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Arno Funke als Kaufhaus-Erpresser Dagobert: "Ich war ein Volksheld" | Berlin


Kaufhaus-Erpresser Dagobert
"Ich habe bei Karstadt keine Schulden mehr"

  • Autorenprofil Pascal Biedenweg
InterviewVon Pascal Biedenweg

21.04.2024Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
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Arno Funke alias Dagobert: Der heute 74-Jährige spricht über seine Zeit als Kaufhaus-Erpresser. (Quelle: IMAGO)

Die Jagd nach dem Kaufhaus-Erpresser "Dagobert" gehört zu den spektakulärsten Kriminalgeschichten. Mit seinen ausgeklügelten Tricks narrte er die Polizei. Im Interview verrät er, ob er seine Taten heute bereut.

"Guten Morgen, hier ist Onkel Dagobert", sagt der Anrufer mit fisteliger Stimme. "Es tut mir leid, dass ich Ihre Firma erpressen musste, aber es war nicht anders möglich", ergänzt er und hört sich dabei gehetzt an. Drei Tage nach dieser Aufnahme wird der Mann an einer Berliner Telefonzelle gestellt, als er neue Anweisungen für die Übergabe von mehr als 1,4 Millionen D-Mark stellen will. Rund zwei Jahre hat Kaufhaus-Erpresser Dagobert die Polizisten mit seinen ausgeklügelten Tricks genarrt. Mehr dazu lesen Sie hier.

Am 22. April 1994 knallen bei der Polizei die Sektkorken – und auch der Gejagte ist letztlich erleichtert. Am kommenden Montag jährt sich die Verhaftung von Kaufhaus-Erpresser Dagobert alias Arno Funke zum 30. Mal. Bereut er seine Verbrechen? Im t-online-Gespräch spricht Funke über seine Ängste als Krimineller, seine Zeit nach der Haft und die Beziehung zu seinen ehemaligen Jägern.

t-online: Herr Funke, wie lebt es sich als Rentner?

Arno Funke: Es lebt sich gut. Von Langeweile kann nicht die Rede sein. Ich habe gerade ein Buch geschrieben – suche aber noch nach einem Verleger.

Sie wohnen weiterhin in Berlin. Wie geht es Ihnen damit?

Früher war es hier wesentlich konservativer als heute. Das war eine ganz andere Zeit. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich möchte aus Berlin raus. Ich habe die Schnauze voll. Mir passt das alles nicht mehr – zu viele Veränderungen. Aber wenn ich in meinem Alter nach Brandenburg ziehe, dann muss erst mal die ärztliche Versorgung sichergestellt sein.

Am Dienstag jährt sich Ihre Verhaftung als Kaufhaus-Erpresser zum 30. Mal. Wie schauen Sie heute auf die Zeit?

Puh. Das ist schon so lange her. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das alles gar nicht passiert ist. Wenn ich nicht ständig daran erinnert werden würde, würde ich das glatt vergessen. Wenn ich daran zurückdenke, kann ich es gar nicht mehr wirklich nachvollziehen, wie ich das in meinem damaligen Zustand überhaupt alles geschafft habe.

Also würden Sie lieber vergessen?

Das kann man so sagen. Es ist schon so, als wenn man sich an einen Albtraum erinnert.

Aber Sie profitieren davon natürlich auch. Sie haben ein Buch über diese Zeit geschrieben, viel durch Merchandise verdient. Sie wurden dadurch bundesweit bekannt.

Das stimmt. Es ist ein Teil meiner Biografie. Die kann ich nicht einfach löschen – damit muss ich leben. Und es hat mir gewisse Vorteile verschafft, das darf man nicht verkennen.


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"Es ist so, als wenn man sich an einen Albtraum erinnert."


Arno Funke


Wie viel Geld mussten Sie an Karstadt zurückzahlen?

Das sind die Legenden, die im Internet kursieren. Im Detail darf ich nicht darüber sprechen. Als ich ins Dschungelcamp gegangen bin und ich wusste, dass das Thema Geld durch die Medien gehen wird, habe ich mich mit Karstadt in Verbindung gesetzt und wir haben uns geeinigt.

Haben Sie noch Schulden?

Nein, ich habe bei Karstadt keine Schulden mehr.

Wie sind Sie auf die schiefe Bahn gekommen? Man steht ja nicht an einem Tag auf und denkt sich: Ok, nun werde ich Kaufhaus-Erpresser.

Natürlich nicht. Ich litt unter schweren Depressionen, die durch Lösungsmittel hervorgerufen wurden, die ich in meinem Berufsleben zu viel eingeatmet hatte. Daraus resultierten Hirnschädigungen. Ich fühlte mich permanent so, als hätte ich eine halbe Flasche Whiskey getrunken. Ich war wie zugedröhnt. Meine Gefühle waren reduziert. Ich stand kurz vor dem Selbstmord. Und da dachte ich: Wenn ich jetzt schon so weit bin, dann kann ich auch noch mal was probieren.

Und dann Kaufhaus-Erpresser? Warum kein Tankstellen-Überfall?

