t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeRegionalFrankfurt am Main

Wohnungsnot in Frankfurt am Main: "Ich war über ein Jahr wohnungslos"


Wohnungsnot in Frankfurt
"Ich war über ein Jahr wohnungslos"

Von Stefan Simon

Aktualisiert am 25.09.2023Lesedauer: 5 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
imago images 0304587883Vergrößern des Bildes
Schlafplatz eines Wohnungslosen (Sybmolfoto): Leo* war wohnungslos, wohnte aber bei Freunden oder ihrem Partner. (Quelle: IMAGO/Horst Galuschka /imago)

Hohe Mieten, Energiekrise, Inflation: In Frankfurt zeigt sich sehr drastisch, wie der angespannte Wohnungsmarkt Menschen trifft. Zwei Betroffene berichten.

Ein Jahr und vier Monate suchte Leo* in Frankfurt am Main nach einer bezahlbaren Wohnung. Ihre Odyssee begann Ende Oktober 2020. Zu dem Zeitpunkt wohnte sie erst wenige Wochen in einer Wohngemeinschaft. Doch ihre Mitbewohnerin machte ihr das Leben zur Hölle. "Sie wurde mir gegenüber gewalttätig und hat Dinge nach mir geworfen", erzählt Leo* im Gespräch mit t-online. "Ich hatte Angst vor ihr." Die 36-Jährige will ihre Identität nicht preisgeben – aus Scham? Aus Angst? Leo* sagt es nicht, aber die Erfahrungen, die sie während ihrer Wohnungssuche sammelte, haben bei ihr Spuren hinterlassen.

Leo* leidet zudem unter Depressionen, die sich durch ihre gewalttätige Mitbewohnerin verstärkten. "Ich musste aus dieser Wohnung raus", erinnert sie sich. Ende Oktober verließ sie die WG. Dass sie monatelang nach einer neuen Bleibe suchen würde, damit hätte Leo* nicht gerechnet. Der angespannte Wohnungsmarkt traf sie hart.

In Frankfurt entstehen neue Wohnungen

In Frankfurt entstand in den vergangenen Jahren eine gewaltige Menge an neuen Wohnungen. 2015 gab es 375.000 Wohnungen im Stadtgebiet, fünf Jahre später waren es bereits fast 407.500.

Doch zu einer Verbesserung der Situation von Menschen, die auf halbwegs bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind, hat dieser Neubauboom nicht beigetragen. Günstige Mietwohnungen und öffentlich geförderter Wohnraum entstehen kaum. Das zeigen Zahlen aus dem städtischen Wohnungsmarktbericht 2019/2020.

Mit geringem und mittlerem Einkommen wenige Chancen

Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen schaffen es kaum, auf dem Frankfurter Markt eine Wohnung mit für sie passabler Miete zu finden. Die Angebotsmieten lagen nach Zahlen des Wohnungsmarktberichts im Jahr 2021 im Schnitt bei 14 Euro pro Quadratmeter.

Daran ändern auch die zuletzt weniger stark gestiegenen Mieten nichts. Laut einer aktuellen Analyse des Instituts für Wirtschaft (IW) sind in Frankfurt die Angebotsmieten im dritten Quartal um 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal gestiegen. Das war das geringste Plus unter den großen Metropolen. "In den sehr teuren Städten fallen die Zuwächse – wahrscheinlich aufgrund fehlender Zahlungsfähigkeit – geringer aus", sagte IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer. In den Metropolen haben die Mieten nach Jahren des Immobilienbooms schon ein sehr hohes Niveau erreicht.

Situation spitzt sich zu: "Ich habe aus dem Koffer gelebt"

Leo* verschickte täglich ein bis zwei Anfragen an Wohngemeinschaften, Immobilienportale, ebay-Kleinanzeigen, aber sie fand nichts. In der Zeit lebte sie mal bei ihrem Partner in der Wohnung oder bei Freunden. "Ich habe aus dem Koffer gelebt und acht Umzugskartons", erzählt sie. Sie plante zunächst, in die WG ihres Partners zu ziehen, doch der Vermieter verbot es. "Er wollte nicht, dass ich dort wohne, weil die Wohnung nur für zwei Personen ausgelegt war", erklärt sie.

Im selben Haus wurde eine Wohnung frei, auf die sich Leo* bewarb. Doch sie erhielt eine Absage. Zudem war Leo* in der Zeit arbeitslos. "Mir ging es scheiße. Ich versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, und fand dann ziemlich schnell einen neuen Job", sagt sie.

Leo* versuchte sich auf eine Sozialwohnung zu bewerben

Obwohl sie täglich Anfragen rausschickte, wurde sie kaum zu Besichtigungen eingeladen. Als nächstes versuchte sie, sich auf eine Sozialwohnung zu bewerben, obwohl Leo* in ihrem Job als Informatikerin gut verdient. Sie fragte beim Amt für Wohnungswesen an, um sich auf die Warteliste für eine Sozialwohnung setzen zu lassen.

"Der Mitarbeiter sagte mir, dass die Warteliste eine vierstellige Zahl an Bewerbern hätte", berichtet Leo*. Also gab sie auch diesen Versuch auf. "Ich fühlte mich irgendwann echt schlecht, weil ich mit meinem Gehalt mit Geflüchteten oder sozial Benachteiligten konkurrierte. Ich wollte ja bloß eine kleine Wohnung oder auch eine WG."

Die Kapazitäten des Frankfurter Amtes sind ausgeschöpft

Hier tut sich ein weiteres Problem in Frankfurt auf: Ende 2020 hatte das Amt für Wohnungswesen nur noch Belegungsrechte für 30.477 Wohnungen. Zum selben Zeitpunkt standen aber 8.973 Haushalte mit 22.832 Menschen auf der Warteliste.

Im Jahr 2020 konnte die Stadt nur 1.325 Haushalten helfen. Die Stadt verpflichtet Investoren seit Jahren, in neuen Baugebieten zu 30 Prozent geförderte Wohnungen zu bauen, und kauft für viel Geld Belegungsrechte. Dennoch fallen immer noch mehr Wohnungen aus der Sozialbindung heraus, als welche hinzukommen.

Studentin steht kurz vor der Wohnungslosigkeit

Auch für die 22-jährige Lina läuft die Suche nach einem bezahlbaren WG-Zimmer schlecht. Wenn sie nicht bald etwas findet, ist sie ab dem 1. Januar wohnungslos. Ende September dieses Jahres hatte sie ihr WG-Zimmer gekündigt. Die Studentin teilt sich im Frankfurter Nordend eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit 50 Quadratmetern. Insgesamt zahlen die jungen Frauen für die Miete inklusive Strom, Gas und Internet 1.310 Euro. Ab dem 1. Januar steigen die Gaskosten um 140 Euro. