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Ukraine | Staudamm in Cherson gesprengt – Fragen und Antworten | Überblick


Explosion am Staudamm in Cherson
Die Eskalation ist da


Aktualisiert am 06.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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Wassermassen brechen durch den Kachowka-Staudamm: Die Ukraine und Russland weisen sich gegenseitig die Schuld zu. (Quelle: t-online)

Alarm in Cherson: Der wichtige Kachowka-Staudamm wurde zerstört. Die Lage ist kritisch, Tausende Menschen sind bedroht.

Was ist passiert?

Im von Russland besetzten Teil der südukrainischen Region Cherson ist nach Angaben der Kriegsparteien ein wichtiger Staudamm nahe der Front schwer beschädigt worden. Kiew und Moskau machten sich am Dienstagmorgen gegenseitig für den Vorfall mit potenziell gravierenden Folgen verantwortlich.

Das ukrainische Einsatzkommando Süd teilte mit, die russischen Besatzer hätten den Damm in der Stadt Nowa Kachowka selbst gesprengt. Die russische Armee beschuldigte hingegen die Ukraine, den Damm beschossen zu haben. Es handele sich um einen Terroranschlag, sagte ein von Russland eingesetzter Vertreter der Besatzungsverwaltung. So bezeichnet die russische Führung üblicherweise ukrainische Angriffe.

Am Dienstagmorgen sagte der von Moskau eingesetzte Bürgermeister in Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass, die ukrainischen Streitkräfte setzten den Beschuss der Stadt fort. "Eine ganze Reihe von Granaten schlagen jetzt an der Küste ein." Die Angaben beider Seiten ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Unbestätigte Videos in den sozialen Medien zeigten eine Reihe heftiger Explosionen rund um den Kachowka-Staudamm, der noch aus der Sowjetzeit stammt. In anderen Aufnahmen war zu sehen, wie Wassermassen durch die Überreste des Damms strömten.

Sehen Sie die Bilder oben im Video oder hier.

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Wie reagiert die Ukraine?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj berief am Dienstagmorgen eine Notfallsitzung des nationalen Sicherheitsrats ein. Selenskyj sagte dem britischen "Guardian" zufolge, die Zerstörung des Staudamms bedeute eine "Katastrophe großen Ausmaßes". Demnach verglich er einen solchen Akt mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen.

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Der ukrainische Militärgeheimdienst erklärte laut der Zeitung, das Ausmaß der Umweltkatastrophe gehe weit über die Grenzen der Ukraine hinaus und betreffe die gesamte Schwarzmeerregion.

Andrij Jermak, Selenskyjs Berater, bezeichnete die Zerstörung des Staudammes als "Ökozid" und machte Russland dafür verantwortlich. Die ukrainischen Behörden arbeiteten daran, die Sicherheit der Anwohnerinnen und Anwohner zu gewährleisten.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba schrieb auf Twitter von der "wahrscheinlich größten technischen Katastrophe Europas seit Jahrzehnten". Tausende von Zivilisten seien gefährdet. "Das ist ein abscheuliches Kriegsverbrechen", so Kuleba.

Welche Folgen hat die Zerstörung des Damms?

Die Folgen der Explosionen am Staudamm im Oblast Cherson sind aller Voraussicht nach verheerend. Rund 80 Ortschaften könnten betroffen sein, wie die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf Notfalldienste meldete. Die ebenfalls staatliche Nachrichtenagentur Ria sprach unter Berufung auf die von Russland installierte Verwaltung in den besetzten Teilen der ukrainischen Oblast Cherson von 22.000 Menschen in 14 Ortschaften, die von Überschwemmungen bedroht seien.

Der Militärgouverneur des Gebietes, Oleksandr Prokudin, sagte, am rechten Ufer des Flusses befänden sich 16.000 Menschen in der kritischen Zone. "Innerhalb von fünf Stunden wird das Wasser einen kritischen Stand erreichen", teilte er am Morgen auf Telegram mit. "Das Ausmaß der Zerstörung, die Geschwindigkeit und Menge des Wassers sowie die wahrscheinlichen Überschwemmungsgebiete werden gerade bestimmt." Mehrere flussabwärts gelegene Inseln seien inzwischen völlig überflutet, meldete Ria unter Berufung auf örtliche Behörden.

Der von Moskau eingesetzte Bürgermeister in Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, teilte am Dienstagvormittag mit, die Stadt stehe unter Wasser. Die Behörden haben den Notstand ausgerufen. Zuvor hatte Leontjew keine Notwendigkeit gesehen, Zivilisten in Sicherheit zu bringen.

Er räumte jedoch ein, dass es zu Problemen bei der Wasserversorgung auf der bereits 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim kommen könnte, die südlich von Cherson liegt. Diese wird über den Nord-Krim-Kanal mit Wasser aus dem Kachowka-Stausee beliefert. Auch der Verteidigungsexperte Nico Lange warnte auf Twitter vor Versorgungsproblemen der Krim.

Die russische Nachrichtenagentur Tass berichtete allerdings, dass für den Nord-Krim-Kanal keine unmittelbare Gefahr der Austrocknung bestehe. Die staatliche Agentur berief sich auf örtliche Behörden.

Experte Lange warnte außerdem: "Nach Simulationen werden in etwa 15 bis 20 Stunden der Hafen und die Docks von Cherson von einer vier bis fünf Meter hohen Flutwelle getroffen werden."

