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Ukraine-Krieg: Putins Armee wirbt um Frauen – Das steckt dahinter


Ungewöhnliche Maßnahme
Darum wirbt Putins Armee jetzt auch um Frauen

Von Christoph Cöln

Aktualisiert am 28.10.2023Lesedauer: 5 Min.
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Medienberichten zufolge werden Russland verstärkt Scharfschützinnen und Bedienerinnen von Drohnen angeworben.Vergrößern des Bildes
Medienberichten zufolge wirbt Russland verstärkt Scharfschützinnen und Bedienerinnen von Drohnen an. (Quelle: Uncredited/AP)

Putins Armee wirbt um Frauen für den Krieg. Der Schritt kommt überraschend. Denn die russische Gesellschaft drängt Frauen systematisch an den Rand.

Die russische Armee will bei ihrem Ukraine-Feldzug verstärkt auf den Einsatz von Frauen an der Front bauen. Das melden russische Medien wie das unabhängige Internetportal "istories". Potenziellen Bewerberinnen wird demnach ein Halbjahresvertrag mit einem Monatsgehalt von umgerechnet etwa 2.200 Euro angeboten. Derzeit liegt der Durchschnittslohn eines Russen bei rund 750 Euro im Monat.

Dass die Soldatinnen an vorderster Front eingesetzt werden sollen, zeigen auch weitere Teile der Vertragsvereinbarungen. Bei einer Verletzung zahlt der Staat demnach 30.000 Euro Prämie, im Todesfall sollen den Hinterbliebenen rund 50.000 Euro ausgezahlt werden.

Entsprechende Rekrutierungsanzeigen tauchten demnach im russischen sozialen Netzwerk Wkontakte auf. Gesucht würden vor allem Frauen, die im Umgang mit Waffen schon geübt seien, teilte eine Recruiterin des sogenannten "Wolf"-Kampfbataillons "istories" mit. Anfängerinnen würden innerhalb eines Monats an der Waffe ausgebildet, um sie möglichst bald an die Front schicken zu können. Das Bataillon soll dem privaten Rekrutierungsunternehmen PMC Redut unterstellt sein, welches wohl vom russischen Verteidigungsministerium finanziert wird.

Entdeckt Wladimir Putin jetzt also sein Herz für die Gleichberechtigung? Wohl eher nicht. Vielmehr dürfte der Mangel an Soldaten ursächlich für den Schritt sein. Zuletzt sollen laut ukrainischen Angaben allein in der Schlacht um Awdijiwka bis zu 800 Russen pro Tag gefallen sein. Nach unterschiedlichen Schätzungen musste Putins Armee bislang schon zwischen 120.000 und 150.000 Gefallene verzeichnen. Offiziell gibt es aus Moskau seit Monaten keine Angaben dazu.

Bislang vor allem in der Küche und im Lazarett im Einsatz

Putins Armee wirft offenbar immer mehr Personal an die Frontlinien in der Ukraine. Dennoch hat der Kremlchef bislang keine neue Mobilisierungswelle angeordnet. Experten glauben, dass Putin die unpopuläre Maßnahme fürchtet, schließlich stehen im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen an.

Stattdessen sollen nun auch Frauen zum Dienst an der Waffe angeworben werden. Ausgerechnet in Russland, könnte man meinen – gilt Putins Armee doch als unumstößlicher Hort toxischer Männlichkeit. Bislang wurden Frauen in der russischen Armee nur als Soldatinnen zweiter Klasse behandelt. Ihre Einsatzgebiete beschränkten sich bislang vor allem auf die Sanitätszelte und die Feldküchen, wo sie Verbände wechseln und kochen durften. Das spiegelt ihre Rolle in der russischen Gesellschaft wider.

"Anfangs gab es bei uns keine Frauen, es gab nur Männer", sagte die namentlich nicht genannte Recruiterin gegenüber "istories". "Jetzt haben wir beschlossen, eine weibliche Scharfschützen-Truppe und eine weibliche UAV-Truppe (unbemannte Luftfahrzeuge bzw. Drohnen) einzuführen, weil Frauen das auch können."

