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Bahnstreik der GDL: Wie groß ist das Chaos? Reporter reist mit Zug


Bahnstreik der GDL
"Du willst heute wirklich mit dem ICE fahren?"


Aktualisiert am 17.11.2023Lesedauer: 5 Min.
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Impressionen von Berlin Hauptbahnhof während des Streiks: Zahlreiche Bahnfahrende nutzen die wenigen Verbindungen.Vergrößern des Bildes
Impressionen vom Berliner Hauptbahnhof während des Streiks: Zahlreiche Bahnfahrende nutzen die wenigen Verbindungen. (Quelle: Rüdiger Wölk/imago-images-bilder)

Während der Bahnstreik das Land in Atem hält, wagte ein t-online-Reporter eine Fahrt mit dem ICE. Ein Bericht über volle Züge, Anpassungsfähigkeit und Chaos auf Deutschlands Schienen.

Ich würde mich selbst als einen routinierten Bahnfahrer bezeichnen. Als ehemaliger Zeitsoldat bei der Bundeswehr und nun als Journalist für t-online habe ich die deutsche Bahnlandschaft ausgiebig kennengelernt. Besonders die Strecke HannoverBerlin ist mir vertraut. Üblicherweise verzichte ich auf Sitzplatzreservierungen. Wenn es mir zu voll ist im normalen Bereich, gehe ich ins Bordbistro und erwarte eine ruhige Fahrt mit Kaffee und genügend Platz für meine Arbeit.

Aber es gibt Tage, da geht dieser Plan nicht auf – wie an diesem Donnerstag: Der Warnstreik der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) sollte drastische Auswirkungen auf den Fernverkehr haben. Eine zweite Verhandlungsrunde ist abgesagt. Mehr dazu lesen Sie hier.

Bereits die Fahrt mit der S-Bahn zum Büro an diesem Morgen ließ erahnen, was mich später erwarten würde: Die S-Bahnhöfe waren voller als sonst, die Züge fuhren seltener. Doch die Erfahrungen mit den Streiks der vergangenen Jahre hatten uns Bahnreisende abgehärtet. Die meisten schienen den Streik einfach hinzunehmen, drängten sich enger zusammen oder planten, später anzukommen. Nur wenige schienen überrascht und mussten sich spontan verspätet am Telefon bei ihrem Arbeitgeber melden.

Im Büro war die Stimmung schon anders. Viele meiner Berliner Kollegen, vor allem die aus den Randbezirken Berlins, nutzten die Homeoffice-Option – ein Akt der Solidarität gegenüber all jenen, die auf die S-Bahn angewiesen sind, sagten mir manche. Ich selbst musste aus persönlichen Gründen aber noch an diesem Donnerstag zurück nach Hannover – da gab es wenig Spielraum. Meine Reiseabsichten lösten unter den Kollegen trotzdem Verwunderung aus: "Du willst wirklich nach Hannover? Mit der Bahn? Heute? Oha." Diese Nachricht verbreitete sich schnell in den Redaktionsräumen, so schnell, dass ich schließlich diesen Artikel schreiben sollte.

Kollegen amüsiert über Rollkoffer-Reporter

Laut einem Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom Mai dieses Jahres gilt Reisezeit als Arbeitszeit. Warum also nicht das Beste daraus machen und im "Train Office" schreiben? Als ich mit meinem Rollkoffer den Redaktionsraum verließ, konnte sich kaum ein Kollege einen Kommentar verkneifen. "t-online-Reporter reist zu Fuß nach Hannover. Würde ich sofort lesen", scherzte einer. Ein anderer hinterfragte wiederholt, ob ich meinen Plan, eine der wenigen Verbindungen, die um 13.46 Uhr, zu nutzen, wirklich ernst meinte. "Als ob da irgendwas fährt", sagte er mir noch.

Beim Betreten des Berliner Hauptbahnhofs blieb mein Blick wie gewohnt auf der Anzeigetafel haften. "Zug fällt aus", "Verspätet", "Zug fällt aus" – die Anzeigen zeugten vom Streik.

Doch wie durch ein Wunder erspähte ich meine geplante Verbindung nach Hannover, die, gegen alle Erwartungen, keine Verspätung verzeichnete. Inmitten des Streikchaos schien dies fast zu schön, um wahr zu sein. Ein letzter prüfender Blick auf die Anzeigetafel bestätigte: Mein Zug sollte tatsächlich planmäßig abfahren.

Ruhiger Hauptbahnhof trotz Reisechaos – oder wegen?

Während ich meine letzte Zigarette vor der Reise rauchte – ein Ritual, das ich mir vor angespannten Fahrten gönne – betrachtete ich die ungewohnt ruhige Szenerie des Bahnhofs. Für einen Donnerstagmittag war der Andrang erstaunlich gering. Keine Spur von gestrandeten Reisenden oder hektischen Pendlerströmen. Es schien, als hätten viele die Warnungen der Bahn ernst genommen und ihre Reisen verschoben oder ganz abgesagt.

Am Gleis 14, meinem Abfahrtsgleis, setzte sich der ruhige Eindruck fort. Fast leer und ohne das übliche Gedränge, das man bei einer solchen Großstörung erwartet hätte. Mit gemischten Gefühlen betrat ich den Zug, bereit für die Unwägbarkeiten, die mich erwarten könnten.

