zum Krieg in der Ukraine haben deutliche Kritik ausgelöst – auch international. Was ist dran an den Statements? Ein Faktencheck.

Er spricht von Gegenstößen und nicht von einer ukrainischen Gegenoffensive. Und er sieht weitere Lieferungen schwerer Waffen kritisch und warnt vor einer zweiten Kriegsfront in Europa: Eberhard Zorn, Generalinspekteur der Bundeswehr, hat in dieser Woche mit Aussagen zum Krieg in der Ukraine viel Wirbel ausgelöst – auch international.

Seine Aussagen stammen aus einem Interview mit dem Magazin "Focus", das an diesem Samstag erscheint. Die Statements, die vorab veröffentlicht worden waren, wurden auch in englischer Sprache verbreitet. Am Donnerstag griff Zorn einige der Punkte in einer Rede bei der Bundeswehrtagung in Berlin auf.

Zorn spiegele "als Generalinspekteur der Bundeswehr die Bewertung des Verteidigungsministeriums beziehungsweise der Bundeswehr wider", sagte ein Ministeriumssprecher. Was aber ist dran an seinen Äußerungen?

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Aussage von Zorn: Die Ukraine könne mit "Gegenstößen" zwar Orte oder einzelne Frontabschnitte zurückgewinnen, aber sie könne Russland nicht "auf breiter Front" zurückdrängen. Von einer Gegenoffensive will er nicht sprechen.

Fakten: Ab wann man von einer Groß- oder Gegenoffensive sprechen kann, ist nicht klar definiert. Fest steht, dass die Ukraine entlang der etwa 1.300 Kilometer langen Frontlinie Hunderte Orte zurückerobert hat; teils ergriffen russische Soldaten panikartig die Flucht. Laut dem "Institute for the Study of War" und dem britischen Geheimdienst erzielte die Ukraine zunächst Rückeroberungen von 3.000 Quadratkilometern und drängte die russische Frontlinie etwa 50 bis 70 Kilometer zurück. Der ukrainische Präsident sprach am 12. September von 6.000 Quadratkilometern. Bundeswehrinspekteur Zorn spricht in diesem Zusammenhang von "taktischen Erfolgen", doch Russland halte an seinen Kriegszielen fest.

Aussage von Zorn: Russland könnte eine zweite Front eröffnen. "Kaliningrad, die Ostsee, die finnische Grenze, Georgien, Moldau … es gibt viele Möglichkeiten", sagte Zorn dem "Focus".

Fakten: Mehrere Länder fürchten tatsächlich sehr konkret die Putin'sche Aggression. In Moldau etwa herrscht seit 1992 der Konflikt um die Region Transnistrien im Osten des Landes, im Land sind bereits russische Streitkräfte stationiert. Mehr dazu lesen Sie hier. Moldau ist kein Nato- und kein EU-Mitglied und fürchtet daher, dass Russland das Land eher angreifen könnte als einen Nato-Staat, der durch das Bündnis besonderen Schutz genießt.

Die russische Exklave Kaliningrad stand zuletzt im Fokus, weil Litauen, in der Folge neuer Sanktionen, die Lieferwege für russische Waren durch das eigene Territorium in die Exklave blockiert hatte. Daraufhin drohte Russland mit Vergeltung, warnte vor "harten Maßnahmen". Die blieben zwar aus, die Verunsicherung gibt es aber im Baltikum schon seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Heftiger Gegenwind bekommt Bundeswehrinspekteur Zorn dennoch von Ex-US-Kommandeur Ben Hodges: "Finnland allein würde die russischen Truppen schlagen", schreibt Hodges auf Twitter, "Litauen und Polen würden Kaliningrad innerhalb von einer Woche komplett einnehmen und die russische Marine versteckt sich hinter der Krim, obwohl die Ukraine nicht mal eine Marine hat."

Aussage von Zorn: Putin hätte genug Soldaten für einen weiteren Angriff: "Auch wenn etwa 60 Prozent seiner Landstreitkräfte im Ukraine-Krieg gebunden sind, verfügen die Landstreitkräfte sowie vor allem die russische Marine und Luftwaffe noch über ungebundene Kapazitäten."

Fakten: Auch hier wird Zorn heftig widersprochen. "Bizarr" findet der britische Kriegsforscher und Experte für die russische Armee, Rob Lee, die Äußerungen Zorns. "Russland hatte schon im April etwa 85 Prozent seiner Kampfeinheiten im Feld, inklusive Marine und Luftlandetruppen. Diese Einheiten haben schwere Verluste erlitten", schreibt Lee auf Twitter.

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"Der allergrößte Teil der russischen Truppen steht für Aktionen außerhalb der Ukraine also gar nicht zur Verfügung." Die Äußerung Zorns sei auch politisch nicht logisch, so Lee: "Warum sollte Russland 40 Prozent seiner Streitkräfte zurückhalten, während die Ukraine an zwei Fronten angreift?"

Der Militärforscher Gustav Gressel bezeichnete die Personaldecke der russischen Armee bereits zum Zeitpunkt der ukrainischen Gegenoffensive gegenüber t-online als "dünn" – und widerspricht damit ebenfalls der Einschätzung von Zorn. Das Interview lesen Sie hier.

Bekannt ist, dass die russische Armee sogar in Gefängnissen nach potenziellen Kämpfern sucht. Rekrutiert werden Straftäter, die dann eine kurze militärische Einweisung und für ihren Einsatz Geld erhalten. In dieser Woche kursierte ein Video in sozialen Medien, das den Chef der "Wagner-Gruppe", Jewgeni Prigoschin, zeigt, wie er in einem Gefängnis Männer rekrutieren will.

Dass die russische Armee Personalprobleme hat, ist außerdem wiederholt Thema in sozialen Medien. Die Kampfmotivation vieler russischer Soldaten schwinde, heißt es, vor allem, seit die Ukraine Gebiete zurückerobert. Zudem gab es wiederholt Aufrufe in Russland, sich freiwillig für das Militär zu melden.

Im Mai hatte zudem das russische Parlament kurzfristig die Altersgrenze für den Militärdienst in Russland gekippt. Seitdem kann der Armee beitreten, wer zwischen 18 und 61,5 Jahre alt ist, also bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter. Davor war das nur bis zu einem Alter von 40 Jahren möglich. Auch das wurde als Reaktion darauf gewertet, möglichst viele Freiwillige rekrutieren und eine Generalmobilmachung vermeiden zu können.

Aussage von Zorn: Weitere Waffenlieferungen seien riskant, weil Deutschland seine Ausrüstung selbst brauche. "Für eine wirkungsvolle Abschreckung brauchen wir die entsprechenden Kräfte."

Fakten: Tatsächlich überholte sich diese Aussage gewissermaßen mit der Ankündigung von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am Donnerstag, mehr Waffen an die Ukraine zu liefern, darunter zwei weitere Mehrfachraketenwerfer vom Typ Mars sowie 50 gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Dingo. Zuvor war der Druck auf die Ministerin gestiegen, unter anderem aus der eigenen Koalition. (Mehr dazu lesen Sie hier.) Panzer allerdings werden auch weiter nicht geliefert oder wenn, dann nur per Ringtausch, also etwa über Polen.

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