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Krieg in der Ukraine | Wie sich Wladimir Putins Propaganda verändert hat


Putins Propaganda
Ab diesem Moment wurde der Ton schärfer

Von Nilofar Eschborn

25.02.2023Lesedauer: 6 Min.
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Kremlchef Wladimir Putin: Der US-Journalist Fred Kaplan sieht zwei rote Linien für eine Eskalation.Vergrößern des Bildes
Kremlchef Wladimir Putin: Der US-Journalist Fred Kaplan sieht zwei rote Linien für eine Eskalation. (Quelle: Sergei Bobylev via www.imago-images.de)

In dem Jahr nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine wurde Wladimir Putins Propaganda immer aggressiver. So hat seine Strategie sich gewandelt.

Seit Tag eins des Krieges ist die Propagandamaschinerie des Kremls eine zentrale Stütze für Wladimir Putin, um den Überfall auf die Ukraine zu legitimieren. Um den nötigen Rückhalt in der russischen Bevölkerung zu stärken, nutzt Russlands Präsident vor allem die Berichterstattung staatlicher Medien, um seine Kriegsnarrative zu verbreiten.

t-online hat eine Sammlung von Artikeln russischsprachiger Medien analysiert, die das ukrainische Zentrum für strategische Kommunikation und Informationssicherheit im Rahmen der Aufklärungskampagne "Russkiy Mir" (zu Deutsch "Russische Welt") zusammengetragen und als Zeitung veröffentlicht hat.

Es zeigt sich: Der Ton der russischen Propaganda hat sich im Laufe des Kriegsjahres deutlich verschärft. Er wurde immer menschenverachtender.

Rechtfertigungen zu Kriegsbeginn

In den ersten Wochen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 konzentrierte sich die Propaganda des Kremls vorrangig darauf, die sogenannte "Spezialoperation" zu rechtfertigen. Kremlnahe Medien übernahmen die Argumentation, die Ukraine "entnazifizieren" und "entmilitarisieren" zu müssen. Der Krieg, den russische Staatsmedien nicht als solchen benannten, wurde so dargestellt, als diene er dem Schutz der ukrainischen Bevölkerung.

Beispielsweise berichtete die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Novosti am 25. März 2022, Russland sei bemüht, "die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung zu minimieren". Daher seien russische Truppen "gezwungen, in Städte einzudringen und dort zu kämpfen, wo hinter jedem Fenster ein Scharfschütze lauern kann". Dabei ist Putins Armee von Anfang an rücksichtslos gegen die ukrainische Bevölkerung vorgegangen. Sie hatte auch stets Probleme, größere Städte einzunehmen. Unabhängige Medien, die darüber berichten, gibt es in Russland jedoch kaum.

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Am 3. April 2022 veröffentlichte die Nachrichtenagentur dann einen ausführlichen Bericht, in dem der russischen Bevölkerung das Ziel der "Operation" wie folgt verkauft wird: "Territorien von bewaffneten Unterstützern der Nazifizierung" sollten befreit, "unbelehrbare Nazis" eliminiert, "Kriegsverbrecher" gefangen genommen und "Systemvoraussetzungen für die anschließende Entnazifizierung in Friedenszeiten" geschaffen werden.

Warum der Kreml mit dem Kriegsmotiv der "Entnazifizierung" schlussendlich unglaubwürdig bleibt, sehen Sie hier im Video.

Propaganda auf allen Ebenen

Auch auf kultureller Ebene war die Propagandamaschinerie in vollem Gange. Im August 2022 berichtete beispielsweise der russische Fernsehsender Tsargrad TV, dass die ukrainische Sprache angeblich zu einem Symbol des Hasses auf Russland geworden sei.

In dem Beitrag führt ein Filmregisseur aus, warum in diesem Zusammenhang etwa auch Unterricht in ukrainischer Sprache eine "Katastrophe" sei. Weshalb das russische Regime der Ukraine auf allen Ebenen ihr Existenzrecht entziehen wolle, erklärt hier der Historiker Andreas Kappeler im Gespräch mit t-online.

Der Westen als Feind

Den Westen stellen russische Medien bereits seit langer Zeit als Feind dar. So bezeichnet etwa RIA Novosti die Ziele der Nato seit den ersten Kriegswochen als "kannibalisch". Außerdem sei der kollektive Westen die Quelle des ukrainischen Nazismus, heißt es weiter.

