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Ukraine-Krieg | Geflüchteter: "Den Russen geht es vor allem um Geld"


Geflohener Landwirt aus Cherson
"Den Russen geht es vor allem um Geld"

InterviewVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 21.01.2023Lesedauer: 7 Min.
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Russische Soldaten in der Region Cherson: Moskau hat zur Verteidigung zahlreiche Truppen aus dem Osten in die Region verlegt.Vergrößern des Bildes
Russische Soldaten in der Region Cherson: Sie hielten das Gebiet um die gleichnamige Stadt rund neun Monate besetzt. (Quelle: IMAGO/Sergei Bobylev/imago-images-bilder)

Zwei Wochen nach Kriegsausbruch standen die russischen Soldaten auf seinem Hof: Ein Landwirt aus Cherson berichtet über seine Flucht, die Zerstörung auf seinem Hof – und warum er trotz allem weitermacht.

Der 24. Februar 2022 veränderte für Andrij Pastuschenko alles. Der Ukrainer leitete ein Landwirtschaftsunternehmen nahe der südukrainischen Stadt Cherson, als plötzlich russische Truppen von der Halbinsel Krim heranrückten und Anfang März Cherson sowie die gleichnamige Region neun Monate lang besetzten.

Pastuschenko betrieb in den ersten Kriegstagen sein Unternehmen weiter, wollte es nicht aufgeben. Dann aber bekam er einen Hinweis aus den Sicherheitsbehörden: Sein Leben sei in Gefahr. Er floh daraufhin in die Westukraine und arbeitete in den folgenden Monaten für die ukrainische Armee. Erst im vergangenen Dezember, Wochen nachdem ukrainische Truppen Cherson befreit hatten, kehrte er zu seinem Hof zurück.

t-online traf Pastuschenko zu einem Interview in Berlin. Er ist gelernter Deutschlehrer, pflegt eine enge Verbindung zu Deutschland, seine Frau und seine Kinder flohen hierher. Als Vertreter eines ukrainischen Agrarverbands trifft er sich in Europa mit anderen Vertretern der Branche, berät darüber, wie der ukrainischen Landwirtschaft geholfen werden kann. Im Interview berichtet er über seine Flucht, die Zerstörung auf seinem Hof – und warum er trotz allem weitermacht.

t-online: Herr Pastuschenko, wie haben Sie den 24. Februar erlebt?

Andrij Pastuschenko: Mein Stallleiter weckte mich um 5 Uhr morgens mit einem Anruf. Sein einziges Wort war "Krieg". Ich wusste sofort, was los war, wir hatten ja bereits mit einer russischen Invasion gerechnet. Dennoch erschienen alle Angestellten pünktlich um 7 Uhr zur Arbeit, wir haben Sommergerste gedrillt, die Milch wurde wie immer abgeholt. Schon am frühen Morgen aber schlugen schon die ersten Raketen auf dem Flughafen von Cherson ein, wir konnten die Explosion hören und sahen den Rauch in den Himmel aufsteigen.

Das klingt, als sei trotz des Krieges das Leben zunächst normal weitergelaufen.

Es war unwirklich. Ich hatte mit meinem Sohn am 24. noch einen Friseurtermin. Ich rief dort an und fragte: "Es ist Krieg draußen, arbeitet ihr noch?" Sie sagte: "Egal, ob Krieg ist oder nicht, wir müssen doch alle arbeiten." Erst drei, vier Tage später war dann tatsächlich Ausnahmezustand. Die Supermärkte waren leer, die Apotheken zu. Die Russen standen bereits auf der anderen Seite des Dnipro. Mein Wohnort Sofiivka liegt nahe der Mündung zum Schwarzen Meer, der Fluss ist hier bis zu 12 Kilometer breit. Auf den Inseln waren ukrainische Soldaten stationiert. Ich sammelte Generatoren, Diesel und Fischernetze und brachte sie zu den Soldaten auf die Inseln.

Die Region Cherson war von Anfang ein wichtiges Ziel für Moskau, im März nahmen russische Truppen dann fast die gesamte Gegend ein.

