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Ukraine-Krieg: Der ukrainischen Armee fehlt es an Soldaten


Gehen der Ukraine die Soldaten aus?
Die Lage spitzt sich zu

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 22.12.2023Lesedauer: 4 Min.
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Kiew: Ukrainische Soldaten weinen neben dem Sarg eines Kameraden während seiner Trauerfeier auf dem Unabhängigkeitsplatz.Vergrößern des Bildes
Kiew: Ukrainische Soldaten weinen neben dem Sarg eines Kameraden während seiner Trauerfeier auf dem Unabhängigkeitsplatz. (Quelle: Evgeniy Maloletka/dpa)

In dem brutalen Abnutzungskrieg gegen Russland gerät die ukrainische Armee unter Druck. Nun ergreift die Ukraine Schritte, um auch Soldaten aus dem Ausland zu rekrutieren. Wie dramatisch ist die Situation wirklich?

Es ist ein Leben im Dauerfeuer. In der Ukraine müssen Soldaten monatelang an der Front verharren. Trotz der blutigen Kämpfe verschieben sich die Frontlinien nur wenig. Weder die Ukraine noch Russland sind derzeit in der Lage, in diesem Winterkrieg größere Geländegewinne zu erzielen. Viele Frontabschnitte wirken wie eingefroren. Doch der Eindruck täuscht.

Russland und die Ukraine befinden sich schon längere Zeit in einem Abnutzungskrieg. Da keine Seite größere Durchbrüche erzielen kann, geht es darum, wer in den kommenden Monaten mehr Kriegsgerät, mehr Munition und mehr Soldaten mobilisieren kann. Dabei scheint die Ukraine immer schlechtere Karten zu haben.

Über Kriegsgerät und Munition wird im Westen zum Jahresende viel diskutiert. Während Wladimir Putin seine Wirtschaft immer weiter auf Kriegsproduktion umstellt, liegen die Hilfspakete der USA und der Europäischen Union auf Eis. Auch beim Personal gibt es nun besorgniserregende Nachrichten für die ukrainische Führung. Die Mobilisierung stockt, die Ukraine schickt immer mehr ältere Männer an die Front. Wie dramatisch ist die Lage?

Video | "Menschenleben bedeuten ihnen nichts"
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Quelle: t-online

Hohe Verlustzahlen auf beiden Seiten

Genaue Zahlen gibt es nicht. Russland und die Ukraine halten ihre eigenen Verlustzahlen geheim. Experten zufolge hat die russische Armee aber deutlich mehr Soldaten verloren. Britische und US-Geheimdienste gehen davon aus, dass mittlerweile mehr als 300.000 russische Soldaten verletzt oder getötet wurden. Die US-Regierung teilte mit, dass Russland mittlerweile 87 Prozent der Bodentruppen verloren hat, die zu Beginn der Invasion im Februar 2022 an der Grenze bereitstanden. Diese Zahlen sind Schätzungen, können nicht zweifelsfrei geprüft werden.

Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin aber scheinen die hohen Opferzahlen gleichgültig zu sein. Besonders deutlich wurde das bei den Kämpfen um Bachmut ab Herbst 2022. Das ukrainische Verteidigungsministerium bezifferte das Verhältnis zwischen getöteten ukrainischen und russischen Soldaten auf eins zu zehn.

Die Zahlen können nicht überprüft werden, jedoch gilt als gesichert, dass die russische Armee als Angreifer in dieser Phase deutlich mehr Menschen in den Tod schickte. Putin brauchte damals den militärischen Erfolg, auch wenn Bachmut nach den Kämpfen eine Trümmerwüste war. Es zeigte jedoch, dass der Kreml damit rechnet, mehr Soldaten aufbieten zu können als die Ukraine. Sonst würde auch Russland sorgsamer mit den Leben der Soldaten umgehen.

Anfang Dezember kündigte Putin auf seiner jährlichen Pressekonferenz an, die russische Armee um weitere 170.000 Soldaten aufstocken zu wollen. Das ist nur die Spitze des Eisberges, denn in Russland gab es die gesamte Kriegszeit über verdeckte Mobilisierungen.

Ukraine kündigt Rekrutierungen im Ausland an

Doch auch die Ukraine dürfte hohe Verluste verzeichnen. Die ukrainische Führung kann sich diese Ausfälle allerdings weniger leisten, denn sie verfügt über weniger Reserven als die russische Armee.

