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Ukraine-Krieg | Russland rückt vor: Diesen Ort will Putin-Armee jetzt unbedingt


"Sie kommen aus allen Richtungen"
Russen rücken vor – Ukraine meldet schwere Kämpfe


Aktualisiert am 13.10.2023Lesedauer: 5 Min.
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Ukrainische Soldaten inmitten schwerer Gefechte in der Nähe der Stadt Bachmut.Vergrößern des Bildes
Ukrainische Soldaten inmitten schwerer Gefechte in der Nähe der Stadt Bachmut. (Quelle: 3rd Assault Brigade/ Ukrainian Armed Forces Press service/Handout via REUTERS)

Während die Welt nach Israel schaut, startet Russland in der Ukraine eine Offensive. Dabei tut sich vor allem ein Verband hervor, der zuvor stark in der Kritik stand.

Der Schritt kommt nicht ganz unerwartet. Schon vor Wochen hatte die russische Armee immer mehr Truppen im Osten der Ukraine zusammengezogen und Elite-Kampfverbände in die Region verlegt. Vor drei Tagen startete Russland dann eine der größten Offensiven seit Monaten nahe der Kleinstadt Awdijiwka. Die Stadt gilt als eine der am besten befestigten Orte an der Front im Oblast Donezk und als strategisch wichtiger Knotenpunkt.

Video | Panzerkolonne startet – dann geht der Plan plötzlich schief
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Quelle: t-online

Dass es im Windschatten der Hamas-Terrorwelle im Nahen Osten zu Offensivaktionen der Russen in der Ukraine kommen würde, damit war durchaus gerechnet worden. Russlands Autokrat Wladimir Putin nutzt offenbar die Gunst der Stunde, die der Fokus der Weltöffentlichkeit bietet: Die Augen der internationalen Gemeinschaft sind gerade auf Israel gerichtet, weniger auf die Ukraine. Das kommt dem Kremlherrscher wohl nicht ungelegen (Lesen Sie mehr dazu hier).

Dass Russland ausgerechnet Awdijiwka angreift, überraschte manche Militärbeobachter dann doch. Denn Moskaus Truppen mussten bei dem Versuch, die rund 32.000 Einwohner zählende Stadt einzukesseln und die ukrainischen Verteidiger von den Versorgungslinien abzuschneiden, starke Gegenwehr befürchten. So kam es offenbar auch.

"Die Dimension dieser Schlacht ist gewaltig"

So berichtet das Magazin "Newsweek" unter Berufung auf ukrainische Quellen etwa, dass Putins Armee seit Dienstag 990 Soldaten, 42 Panzer und 32 Artilleriesysteme verloren habe. Aber auch die ukrainischen Verteidiger haben wohl hohe Verluste zu verzeichnen. Laut Militärbeobachtern sollen die Ukrainer alleine am Donnerstag bis zu 180 Soldaten und mehrere Fahrzeuge und Artilleriesysteme verloren haben. Die Angaben können, wie immer in diesem Krieg, nicht unabhängig überprüft werden.

Sicher ist, dass es seit Dienstagmorgen heftige Gefechte rund um Awdijiwka gibt, mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Die Lage an der Front im Donbass wird von einigen pro-ukrainischen Experten bereits als kritisch bewertet.

"Die Dimension dieser Schlacht ist gewaltig", schrieb Anton Geraschenko bei X. Geraschenko ist ein Berater des ukrainischen Innenministeriums, er gilt als wichtige Stimme der staatlichen ukrainischen Informationspolitik. Was offizielle ukrainische Stellen oftmals nicht sagen, weil es zu heikel sein könnte, ist häufig bei ihm zu lesen. Und die russische Offensive bei Awdijika ist für die Ukraine militärisch ziemlich heikel.

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Das musste nun auch die Führung in Kiew einräumen. "Awdijiwka. Wir verteidigen unser Territorium mit allen Mitteln", schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Donnerstagabend bei Telegram. Fast klang es schon nach Durchhalteparole. "Es sind der Mut und der Zusammenhalt der Ukraine, die darüber entscheiden, wie dieser Krieg endet", so Selenskyj weiter.

Bericht des Generalstabs macht komplizierte Lage deutlich

Witali Barabasch, Chef der Stadtverwaltung von Awdijiwka, beschrieb die russischen Vorstöße als die "größte Offensive in unserem Gebiet, seit der Krieg begonnen hat". Es habe zahlreiche Raketenangriffe auf die Stadt und viele Verletzte gegeben, manche von ihnen lägen immer noch unter den Trümmern. Die russische Armee "stürme aus allen möglichen Richtungen heran – aus zehn bis zwölf Richtungen zugleich, und immer unterstützt von der Luftwaffe."

Während der ukrainische Führungsstab meldet, dass die Attacken auf Awdijika und sieben weitere auf Ortschaften in der Nähe zurückgeschlagen worden seien, sprechen russische Militärblogger von weiteren Geländegewinnen der eigenen Truppen. Das amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) beziffert diese Gewinne jedoch lediglich auf 4,5 Quadratkilometer. Zudem seien Moskaus Streitkräfte bis auf 3,3 Kilometer an die ukrainischen Kommunikationslinien herangerückt (GLOC).

