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Ukraine-Krieg I Kachowka-Staudamm zerstört: Menschen von Wasser eingeschlossen


Staudamm in der Südukraine
Langsam wird das Ausmaß der Katastrophe klar

Von t-online, dpa, afp, reuters
07.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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Überflutete Gebiete: Luftaufnahmen zeigen die Folgen der Staudamm-Explosion. (Quelle: t-online)
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Nach der Zerstörung eines wichtigen Staudamms in der Ukraine steigen die Wassermassen in vielen Ortschaften weiter an. Das ist die Lage.

Einen Tag nach der Zerstörung eines Staudamms im Süden der Ukraine kristallisiert sich das Ausmaß der Katastrophe langsam heraus. Der Kachowka-Staudamm brach in der Nacht auf Dienstag – noch ist unklar, wer dafür verantwortlich ist. Seitdem strömen Wassermassen aus dem Stausee, mit verheerenden Auswirkungen für die Menschen, die flussabwärts leben.

Wie viele Menschen sind betroffen? Wie geht es mit den Evakuierungen voran? Ein Überblick.

Welche Gebiete sind überschwemmt?

In Dutzenden Gemeinden auf beiden Seiten des Flusses Dnipro fluteten die Wassermassen Straßen, lösten Dächer von Häusern, zwangen Menschen zur Flucht in kleinen Booten. Der Dnipro trennt die ukrainischen und russischen Truppen. In den Ortschaften auf beiden Uferseiten stieg auch am Mittwoch weiter das Wasser, die Lage ist unübersichtlich. Experten zufolge sollen die Fluten am Mittwoch ihren Höhepunkt erreichen.

Ukrainischen Angaben zufolge sind rund 42.000 Menschen von Überschwemmungen bedroht. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal sprach schon kurze Zeit nach der Explosion von einer Überschwemmungsgefahr für bis zu 80 Ortschaften. Wissenschaftler der Hochschule Magdeburg-Stendal haben in einer frühen Modellierung errechnet, dass 60.000 Menschen betroffen sein könnten, etwa ein Drittel davon gefährdet.

Der Besatzungschef der Staudamm-Stadt Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, sagte zudem, dass dort rund 100 Menschen von den Wassermassen eingeschlossen seien und gerettet werden müssten. Sieben Anwohner werden den Angaben zufolge derzeit vermisst, rund 900 sollen angeblich schon in Sicherheit gebracht worden sein. Leontjew sprach zudem von mehreren vollständig oder teilweise überfluteten Orten. "Der Ort Korsunka steht – mit Ausnahme der letzten Straße – komplett unter Wasser", sagte er im russischen Fernsehen.

Video | Hier drohen massive Überschwemmungen
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Quelle: t-online

Die Angaben waren zunächst nur schwer zu überprüfen. Auf Aufnahmen waren jedoch zahlreiche überschwemmte Ortschaften zu sehen. In der rund 50 Kilometer flussabwärts hinter dem Damm gelegenen Großstadt Cherson wateten Bewohner bis zu den Knien durch das Wasser. Viele trugen Plastiktüten mit ihren Habseligkeiten und ihre Haustiere mit sich. "Alles steht unter Wasser, die ganzen Möbel, der Kühlschrank, die Vorräte, alle Blumen", sagte eine 53-Jährige. "Ich weiß nicht, was ich machen soll."

"Das gesamte Ausmaß der Katastrophe wird erst in den kommenden Tagen voll bewusst werden", sagte UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths vor dem UN-Sicherheitsrat. Berichte über Todesopfer gab es zunächst nicht. Aber ein Sprecher der US-Regierung sagte, die Überflutungen dürften viele Menschen das Leben gekostet haben.

Wie laufen die Evakuierungen?

Die ukrainischen Behörden ordneten in der gesamten Oblast Cherson die Evakuierung von rund 80 Ortschaften an, die von Überschwemmungen bedroht sind. Dafür wurden Busse, Züge und Privatfahrzeuge eingesetzt. Nach Angaben des Gouverneurs, Olexandr Produkin, seien in der Nacht auf Mittwoch knapp 1.500 Menschen auf der von der Ukraine kontrollierten Uferseite in Sicherheit gebracht worden.

Während die Evakuierungen in Cherson liefen, gab es Berichten zufolge auf die Stadt Angriffe der russischen Armee. Ein Reuters-Reporter hörte Artilleriefeuer in einem Wohngebiet. Bei Beschuss in der Region Cherson und der gleichnamigen Stadt seien ein Mensch getötet und ein weiterer verletzt worden, teilten die Behörden mit.