Am 10. März waren erstmals russische Soldaten bei uns im Betrieb. Es waren unangenehme Menschen, sie waren betrunken, wollten unsere Mitarbeiter zwingen, Russisch zu sprechen. Zunächst dachte ich, ich könnte dennoch bleiben. Der Betrieb auf dem Hof musste unbedingt weitergehen, denn es kamen ja kaum noch Lebensmitteltransporte in unsere Region und die Preise stiegen stark. Zum Vergleich: Unter den Russen kostete ein Tetrapak Milch später drei Euro, unsere Milch nur 80 Cent. Dann aber habe ich einen Anruf von einem Freund erhalten, der in Cherson bei den Sicherheitsbehörden gearbeitet hat.

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Was hat er Ihnen gesagt?

Er riet mir, schnell die Gegend zu verlassen, am besten innerhalb eines Tages. Es könne gut sein, dass ich auf einer Liste stünde. Die Russen haben damals nach einflussreichen Personen gesucht, durch meinen Betrieb war ich in der Gegend bekannt. Zudem war es möglich, dass sie von meiner Unterstützung der ukrainischen Truppen wussten. Meine Frau und mein jüngeres Kind waren damals bereits in Deutschland, aber mein älterer Sohn war noch bei mir. Mit ihm, einer Frau und noch zwei Kindern meiner Angestellten fuhr ich schließlich zur Front.

Das klingt nach einem gefährlichen Vorhaben.

Es war die schwierigste Entscheidung, die ich treffen musste. Auf dem Weg habe ich noch gedacht: Was ist, wenn eines der Kinder stirbt? Wir kamen schließlich an einem Dorf an, das unter Artilleriebeschuss stand. Wir haben dann bemerkt, dass es immer wieder mal zehn Minuten Pause gab. In einer solchen bin ich dann mit 100 Stundenkilometern erst über eine Straße, dann über einen Feldweg gefahren. Es war furchtbar. Hinter dem Ort stand ein ausgebranntes, ziviles Auto, auf der Straße lag eine Hand. Das war noch ganz frisch. Auf den Straßen lagen auch die Leichen von russischen Soldaten.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe daraufhin für die Armee gearbeitet, bin mit einem Team durch Europa gereist. Wir haben Pick-up-Trucks gekauft und in die Ukraine gebracht. Auf meinem Hof lief die Produktion weiter. Meine Stellvertreterin hat die Leitung übernommen, wegen ihrer kranken Mutter wollte sie nicht fliehen. Die Mitarbeiter haben weiter Getreide geerntet, mussten dabei um eingeschlagene Raketen fahren. Das Getreide haben wir dann direkt an unsere Verpächter verteilt, damit die Russen es nicht bekommen. Die hätten das sonst direkt auf die Krim gebracht.

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Es war sehr schwierig, weil der Strom ständig ausfiel, es keine Ersatzteile für die Maschinen gab. Zum Glück kennen viele meiner Mitarbeiter noch die alten Zeiten, sie haben selbst Quark, Butter und Mozzarella hergestellt, die dann auf Märkten verkauft wurden. Das größte Problem war allerdings, an Diesel zu kommen. Wir haben das schließlich russischen Soldaten abgekauft, die das aus ihren Panzern geklaut hatten.

Ihr Betrieb konnte also unter der Besatzung halbwegs normal weiterarbeiten?

Unser Hof ist wichtig für die Versorgung der Stadt Cherson, wir sind etwa der einzige Milchviehbetrieb in der Gegend auf der rechten Flussseite. Sie haben nach der Annexion angewiesen, dass der Betrieb ins russische Register umgeschrieben werden und einen russischen Verwalter bekommen soll. Dazu kam es allerdings nicht, wohl auch wegen der ukrainischen Gegenoffensive. Allerdings haben sie einzelne Mitarbeiter unter Druck gesetzt.

Inwiefern?

Einmal kamen sie etwa zum Hof, haben meinem Stallleiter das Handy weggenommen und mit Kalaschnikows darauf geschossen. In der Nacht zuvor hatte die ukrainische Armee einen Checkpoint in der Nähe angegriffen und die Russen wussten, dass viele Ukrainer aus der Region deren Positionen an die Armee weitergeleitet haben. Meine Stellvertreterin hat es aber schlimm getroffen. Sie kam insgesamt dreimal ins Gefängnis, beim letzten Mal für 16 Tage. Sie war zuvor Bürgermeisterin eines Ortes in der Region und die Russen wollten, dass sie ihren Einfluss gelten macht, um prorussische Propaganda zu verbreiten. Diese Angst um sie war das Schlimmste, was ich während des Krieges erleben musste. Mithilfe eines Freundes habe ich sie schließlich über Verbindungen freigekauft, vielleicht hat sie nur deswegen überlebt. Den Russen geht es vor allem um Geld.

