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Berlin: Bundestagskandidatin mit 17? Darum stieß Noreen Thiel an ihre Grenzen


Bundestagskandidatin mit 17
"Habe mich selbst nicht mehr ertragen"


Aktualisiert am 11.03.2023Lesedauer: 3 Min.
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Noreen Thiel: Sie kandidierte 2021 für den Bundestag.Vergrößern des Bildes
Noreen Thiel: Sie kandidierte 2021 für den Bundestag. (Quelle: James Zabel)

Mit 17 kandidierte Noreen Thiel für den Bundestag. Heute meidet sie die Öffentlichkeit. Ein Gespräch über mentale Gesundheit und ein Leben nach der Politik.

Noreen Thiel wurde 2021 als Bundestagskandidatin der FDP in Berlin-Lichtenberg nominiert, sie war eine Exotin: jung, weiblich, FDP – und dann war da noch die Depression. Thiel lebt seit Jahren mit dieser Diagnose – ein Thema, das in der Politik noch weitestgehend tabuisiert wird. "Wir müssen ja alle funktionieren." Die 19-Jährige zieht eine Grimasse.

Noreen Thiel, damals 17 Jahre alt, beschloss, sich zu zeigen. In Lichtenberg gibt es für die Liberalen traditionell wenig zu holen, und so richtete Thiel den Wahlkampf fast komplett an einem Thema aus, das sie aus eigener Erfahrung zu gut kennt: mentale Gesundheit. "Ich musste mir oft anhören, dass ich das für die Aufmerksamkeit tue. Aber darum ging es mir nicht: Millionen Menschen sind psychisch krank. Ich habe mir gewünscht, dass über das Thema gesprochen wird. Wenn ich dafür meinen Namen und mein Gesicht hergeben musste, dann war das eben so."

Absätze über eine Haarsträhne

Medien wurden auf sie, die jüngste aller Kandidatinnen, aufmerksam, teils trieb die Berichterstattung wilde Blüten. Ganze Absätze setzten sich mit der Tatsache auseinander, dass Thiel ihre Instagram-Follower über die Farbe einer Haarsträhne abstimmen ließ. Sie traf Parteichef Christian Lindner – in Begleitung einer Kamera des Fernsehsenders ProSieben.

Für Thiel, so sagt sie heute, sei die Zeit kräftezehrend gewesen – aber auch eine Erfahrung, von der sie froh sei, sie gemacht zu haben. "Wenn ich eine Sache gelernt habe, dann das: Ich will das nicht mehr machen."


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"Ich habe immer wieder über dasselbe gesprochen, dieselben Dinge gesagt. Irgendwann habe ich mich selbst nicht mehr ertragen."


Noreen Thiel


Die introvertierte junge Frau kehrte sich monatelang nach außen. Zum Zeitpunkt der Wahl im Herbst 2021 war Thiel noch kein halbes Jahr volljährig. Die eigene mentale Leistungsgrenze habe sie schon vorher erreicht: "Ich habe monatelang mit vier Stunden Schlaf gelebt, immer wieder über dasselbe gesprochen, dieselben Dinge gesagt. Es ging nicht mehr. Irgendwann habe ich mich selbst nicht mehr ertragen."

"Nein" ist ein ganzer Satz

Thiel fuhr bereits Wochen vor dem Ende ihren Wahlkampf aufs Notwendigste zurück, sagte vermeidbare Interviews ab, zog sich zurück. Eine Journalistin habe nach einer solchen Absage Thiels privaten Arbeitgeber kontaktiert und ihn aufgefordert, Thiel zur Zusage zu bewegen. Die rief daraufhin völlig aufgelöst ihren Therapeuten an. "Es war zu viel. Vor einigen Tagen habe ich die Nachrichten einiger Journalisten an mich noch mal gelesen und habe gesehen: Das war so manipulativ."

Sie habe auch vieles über sich selbst gelernt. "Ich wollte es den Leuten recht machen", sagt Thiel heute über das Jahr 2021. "Es fiel mir unglaublich schwer, Nein zu sagen." Die Lektion aus dieser Zeit trägt Thiel als Tattoo am Körper: "No is a full sentence." "Nein" ist ein ganzer Satz.

Soziale Medien entpolitisiert, die Website gelöscht

Am Tag nach der Wahl sei der ganze Druck abgefallen, "ein komisches Gefühl". "Das war nicht gut damals." An den Sommer 2021 erinnert sie sich so gut wie nicht mehr, "nur noch, wenn ich mich aktiv dazu bringe", wie für dieses Gespräch. "Sonst ist da alles blank." Seit dem Ende ihres Wahlkampfes vor eineinhalb Jahren hat Noreen Thiel nicht mehr öffentlich über Politik gesprochen – bis heute.

Mit 14 Jahren trat die Lausitzerin der FDP bei, zunächst, weil sie etwas in der Bildungspolitik bewegen wollte. Heute, mit fast 20 Jahren, meidet Thiel die politische Öffentlichkeit. "Ich arbeite immer noch im politischen Berlin. Ich bleibe ja ein politischer Mensch. Nur wenn ich heimkomme, wenn ich privat bin, geht es um andere Dinge."

Sie habe einen Großteil ihrer Jugend in die Politik gesteckt. "Ich will nicht sagen, dass ich diese Zeit jetzt nachhole, aber ein bisschen schon." Ihre Social-Media-Accounts sind "entpolitisiert", wie sie es nennt, ihre Website aus Wahlkampfzeiten existiert nicht mehr. "Meinen Spaß an dieser Form der Außendarstellung habe ich verloren. Auf TikTok bin ich nur noch zum Vergnügen, und so macht mir das auch Spaß."

Thiel studiert neben ihrem Job. Sie und ihr Freund besitzen zwei Katzen, reisen gerne, besuchen Konzerte. Die politische Öffentlichkeit vermisse sie nicht, im Gegenteil: "Ich wollte sehen, ob es für mich auch Hobbys gibt, die weniger toxisch sind. Es hat sich herausgestellt: Die gibt es."

Verwendete Quellen
  • Interview mit Noreen Thiel
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