In dem von Russland kontrollierten Teil der Region verhängten die Besatzungsbehörden am Mittwoch den Notstand, wie die russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf Rettungsdienste meldete. In der besonders stark betroffenen Stadt Nowa Kachowka war der Notstand bereits am Dienstag verhängt worden.

Bürgermeister Wladimir Leontjew sagte der Nachrichtenagentur Tass, bei sieben Personen sei man sich sicher, dass sie vermisst würden. Mehr als 900 Menschen seien am Dienstag in Sicherheit gebracht worden. In der Stadt mit ihren rund 45.000 Einwohnern ging der Wasserstand am Mittwoch allmählich wieder zurück, wie die von Russland installierte Verwaltung der Stadt über Telegram mitteilte.

Welche weiteren Auswirkungen gibt es für Menschen in der Ukraine?

Südlich gelegenen Orten und auch der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim könnte außerdem eine Knappheit bei der Wasserversorgung drohen; denn sie werden aus dem Kachowka-Stausee beliefert. Das wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Hier lesen Sie mehr zur Situation auf der Krim.

Selbst Ortschaften stromaufwärts könnten betroffen sein, wenn das riesige Wasserreservoir etwa für die Landwirtschaft fehlt. Die Zerstörung des an den Staudamm angrenzenden Wasserkraftwerks könnte zudem zu den Energieproblemen der Ukraine beitragen.

Neue Gefahren drohen Teilen der Oblast Cherson durch die Überflutung einiger russischer Minenfelder. Das teilte der von Russland eingesetzte Gouverneur der besetzten Gebiete in Cherson, Wladimir Saldo, der Nachrichtenagentur Tass zufolge mit. Die freigespülten Minen stellen eine große Gefahr dar, da sie von den Wassermassen unkontrolliert verbreitet werden und beim Aufprall auf Bäume oder Gebäude detonieren können.

Video | "Dammbruch ist die Gelegenheit für eine Überraschung"
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Quelle: t-online
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Welche Folgen ergeben sich abseits der Ukraine?

Die Welternährungsorganisation (WFP) warnt nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine vor verheerenden Konsequenzen für hungernde Menschen weltweit. "Die massiven Überflutungen vernichten neu angepflanztes Getreide und damit auch die Hoffnung für 345 Millionen Hungerleidende auf der ganzen Welt, für die das Getreide aus der Ukraine lebensrettend ist", sagte der Leiter des Berliner WFP-Büros Martin Frick der dpa.

Nach der Zerstörung des Staudamms im Süden der Ukraine rechnet das ukrainische Agrarministerium ersten Schätzungen zufolge mit der Überschwemmung von etwa 10.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche am nördlichen Ufer des Dnipro in der Region Cherson. Am südlichen Ufer, im russisch besetzten Gebiet, werde ein Vielfaches dieser Fläche überflutet, teilte das Ministerium auf seiner Webseite mit.

Am Dienstag sind die Weltmarktpreise für Weizen und Mais bereits in die Höhe geschnellt. An der Börse Chicago Mercantile Exchange zogen die Notierungen im frühen Handel um 2,4 Prozent auf 6,39 US-Dollar je Scheffel (rund 27 Kilogramm) an. Mais wurde mehr als ein Prozent teurer gehandelt, Hafer legte um 0,73 Prozent zu.

Was ist Neues zur Ursache bekannt?

Russland und die Ukraine machen sich weiterhin gegenseitig für die Zerstörung des riesigen Damms in der Nacht zum Dienstag verantwortlich. Die USA erklärten, es sei unklar, wer wirklich die Verantwortung trage. Der US-Botschafter bei den UN, Robert Wood, betonte aber vor Journalisten, dass es für die Ukraine keinen Sinn ergebe, den Damm zu zerstören und der eigenen Bevölkerung Leid zuzufügen.

Russland beschuldigt die Ukraine, mit der Zerstörung des Damms von einem angeblichen Scheitern einer großangelegten Gegenoffensive ablenken zu wollen. Die Ukraine wirft Russland vor, mit der Sprengung des Damms wissentlich ein Kriegsverbrechen begangen zu haben.

Spekuliert wird, dass der Vorfall ein russischer Sabotageakt sein könnte, um eine ukrainische Gegenoffensive auszubremsen. Moskau streitet das ab. Die Überschwemmungen betreffen besonders die von Russland besetzte Region südlich des Dnipro, die als ein Hauptziel eines solchen möglichen Vormarsches gilt. Der Militärexperte Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München sieht im Gespräch mit t-online Russland in der Verantwortung. Moskau wolle eine Gegenoffensive der Ukraine behindern. Hier lesen Sie mehr dazu.

Verwendete Quellen
  • nytimes.com: "Mapping the Flooding From the Dam Breach in Southern Ukraine" (englisch)
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters
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