Nicht verwunderlich ist also, dass auch die Entscheidung eines Moskauer Gerichts, den US-Konzern Meta im März 2022 zu einer extremistischen Organisation zu erklären, große mediale Beachtung fand. Zu Meta gehört unter anderem das soziale Netzwerk Facebook. Ohne jegliche Einordnung wurde der Vorwurf zitiert, Meta sei an der Verbreitung von Aufrufen zu Morden an russischen Bürgern, einschließlich Angehörigen der Streitkräfte, sowie zur Teilnahme an Massenunruhen mit gewalttätigen Handlungen beteiligt gewesen. Unter anderem Facebook und Instagram hatte das russische Gericht daraufhin verboten.

Auslöser für diese Debatte war die Ankündigung des Internetkonzerns, seine Nutzerregeln bei Gewaltaufrufen gegen die russische Regierung und ihre Streitkräfte zu lockern und unter anderem den Ausdruck "Tod den russischen Invasoren" zuzulassen. Hinter dem Verbot von Facebook und Co. steckte jedoch die Bemühungen des Kremls, in Russland verfügbare Informationen über das Vorgehen der russischen Streitkräfte in der Ukraine zu kontrollieren. Hier erfahren Sie mehr über das Verbot.

Neue Stufe der Aggression

An einem Mittwochmorgen im September 2022 ging Putin den nächsten Schritt: Er kündigte in einer Fernsehansprache die Teilmobilmachung von Reservisten an. Damit hatte der Krieg gegen die Ukraine eine neue Eskalationsstufe erreicht. Diese Entscheidung begründete er unter anderem mit der Lüge, dass der Westen Russland mit Atomwaffen bedrohen würde. Mehr dazu lesen Sie hier.

Die Artikelsammlung des ukrainischen Zentrums für strategische Kommunikation und Informationssicherheit zeigt: Auch in den Medien erreichte die russische Kriegspropaganda ein neues Level. Rechtfertigungen einer sogenannten "Entnazifizierung" reichten offenbar nicht mehr aus. Stattdessen dominierte in medialen Beiträgen von nun an die angebliche Bedrohung durch den Westen.

Im Oktober 2022 berichtete etwa der Nachrichtendienst "Gazeta.ru" über die Erklärung des UN-Botschafters der Russischen Föderation Wassili Nebensja, die USA würden mithilfe von Drohnen sogenannte Kampfmücken für Militäreinsätze nach Russland schicken. "Eine solche Drohne transportiert einen Behälter mit einer großen Anzahl von krankheitsübertragenden Mücken in ein Zielgebiet und wirft sie dort ab. Durch ihren Stich infizieren die Mücken die Menschen mit besonders gefährlichen Krankheitserregern", zitierte das Medium Nebensja. Die US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield wies diese sowie weitere umstrittene Äußerungen Nebensjas damals als Desinformation zurück.

Angebliche Bedrohung aus Deutschland

Auch gegen Deutschland wetterten russische Medien: Im Januar 2023 berichtete "topnews.ru", dass Deutschland sich auf den "härtesten Angriff auf Russland seit Hitler" vorbereite. "Laut Experten könnte Berlin durch den Einsatz von Atomwaffen einen neuen Weltkrieg auslösen", heißt es in dem Artikel. Im selben Monat hatte die Bundesregierung den Weg für Kampfpanzerlieferungen an die Ukraine freigemacht.

Im Dezember 2022 gab der Nachrichtendienst rambler.ru dem russischen General Andrey Gurulev wiederum die Möglichkeit, Großbritannien als Hauptverursacher des Konflikts darzustellen. "Wenn man das sogenannte Europa betrachtet, ist London der Hauptschauplatz aller Gräueltaten. Wir hören aus verschiedenen Quellen von Anschlägen aus Moskau", zitiert ihn das Medium und lässt ihn erläutern, dass bereits eine Liste strategischer Ziele in London existiere, die Russland angreifen wolle. Großbritannien gehört zu den Ländern, die seit Kriegsbeginn für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine stritt.

Hinter diesen Anschuldigungen steckt erneut offenbar die Absicht, Russlands militärisches Handeln als Reaktion auf eine angeblich vom Westen ausgehende Bedrohung darzustellen. Bereits im Oktober 2022 hieß es in der Fernsehsendung "60 Minuten" des zentralen russischen Fernsehsenders Rossjia, dass Russlands Führung auch Atomwaffen gegen jegliche Aggression westlicher Länder einsetzen könnte.