Sie können gerne mal eine Tankstelle überfallen. Lohnt sich das? Ich denke nicht. Das reicht gerade mal für die nächsten Tage. Und außerdem hätte ich dann Menschen direkt gegenübertreten und bedrohen müssen. Das wäre nichts für mich gewesen. Der Gedanke war: Wenn ich Geld habe, habe ich mehr Freiheiten und kann zusehen, mit meinem Leben wieder klarzukommen.

Sie haben damals vom KaDeWe 500.000 DM erpresst. Vier Jahre später war davon nicht mehr viel übrig. Warum war das Geld so schnell weg?

Weil ich nicht arbeiten konnte. Mir war schon klar, dass man sich mit dem Geld eigentlich eine Existenz hätte aufbauen müssen. Ich war aber einfach nicht arbeitsfähig. Ich konnte mich am Tag höchstens zwei, drei Stunden konzentrieren. Danach war ich durch.

Haben Sie im KaDeWe eigentlich Hausverbot?

Ich hatte dort nie Hausverbot, bin schon öfter dort gewesen. Einmal wurde ich vom Ladendetektiv erkannt und zur Seite gezogen, weil auch er dachte, ich hätte Hausverbot. Dann wurde der Chef eingeschaltet. Und am Ende musste er sich bei mir entschuldigen.


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"Ich habe keine Lust zu lügen, nur um irgendwelche gesellschaftlichen Erwartungen zu erfüllen."


Arno Funke


Zuletzt wurde nach der Festnahme von RAF-Terroristin Daniela Klette viel darüber diskutiert, wie man sich fühlt, wenn man permanent auf der Flucht ist. Sie können es am besten beurteilen.

Anfangs ist man immer unsicher. Das ist schon sehr belastend. Es mag absurd klingen, aber irgendwann gewöhnt man sich daran.

Es wurde überliefert, dass Klette bei ihrer Festnahme erleichtert gewirkt haben soll. Wie war das bei Ihnen?

Es war eher ein Moment wie beim Zahnarzt – man lässt es über sich ergehen (lacht). Ich wusste ja nicht, was danach alles auf mich zukommen wird.

Bereuen Sie Ihre Taten?

Die Antwort können Sie sich selbst geben: Sie dürfen nicht vergessen, in welchem Zustand ich damals war. Als ich im Gefängnis saß, hatte ich genug Zeit, um alles Revue passieren zu lassen und zu reflektieren. Ich habe mich gesundheitlich erholt. Als ich aus dem Gefängnis kam, hatte ich Arbeit, hatte sozialen Anschluss, hatte eine Freundin. Aber muss ich meine Taten dann insgesamt bereuen?

Es war kein Kavaliersdelikt. Man darf es nicht verharmlosen. Aber die Antwort kann ich Ihnen schlussendlich nicht abnehmen.

Stellen Sie sich vor, Sie wären in meiner Situation. Und im Endeffekt kommt am Ende sogar was Positives für Sie heraus. Es ist schwierig zu erklären. Ich habe keine Lust zu lügen, nur um irgendwelche gesellschaftlichen Erwartungen zu erfüllen. Ein guter Strafverteidiger sagt seinem Mandanten: Pass auf, Du musst sagen, dass Du die Tat bereust. Dann bekommt man vielleicht ein Jahr weniger. Aber das ist doch verlogen. Und damit habe ich ein Problem.

Also im Klartext: Sie bereuen es nicht.

Sagen wir so: Ich würde es heute nicht mehr wieder machen. Und eines ist ja richtig: Es tut mir für die Menschen leid, die unter meinen Taten leiden mussten. Die Belastung, die manche Leute hatten, habe ich verursacht. Aber ich kann es auch nicht mehr rückgängig machen.

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Sie sprechen damit unter anderem die Polizisten an. Haben Sie zu manchen von denen noch Kontakt?

Ja. Es ist auch nicht sehr distanziert. Man begegnet sich mit Respekt. Und ich kann auch keinem Polizisten einen Vorwurf machen, dass er Polizist ist. Der eine ist besser, der andere schlechter. Aber am Ende des Tages sind das auch nur Menschen. Es ist interessant, die Gegenseite kennenzulernen. Da erfährt man Dinge, an die man in der Situation als Dagobert gar nicht denkt. Zum Beispiel, dass die Polizisten wegen mir Krach zu Hause hatten. Die mussten Überstunden machen, am Wochenende arbeiten, wenn eine Familienfeier stattfand. Oder sie haben den Spott aus der Nachbarschaft abbekommen, wenn eine Übergabe wieder nicht funktioniert hat.


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"Wenn mein Plan schlussendlich funktioniert hat, habe ich mich gefreut."


Arno Funke


Ihre Erpressungsgeld-Übergaben waren spektakulär. Wie haben Sie sich dabei gefühlt? Hatten Sie Angst?

Klar. Sie können so etwas ja mal versuchen (lacht).

Lieber nicht.