Video | Experte: "Das sieht für die Ukraine nicht gut aus"
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Quelle: t-online

Am Donnerstag gab die ukrainische Führung bekannt, dass sie 450.000 bis 500.000 Soldaten benötige. Deswegen möchte Kiew Ukrainer im Alter von 25 bis 60 Jahren einberufen, die ins Ausland geflohen sind. Einfach wird diese Mobilisierung nicht: Zwar verteidigt ein Großteil der ukrainischen Bevölkerung freiwillig ihr Land vor den russischen Invasoren.

Aber für diejenigen, die bereits geflohen sind, dürften die aktuelle Kriegssituation und die blutigen Grabenkämpfe kaum einen Anreiz bieten, sich freiwillig zu melden. Ihnen droht die ukrainische Führung nun mit Sanktionen, sollten sie sich nicht bei den Rekrutierungszentren der Armee melden.

Senkt Selenskyj das Einberufungsalter?

In personeller Hinsicht hat die Ukraine derzeit mit gleich mehreren Problemen zu kämpfen. Zum einen braucht es durch die langen Frontverläufe mehr Soldaten, deren Belastung zusätzlich steigt. Es gibt kaum noch Rotation, berichten Beobachter vor Ort. Heißt: Die Möglichkeiten für Soldaten, nach Monaten des Kampfes einen kurzen Fronturlaub zur Erholung zu machen, schränken sich immer weiter ein.

Ein weiteres Problem ist die Überalterung der ukrainischen Armee. Das Durchschnittsalter der Soldaten liegt derzeit bei etwa 43 Jahren. Im Verlauf des verlustreichen Krieges wurden immer ältere Jahrgänge eingezogen. Momentan ist es noch verboten, Männer unter 27 Jahren einzuziehen, wenn sie keine militärische Vorerfahrung haben. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zwar vor, das Alter auf 25 Jahre zu senken. Er zögert jedoch bis heute mit seiner Unterschrift. Offenbar fürchtet er innenpolitische Konsequenzen dieser unpopulären Maßnahme.

Es ist ein großes Dilemma. Denn ohne weitere Reserven können die Soldaten an der Front nicht abgelöst werden. Die kämpfenden Truppen an der Front hingegen leiden unter einer großen Müdigkeit und psychisch-emotionaler Auszehrung, was ihre Kampfkraft schmälert. So beschreiben ukrainische Parlamentsabgeordnete dem "Handelsblatt" zufolge die aktuelle Lage.

Oberbefehlshaber schlägt Alarm

Dem ukrainischen Oberbefehlshaber Waleri Saluschni zufolge gibt es zwar noch kein Personalproblem, trotzdem schlug er bereits Anfang November in einem Interview mit der Wochenzeitung "The Economist" Alarm. Die Ukraine müsse mehr Reserven bilden, weil Russland mit seiner größeren Bevölkerung über dreimal höhere Personalkapazitäten verfüge, so der General. "Die Länge des Krieges, beschränkte Optionen zur Rotation von Soldaten an der Front und Gesetzeslücken, die eine Vermeidung der Mobilisierung erleichtern, verringern die Motivation der Bürger stark, im Militär zu dienen."

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Klar: Die Ukrainer möchten nicht wie die russischen Soldaten als Kanonenfutter enden. Einige zahlen die Strafe von umgerechnet 675 Euro monatlich, um sich freizukaufen. Andere nutzen Bestechung oder schieben Krankheiten vor, um nicht eingezogen zu werden. Zwar hat das ukrainische Parlament im August ein Gesetz verabschiedet, das die Zahl der medizinischen Gründe für eine Dienstuntauglichkeit deutlich verringert. Doch das Problem der Korruption bleibt.

Auch wenn die Personalsituation für die Ukraine derzeit nicht so kritisch ist wie der Mangel an Waffen und Munition, kann die Ukraine dieses Problem nicht auf die lange Bank schieben. Denn mobilisierte Kräfte müssen erst ausgebildet werden, sind nicht sofort einsatzbereit.

Von Anfang an haben die westlichen Verbündeten klargemacht, dass sie keine eigenen Kräfte zur Unterstützung schicken werden. Für die ukrainische Führung steht also fest: Sie ist personell auf sich allein gestellt und muss mit den Soldatinnen und Soldaten auskommen, die sie hat. Das birgt schon jetzt große Probleme.

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