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Die Folge: Schauübungen der Zerstörung. "Heute haben wir geübt, wie wir die Vereinigten Staaten von Amerika und das einst mächtige Großbritannien zerstören", kommentierte eine Moderatorin von "60 Minuten" ein Video, das Atomraketen im Flug zeigt. Damit will der Kreml vor allem den Westen verunsichern, um die Unterstützung der Ukraine zu schwächen.

Vermeintliche Inkompetenz westlicher Politiker

Schwächen will der Kreml den Westen in der russischen Öffentlichkeit offenbar auch damit, indem er westliche Politikerinnen und Politiker als ungebildet darstellt: Im November 2022 veröffentlichte RIA Novosti einen Artikel mit dem Titel "Europaabgeordnete sind ungebildete Populisten!".

Auslöser war die Entscheidung des EU-Parlaments, Russland zu einem staatlichen Terrorismus-Unterstützer zu erklären. Begründungen seitens der Europäischen Union, dass Russland Kriegsverbrechen begehe und "terroristische Mittel" einsetze, lässt die staatliche Nachrichtenagentur unerwähnt. Stattdessen konzentrierte man sich auf ein angeblich niedriges Bildungsniveau der Abgeordneten.

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Auch gegen die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock wettern die russischen Medien. So trug RIA Novosti am 5. November 2022 Leserstimmen zusammen, die Baerbocks Aussage kritisieren, dass Putin eine Chance verpasse, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Auch hier kam das Argument der angeblich mangelnden Bildung zum Zug: "Frau Baerbock, Ihr schlechtes politisches Benehmen kann nur auf Ihre mangelnde Bildung zurückgeführt werden", zitiert der Nachrichtendienst einen Leser.

Offene Gewaltbereitschaft

Betrachtet man die gesammelten Artikel mit Blick auf die zeitliche Abfolge ihrer Erscheinung, fällt vor allem eines auf: Seit Herbst 2022 herrscht ein schärferer Ton in russischen Medien – auch gegenüber ukrainischen Zivilisten. Seither wird die ukrainische Zivilbevölkerung auch immer direkter zum Ziel russischer Raketenangriffe. Diese Kriegsverbrechen versucht Putins Propaganda zu legitimieren.

Etwa rief der russische RT TV-Moderator Anton Krasovsky am 20. Oktober in der Sendung "Antonyme" dazu auf, ukrainische Kinder zu ertränken. Später sagte er, die Kinder könnten auch verbrannt werden. Mit der anfänglichen Erklärung des Kremls, man wolle zivile Opferzahlen in der Ukraine minimieren, passen Äußerungen wie diese nicht mehr zusammen.

"Russische Welt" als Ideologie

Hinter der Propaganda des Kremls steckt eine Strategie mit langer Geschichte: Unter dem Konzept "Russkiy Mir" werden zunächst antiwestliche und antiliberale Strömungen im russischen Denken verstanden. 2007 rief Russland dann eine gleichnamige Stiftung ins Leben, die die russische Kultur im Ausland fördern soll. Doch in Osteuropa sorgte das eher für Vorbehalte. Im Vergleich zum Westen verfügte Russland stets immer über deutlich weniger Soft Power.

Seine Ursprünge hat die geopolitische Konzeption "Russkiy Mir" bereits im 19. Jahrhundert. Seither beruft sich das Konzept auch stark auf die russisch-orthodoxe Kirche. Unter Putin erhielt es dann eine territoriale Dimension und wurde Teil der politischen Sprache. Die Idee: Russland habe eine Fürsorge- und Schutzpflicht für russischsprachige Menschen überall in der Welt. So legitimiert Putin auch seinen Überfall auf die Ukraine.

Putin nahm vor allem die Expansion Russlands in den Fokus: Indem der russische Raum sich durch den Glauben definiert und die "Russische Welt" auch jenseits von Ländergrenzen präsent sei, verlieren Staatsgrenzen in den Augen des Kremls ihre Bedeutung. Folglich akzeptiert Putin auch nicht die Unabhängigkeit seiner Nachbarländer.

Das zum ukrainischen Ministerium für Kultur und Informationspolitik gehörende Zentrum für strategische Kommunikation und Informationssicherheit will nun mit der gleichnamigen Aufklärungskampagne über das politische Konzept des Kremls informieren. Die Zeitung, in der die Artikel gebündelt sind, trägt ebenfalls den Titel "Russkiy Mir".

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