Um Gottes willen, lassen Sie es bleiben. Das sind Situationen, die ich nicht mehr erleben möchte. Einfach ein enormer Stress. Wenn man weiß: Das ist jetzt der Zug, wo das Geld mitfährt, und man das Signal zum Abwurf gibt – das ist irre. Man weiß, gleich geht hier ein Gewitter los. Dann kommen Hubschrauber und die Polizei ist überall. Alles kann in diesem Moment passieren.

Wäre so etwas heute auch noch möglich?

Das wäre so nicht mehr möglich. Die Polizei hat auch durch meinen Fall sehr viel dazugelernt.

Auf welche Vorrichtung sind Sie im Nachhinein besonders stolz?

Es gab Situationen, wo ich das Handeln der Polizei im Vorhinein miteingeplant hatte. Und wenn mein Plan dann schlussendlich funktioniert hat, habe ich mich gefreut. Ganz klar. Aber Stolz ist der falsche Begriff.

Genugtuung?

Auch nicht. Da schwillt mir nicht die Brust an und ich denke nicht, was ich doch für ein toller Hecht bin. Ich habe es zur Kenntnis genommen und gedacht: Glück gehabt.

Woher kam Ihr Wissen, solche raffinierten Vorrichtungen zu konstruieren?

Das Grundwissen hatte ich schon vorher. Ich hatte mich schon während meiner Kindheit für Technik interessiert, habe mich viel mit Elektronik auseinandergesetzt. Und ich habe nur Fachbücher gelesen. Mich hat Physik interessiert, habe im Alter von 15 Jahren die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein gelesen. Keine Belletristik. Keine Romane. Wenn, dann habe ich mir griechische Sagen durchgelesen.

Dort geht es oft um Heldengeschichten – haben Sie sich auch als Held der Massen gesehen?

Nein, ich war eher schüchtern. Ich bin eigentlich introvertiert. Mittlerweile muss ich sagen: gewesen. In den vergangenen Jahren habe ich viel an Selbstsicherheit hinzugewonnen. Das genieße ich ein Stück weit. Als junger Erwachsener habe ich unter meiner Schüchternheit besonders gelitten. Das hat mich fürchterlich genervt.

Hat es Sie geärgert, dass lange Zeit niemand wusste, wer dieses Superhirn ist, der die Polizei alt aussehen lässt?

Nein, auch hier kommt die Introvertiertheit zum Tragen. Aber so war es natürlich angenehmer, als wenn man gehasst wird. Für manche bin ich zum Volkshelden aufgestiegen. Das war schon verrückt.


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"Ich als Politiker? Das wäre mir zu viel Stress gewesen."


Arno Funke


Haben Sie nach Ihrer Haft eigentlich mal überlegt, Politiker zu werden? Ihre Chancen wären wahrscheinlich gar nicht so schlecht gewesen.

Nein, das wäre mir zu viel Stress gewesen. Man kann machen, was man will, am Ende gibt es immer Leute, die meckern und dagegen sind. Schauen Sie sich die Corona-Zeit an: Wenn Dinge – wie die Maskenpflicht oder der Lockdown – nicht beschlossen worden wären, hätten auch viele Menschen gemeckert. Wie man es gemacht hätte, es hätte immer Leute gegeben, die das nicht richtig finden. Wahrscheinlich waren manche Maßnahmen überzogen – aber hinterher ist man immer schlauer.

Was sagt es über eine Bevölkerung aus, die große Sympathien zu einem Verbrecher entwickelt?

Ich bin mir sicher: Das hatte etwas mit dem Mauerfall zu tun. Ich war im Osten auch deutlich beliebter als im Westen. Da war das Gefühl noch da, dass alles, was gegen den Staat geht, was gegen die Polizei geht, gut ist. Viele haben in mir einen modernen Robin Hood gesehen. Irgendwie habe ich auch Glück gehabt – meine derzeitige Lebenspartnerin kommt auch aus dem Osten.

Das klingt spannend. Erzählen Sie: Wie war der erste Besuch bei der Familie Ihrer Lebensgefährtin? Der Elefant steht ja im Raum. Oder anders gesagt: Dagobert steht im Raum.

Meine Lebensgefährtin hatte ihnen vorher erzählt, dass nun Dagobert zu Besuch kommt. Um im Bild zu bleiben: Es war schon so, dass man ordentlich beschnuppert wurde. Aber ich bin von der Familie mit offenen Armen aufgenommen worden. Und: Sie haben schnell gemerkt, dass ich nicht der Besser-Wessi bin.

Noch mal zu Ihrem Buch: Wovon handelt es eigentlich?

Es ist keine Autobiografie, sondern ein Fantasyroman. Es trägt den Titel "Von allen Göttinnen verlassen". Ich hatte meinen Spaß daran. Schauen wir mal, wie es ankommt.

Heutzutage sollte man so etwas über die sozialen Medien bewerben.

Da sagen Sie was. Und soll ich Ihnen etwas verraten? Ich habe mich unter der Woche bei Instagram angemeldet. Aber so wirklich komme ich mit der Plattform noch nicht zurecht. Dafür bin ich dann wohl doch schon zu alt.

Herr Funke, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Arno Funke
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