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Hubert Chanson, Ingenieur an der Universität in Queensland, sagte dem "Guardian": "Jeder, der in niedrig gelegenen Gebieten flussabwärts des Damms lebt, könnte ertrinken." Es könne zu erheblichen Überschwemmungen kommen. "Es würde mich nicht überraschen, wenn die Zerstörung des Staudamms dazu dient, militärische Aktionen weiter flussabwärts zu verlangsamen", sagte der Experte mit Blick auf die Strategie der Kremltruppen.

Der Wiederaufbau des Dammes könne nur langsam erfolgen. Für die Reparatur müssten die Brücke und die Öffnung im Damm verschlossen werden, in der Regel durch das Abladen von Steinen oder Betonblöcken, so Chanson. "Das geht nur in einer sicheren Umgebung, wenn eine Partei für den Damm verantwortlich ist und Zugang zur Baustelle hat."

Warum ist der Staudamm so wichtig?

Im Krieg Russlands gegen die Ukraine kam dem am Dienstag teilweise zerstörten Kachowka-Staudamm von Anfang an strategische Bedeutung zu. Bereits in den ersten Stunden des russischen Angriffs am 24. Februar 2022 besetzten russische Truppen die Anlage und das dazugehörige Wasserkraftwerk in der Region Cherson im Süden der Ukraine.

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Der Damm war 1956, als die Ukraine noch Teil der Sowjetunion war, am Fluss Dnipro gebaut worden. Er besteht zum Teil aus Beton, zum Teil aus Erde und ist mit einer Länge von rund 3,2 Kilometern eine der größten Anlagen dieser Art in der Ukraine. Von dort fließt das Wasser in den Nordkrimkanal, der im Süden der Ukraine beginnt und die gesamte Halbinsel durchquert. Nach der Annexion der Krim durch Moskau 2014 drehte Kiew den Hahn jedoch ab, was zu großen Problemen bei der Wasserversorgung auf der Halbinsel führte.

Wenige Wochen nach der russischen Invasion öffneten die russischen Besatzer eigenen Angaben zufolge den Zufluss wieder, sodass täglich 1,7 Millionen Kubikmeter Wasser die Krim erreichten. Erklärtes Ziel der Ukraine ist es nach wie vor, die Krim wieder zurückzuerobern.

Auch das Kraftwerk am Staudamm produzierte weiterhin Strom, der in das ukrainische Netz eingespeist wurde und auch die russisch besetzten Gebiete versorgte. Laut der Website des ukrainischen Betreibers Ukrgydroenergo beträgt die Kapazität des Wasserkraftwerks 334,8 Megawatt. Nach Angaben beider Kriegsparteien wurde das Kraftwerk bei der schweren Explosion am Dienstag zerstört. Es sei "offensichtlich", dass eine Reparatur nicht möglich sei, sagte der russische Besatzungsbürgermeister Leontjew am Dienstag im russischen Staatsfernsehen. Auch der ukrainische Kraftwerksbetreiber sprach von einer kompletten Zerstörung der Anlage.

Der Stausee versorgt außerdem das ebenfalls russisch besetzte Kernkraftwerk Saporischschja mit Kühlwasser, das rund 150 Kilometer von dem Staudamm entfernt liegt. Der Stausee, 240 Kilometer lang und bis zu 23 Kilometer breit, kann 18 Milliarden Kubikmeter Wasser fassen – eine enorme Wassermenge, die nun mehrere Dörfer überflutete. Flächenmäßig ist der Stausee viermal größer als der Bodensee.

Seit Beginn des Krieges hatten sich Moskau und Kiew immer wieder gegenseitig beschuldigt, den Staudamm zerstören zu wollen. Im November war er bereits bei einem Angriff beschädigt worden.

Ist das AKW Saporischschja bedroht?

Durch den Einsturz des Kachowka-Staudammes besteht nach russischer Darstellung keine unmittelbare Gefahr für das Atomkraftwerk Saporischschja. Das berichtete die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf einen von Russland eingesetzten Verwaltungsvertreter im besetzten Gebiet Saporischschja.

Auch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) sieht keine direkte Gefahr durch die Situation rund um den Staudamm. Experten der IAEA beobachteten die Lage, zitierte die russische Nachrichtenagentur Tass aus einer Erklärung der Behörde.

Das staatliche ukrainische Unternehmen Energoatom, das alle Kernkraftwerke im Land betreibt, warnte hingegen vor "negativen Folgen" für das AKW, die Situation sei aber unter Kontrolle. Der "rapide sinkende" Wasserstand des Stausees stelle eine "zusätzliche Bedrohung" dar. Im Moment sei das Kühlbecken des Kraftwerks jedoch voll, hieß es.

"Wasser aus dem Kachowka-Stausee ist notwendig, damit die Anlage Strom für die Turbinenkondensatoren und Sicherheitssysteme des Kernkraftwerks erhält", erklärte Energoatom. Das AKW ist das größte Europas und steht seit Monaten unter russischer Kontrolle, betrieben wird es aber weiterhin von ukrainischem Personal.

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wird laufend aktualisiert.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
  • theguardian.com: "Russia-Ukraine war live: evacuations under way near Kherson after destruction of dam prompts flooding" (englisch)
  • twitter.com: Beiträge von @nicolange_, @Gerashchenko_en, @DmytroKuleba
  • tass.com: "Ukraine continues shelling of Novaya Kakhovka — mayor" (englisch)
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