Im Haushalt keine Hand gerührt

In Sachen Geschlechtergleichheit rangiert Russland weltweit auf den hinteren Plätzen, und das hat auch mit Wladimir Putin und dessen antiquiertem Weltbild zu tun. Der Präsident lehnt offiziell alles ab, was irgendwie nach Westen und seinem liberalen Gesellschaftsverständnis riecht. Feminismus, Gleichberechtigung, sexuelle Selbstbestimmung, Trans-Rechte – für den Kreml ist das alles Teufelszeug. "Ich halte viel von dem traditionellen Ansatz, dass ein Mann ein Mann und eine Frau eine Frau ist", sagte Putin dem russischen Propagandasender RT einmal.

Was er unter dem Frausein versteht, wie er die Rolle der Frau sieht, davon berichtete unter anderem seine Ex-Frau Ljudmilla Putina, die Mutter seiner beiden Töchter Katja und Mascha. "Er fragte mich nicht nach meiner Meinung. Für ihn war es selbstverständlich, dass getan wurde, was er wollte", sagte Ljudmilla im Rückblick. Und dazu gehörte auch, dass Putin im Haushalt keinen Finger gerührt habe. Er sei davon überzeugt, dass alles, was im Haus geschehe, Sache der Frau sei, so seine Ex-Frau.

Die strikte Trennung in Männer- und Frauendomänen in der russischen Gesellschaft zeigt sich bislang auch in der Armee, wo Frauen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Unter einer Million Militärangehörigen (Stand 2020) befanden sich lediglich etwas mehr als 40.000 Frauen, nicht einmal fünf Prozent. Äußerst selten schaffen es weibliche Angehörige der russischen Streitkräfte über niedrige Dienstgrade hinaus. Als der frühere Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow 2012 eine Soldatin zur Generalmajorin befördern ließ, wurde diese nur wenige Monate später wieder entlassen. Begründung: Sie sei inkompetent.

Kein ganz unübliches Muster im modernen Russland

Nun hält man im Kreml Frauen offenbar doch für höhere Aufgaben geeignet. Die Rekrutin mit dem Rufnamen Vesta sagte "istories" nun: "Meine Aufgabe als Kommandeurin einer Abteilung ist es zu beweisen, dass Frauen nicht nur für Suppen und Kinder geschaffen sind." Oder für sonstige zweifelhafte Dienstleistungen.

Erst im Frühjahr 2023 recherchierte das Nachrichtenportal "Radio Free Europe", dass es in der russischen Armee offenbar strukturellen Missbrauch von Soldatinnen gibt. Demnach soll es nicht unüblich sein, dass russische Kommandeure weibliche Armeeangestellte als Sexsklavinnen halten, die ihnen hörig sein müssen. Auch das wäre ein in der russischen Gesellschaft kein ganz unübliches Muster, denn Gewalt gegen Frauen hat in Russland fast schon systemische Züge angenommen, seitdem Putin seinen antiliberalen Kurs auch mit Unterstützung der orthodoxen Kirche verschärft hat.

So hat sexualisierter Missbrauch in den vergangenen Jahren wieder zugenommen. Im Jahr 2018 starben insgesamt 5.000 Frauen durch die Hand ihrer Ehemänner, im Vergleich zu anderen Ländern überproportional viele. Menschenrechtler schätzen die Dunkelziffer wesentlich höher ein; nur zehn Prozent der Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt werden, erstatten Anzeige, nur drei Prozent dieser Anzeigen landen schließlich vor Gericht. Und die wenigsten Richter in Russland verurteilen den Mann. Erst recht nicht seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2017, durch die häusliche Gewalt entkriminalisiert worden ist.