Doch dann die erste Überraschung: Mehrere Zugbegleiter koordinierten den Einstieg in den ICE, lenkten die Fahrgäste geschickt in die verschiedenen Waggons. Ich manövrierte mich an ihnen vorbei, getrieben von der Hoffnung, doch noch einen Sitzplatz zu ergattern. Doch daraus wurde nichts. Trotz gut koordinierter Verteilung war der ICE sehr voll.

Ein Schauspiel der Höflichkeit

Die Mitreisenden schienen sich größtenteils mit der Situation abgefunden zu haben. Man sah müde, aber gefasste Gesichter, die das Unvermeidliche akzeptierten. Es herrschte eine seltsame Ruhe, durchbrochen nur von gelegentlichem Flüstern und dem Klackern von Laptops.

Plötzlich wurde ich aus meinen Beobachtungen gerissen, als ein älterer Herr ein junges Paar bat, seinen reservierten Platz freizugeben. Ohne Murren kamen sie seiner Bitte nach und zogen weiter, auf der Suche nach einer anderen Sitzgelegenheit. Es war ein kleines Schauspiel der Höflichkeit und des gegenseitigen Respekts, das sich da vor meinen Augen abspielte.

Ich überlegte kurz, mich zu einem anderen Fahrgast zu gesellen, der einen freien Platz neben sich hatte, entschied mich aber dagegen: Er war schließlich mit einem Wurstbrot bewaffnet. "Chapeau!", dachte ich. Stattdessen fragte ich einen der Zugbegleiter, wo sich das Bordbistro befand. "Mit einem kurzen Sprint am Bahngleis könnten Sie es schaffen, in Berlin-Spandau auszusteigen, zum Waggon mit dem Bordbistro zu laufen, dort einzusteigen und etwas zu ergattern", schlug er vor. Gesagt, getan.

 
 
 
 
 
 
 

Junges Paar aus erster Klasse verwiesen

Meine Hoffnung zerschlug sich schnell, als ich das Bordbistro erreichte: Es war ebenfalls brechend voll. Also kämpfte ich mich in den Gang zurück, bereit, die Fahrt im Stehen zu verbringen. Zumindest hatte ich Platz für mich und meinen Rollkoffer gefunden – ein quasi-Sitzplatz: mit dem Hintern auf dem Fußboden, die Füße auf der abgesenkten Stufe am Einstiegsbereich.

Während der Fahrt beobachtete ich, wie ein junges Paar von einer Zugbegleiterin aus der ersten Klasse verwiesen wurde, da sie nur Tickets für die zweite Klasse hatten. Sie schienen sich zu ärgern, aber akzeptierten die Situation. "Das ist halt alles so deutsch hier", sagte die Frau. Als ich die Zugbegleiterin darauf ansprach, sagte die bloß: "Es muss halt alles seine Ordnung haben." Die junge Frau sagte mir später, Bahn-Kollegen hätten dem Paar sogar dazu geraten, sich in die erste Klasse zu setzen. "Wir dürften heute eine Ausnahme machen, sagten die." Daraus wurde dann aber doch nichts.

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Solidarität unter gestrandeten Zugreisenden

Die Fahrt ging weiter und ich arrangierte mich mit meinem Laptop auf den Knien. Der Zug war voll, aber es herrschte eine Atmosphäre der Solidarität und des gegenseitigen Verständnisses. Vielleicht hatten wir uns alle schon an die Unannehmlichkeiten des Bahnverkehrs gewöhnt – an die ständigen Verspätungen, die Baustellen, die Einschränkungen während der Corona-Maßnahmen und eben auch an die Streiks.

Als wir schließlich Hannover erreichten, tatsächlich ohne Verspätung, war ich erleichtert, aber auch nachdenklich: Der Bahnhof dort zeichnete ein anderes Bild: Menschen schienen irritierter, blickten ratlos auf die Anzeigetafeln und telefonierten aufgeregt. Die Streiksituation schien die Menschen hier zum Teil eiskalt zu erwischen. "Was streiken die schon wieder?", sagte einer am Telefon. "Verdammt", ein anderer. Am Infostand begegne ich Daniel. Er musste nach Neustadt in der Region Hannover reisen. "Aber das wird wohl heute nichts mehr. Wegen eines Streiks", sagte er mir sichtlich frustriert. Hier ticken die Uhren wohl noch anders.

Trotz der Widrigkeiten hatte ich es geschafft – ich war in Hannover angekommen, trotz des Streiks. Sogar nicht gänzlich von der Bahnreise verstimmt. Ein Beweis dafür, dass Flexibilität und Geduld manchmal die besten Reisegefährten sind. Claus Weselsky wird in diesem Jahr wirklich einen langen Atem brauchen, um seine Forderungen durchzusetzen und auch Rückhalt bei Bahn-Kunden zu gewinnen.

Transparenzhinweis
  • Dieser Text wurde mit maschineller Unterstützung erstellt und redaktionell geprüft. Wir freuen uns über Hinweise an t-online@stroeer.de.
Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
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