Im November wurde ein Teil der Region befreit, inklusive der Stadt Cherson. Sie kehrten erstmals wieder im Dezember dorthin zurück. Wie fanden Sie den Betrieb vor?

Wir haben Glück gehabt. Die Russen haben zwar einige Fahrzeuge geklaut, und in der Zeit waren natürlich keine Investitionen möglich. Einige Maschinen sind kaputt. Aber der Kuhstall ist nicht beschädigt worden, viele der Kühe haben überlebt. Von den 1.500 Hektar sind 700 schon wieder bestellt, vielleicht gehen noch 200 mehr. Als die Russen bei uns waren, hat die ukrainische Armee gezielt geschossen, die Schäden auf den Äckern hielten sich deswegen in Grenzen. Nun aber stehen wir unter ständigen Beschuss. Alle zehn, fünfzehn Minuten ist bei uns im Dorf eine Explosion zu hören. Auch unser Hof wurde schon getroffen, zum Glück wurde niemand verletzt.

Ihr Hof ist nicht weit von der Front entfernt.

Die Russen sind, wie auch in den ersten Kriegstagen, auf der anderen Seite des Dnipro. Das macht mir große Sorgen. Ich mag mir nicht vorstellen, wie die Felder nach dem Winter aussehen werden. Es könnte Jahre dauern, bis wir die wieder bewirtschaften können. Die Region Cherson gehört schon jetzt zu den dreckigsten, was Bomben und Minen angeht. Die Region Charkiw wurde schon im September befreit, aber die sind da immer noch zugange. Bis sie zu uns kommen, wird es noch dauern. Es gibt auch private Unternehmen, die Felder davon reinigen, aber da kostet ein Hektar 1.200 Euro. Für dieses Geld konnte man vor dem Krieg einen Hektar Land kaufen.

Die EU hat immer wieder betont, wie wichtig ukrainisches Getreide für den Weltmarkt ist und auch ein Wiederaufbauprogramm angekündigt. Versprechen Sie sich davon viel?

Es ist sehr wichtig, dass bald etwas passiert, denn die Landwirtschaft steht vor großen Problemen. Viele Betriebe haben keine Mitarbeiter mehr: Die Frauen sind in den Westen geflüchtet, viele Schlepperfahrer sind jetzt Panzerfahrer. Wegen der Bomben und Minen werden wohl viele Landwirte in der Südukraine über Jahre nicht mehr arbeiten können und gerade wegen der Frontnähe ist niemand bereit, bei uns zu investieren. Hilfe aus Europa ist deswegen wichtig, ich bin mir aber sicher, dass es lange dauern wird. Wir in der Ukraine wissen ja auch, wie langwierig die Bürokratie in Europa ist.

Wie geht es Ihnen persönlich mit den stetigen Angriffen?

Ich habe bislang nur sechs Tage dort verbracht. Es ist für mich extrem schwer. Ich konnte nicht schlafen, lag die Nächte wach. Ich muss mich wohl wieder daran gewöhnen, obwohl ich ja am Anfang des Krieges schon fast einen Monat im Kriegsgebiet gewohnt habe. Ich sehe das an den anderen Bewohner des Dorfes. Nicht mal mehr die Kinder zucken noch, wenn es wieder einen Einschlag in der Nähe gibt. Ich hatte den Eindruck, ich war der Einzige, der auf die Explosionen überhaupt noch reagiert.

Hat es unter diesen Umständen überhaupt noch Sinn, den Hof weiterzubetreiben?

Es gibt einfach Dinge, die man machen muss und der Hofbetrieb ist ein Beispiel dafür. Wir müssen weiter Lebensmittel herstellen, noch immer ist die Versorgung in Cherson schwieriger als vor dem Krieg. Da kann man nicht sagen: Ich habe Angst. Unsere Soldaten haben sicher auch Angst und kämpfen trotzdem. Bei uns im Stall arbeiten auch viele ältere Frauen, für sie bin ich wie ein Sohn. Für sie ist es wichtig da zu sein, zu sagen, wie nett sie aussehen, obwohl sie natürlich dreckig von der Stallarbeit sind. Und im Krieg ist das noch wichtiger als zuvor.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Andrij Pastuschenko am 18. Januar in Berlin
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