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Damals stimmte die Duma, also das russische Unterhaus, mit überwältigender Mehrheit für die Novellierung eines Kriminalitätsparagrafen, der Gewalt gegen Frauen unter Strafe stellt. Seitdem gelten für prügelnde Männer im Reich des Zaren großzügige Regeln. Sie dürfen ihre Frauen und Kinder zwar "nur" einmal im Jahr verprügeln, und dann auch nicht so sehr, dass ihnen die Knochen brechen oder sie eine Gehirnerschütterung davontragen.

Kommt es aber doch mal vor, fallen die Strafen nun moderat aus: ein geringes Bußgeld, 10 bis 15 Tage Haft oder gemeinnützige Arbeit. Vorausgesetzt, es findet sich ein Richter, der die Sichtweise des Opfers, also der Frau, anerkennt. Und das ist in Russland nur selten der Fall. Putin unterzeichnete das Gesetz selbstverständlich.

Immer weiter von der Aufklärung entfernt

Zuvor hatte sich auch die russisch-orthodoxe Kirche für eine Abschaffung des Prügel-Paragrafen ausgesprochen. Kirche und Staat bilden unter Putins Regentschaft eine unheilige Allianz. Patriarch Kyrill I. trägt den Kurs des Präsidenten. Der Geistliche teilt die revisionistische Ideologie Putins und unterstützt dessen Umbau der russischen Gesellschaft von einem einstmals moderat liberalen Modell zu einer reaktionären, nationalistischen Volks- und Glaubensgemeinschaft, die sich immer mehr von aufklärerischen Entwicklungen entfernt.

Im Gegenzug erhält Putin die absolute Unterstützung der Kurie für seinen Ukraine-Krieg. Kyrill I. trommelt mindestens ebenso militant für die Unterwerfung und Russifizierung des Nachbarlands wie die russische Staatspropaganda, die aus dem Kreml kommt. Sterben fürs Vaterland, das hat in Russland mehr denn quasireligiöse Züge. So werden Russlands gefallene Soldaten von der Kremlpropaganda bei Bedarf auch als Märtyrer gefeiert. Und Russland produziert derzeit viele Märtyrer.

Nun sollen also auch mehr Frauen dazu kommen, für das russische Vaterland zu sterben. Als Scharfschützinnen oder Drohnenpilotinnen. Notfalls mit nur einem Monat Ausbildung.

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Verwendete Quellen
  • theguardian.com: "The body collectors: Ukrainian volunteers search for Russian corpses" (englisch)
  • reuters.com: "Ukraine collects Russian bodies on 'road of death' in retaken southeast" (englisch)
  • rferl.org: "Redut: The Fake PMC Feeding Recruits Into The Kremlin's War Against Ukraine" (englisch)
  • ceicdata.com: "Russland Monatliches Einkommen"
  • hir.harvard.edu: "Putin’s Other War: Domestic Violence, Traditional Values, and Masculinity in Modern Russia" (englisch)
  • foreignpolicy.com: "Putin’s War on Women" (englisch)
  • smh.au.com: "In Lyman, retreating Russians leave their comrades’ bodies behind" (englisch)
  • wilsoncentre.org: "Kennan Cable No. 53: Russia’s "Traditional Values" and Domestic Violence" (englisch)
  • medium.com: "Russian girls go to ‘womanhood schools’: is Feminism even a possibility in conservative Russia?" (englisch)
  • hrw.org: "Russia: Bill to Decriminalize Domestic Violence" (englisch)
  • bloomberg.com: "Putin Says He Doesn’t Believe Trump Met Prostitutes in Russia" (englisch)
  • cncbc.com. "Putin: ‘I am not a woman, so I don’t have bad days’" (englisch)
  • reuters.com: "Ukrainian intercepts show Russian soldiers’ anger at losses, disarray" (englisch)
  • jpost.com: "Russian officers use female combat medics as sex slaves - report" (englisch)
  • seeker.com: "The Russian Schools Training Women To Be Housewives" (englisch)
  • sueddeutsche.de: "Putin ist geliefert" (kostenpflichtig)
  • Eigene Recherche
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