Die mehr als komplizierte Lage der ukrainischen Verteidiger macht der Bericht des Generalstabs über russische Luftangriffe auf die Gegend deutlich: In den vergangenen Monaten hat Moskau seine Flugzeuge nur vereinzelt eingesetzt, auch weil die ukrainische Flugabwehr der russischen Luftwaffe bereits empfindliche Verluste beigebracht hat. Nun aber wurden neben Awdijiwka auch die Ortschaften Nowokalinowe, Keramik und Stepowe nordwestlich davon bombardiert.

Aus den gefechtsstrategischen Fehlern etwas gelernt?

Zudem sollen Bilder, die in sozialen Netzwerken kursieren, belegen, dass die russische Armee auch TOS-1A Buratino einsetzt (Lesen Sie mehr über das gefürchtete Waffensystem hier). Die Mehrfachraketenwerfer gelten als gefürchtete Waffe in dem Konflikt. Denn sie können thermobarische Bomben verschießen, die eine verheerende Wirkung haben. Manche Militärexperten setzen ihre Vernichtungskraft mit der von taktischen Kernwaffen gleich. Dennoch meldet die Ukraine, die russischen Angriffe bislang erfolgreich abgewehrt zu haben.

Die Offensive der Russen ist mindestens riskant, denn Awdijiwka gilt als gut befestigt. Die ukrainischen Streitkräfte haben dort zahlreiche, gut ausgebildete Truppenteile versammelt. Wie das ISW analysiert, soll die Attacke jedoch unter anderem auch eine Fähigkeit unter Beweis stellen, für die Russlands Armee bislang nicht unbedingt bekannt gewesen ist: ihre Adaptionsfähigkeit. Putins militärische Befehlshaber wollen zeigen, dass sie aus den gefechtsstrategischen Fehlern der vergangenen Monate gelernt haben.

Laut russischen Militärbloggern berichten russische Kommandeure in der Schlacht von Awdijiwka etwa von Fortschritten im Bereich des Artilleriefeuers, der elektronischen Kriegsführung, der Luftaufklärung und vor allem in der Kommunikation zwischen den einzelnen Truppenteilen. Diese Verbesserungen seien das Ergebnis der Niederlagen, die die russische Armee zuletzt an der südlichen Front rund um Robotyne gemacht hatte. Dort war es der Ukraine gelungen, die schwer befestigten Verteidigungslinien der Russen teilweise zu überwinden und Territorium zurückzuerobern.

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Große Gefahr, eingekesselt zu werden

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die russischen Streitkräfte, die an der Schlacht um Awdijiwka beteiligt sind, im Wesentlichen aus dem 1. Armeekorps der sogenannten Volksrepublik Donezk (DNR) bestehen. Dieses steht unter dem Kommando der regulären russischen Armee, fiel in der Vergangenheit aber immer wieder durch schlechte Disziplin, korrupte Kommandostrukturen und mangelhafte Gefechtsführung auf. Wie die Berichte russischer Militärblogger nahelegen, sollen die bisherigen Vorstöße der DNR-Soldaten zeigen, dass ihre Integration in die Strukturen der regulären russischen Armee voranschreitet.

Dass die Russen nun bei Awdijiwka angreifen, hat vermutlich gleich mehrere Gründe. Zum einen werden dadurch wichtige Truppenteile der Ukrainer gebunden. Diese können also nicht an der für die Gegenoffensive wichtigen Südfront eingesetzt werden. Der Druck auf die Militärführung in Kiew nimmt damit zu. Denn der Fokus rückt nun auf einen anderen Frontabschnitt.

Das dürfte den Ukrainern nicht gefallen, denn sie stehen ohnehin unter Zugzwang. Der nahende Herbst mit seinen sintflutartigen Regengüssen steht bevor und damit eine natürliche Limitierung des Handlungsspielraums der ukrainischen Truppen im Rahmen der Gegenoffensive. (Lesen Sie mehr über das Phänomen der Rasputiza hier.)

Zum anderen liegt Awdijiwka an zwei wichtigen Nachschubrouten, einer Eisenbahnlinie, die direkt in die von Russen besetzte Regionalhauptstadt Donezk führt, und der Autobahn N20. Die Schnellstraße verbindet die strategisch wichtigen Städte Donezk, Kostjantiniwka, Kramatorsk und Slowjansk. Zudem bildet Awdijiwka die Front eines ukrainischen Keils, der tief in russisch besetztes Gebiet reicht. Für die Ukrainer besteht also das Risiko, eingekesselt zu werden und den gesamten Frontabschnitt zwischen Wodiane und Krasnohoriwka womöglich zu verlieren.

Verwendete Quellen
  • newsweek.com: "Russia Suffering Colossal Tank, Armor Losses in 'Kamikaze' Avdiivka Assault" (englisch)
  • understandingwar.org: "Russian Offensive Campaign Assessment, October 11, 2023" (englisch)
  • understandingwar.org: "Russian Offensive Campaign Assessment, October 12, 2023" (englisch)
  • washingtonpost.com: "Russia mounts major attack on key city in eastern Ukraine" (englisch)
  • nytimes.com: "As World’s Eyes Shift, Ukraine and Russia Look to Sway Opinions" (englisch)
  • reuters.com: "Ukrainian troops 'holding ground' in eastern town of Avdiivka, Zelenskiy says" (englisch)
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • Eigene Recherche
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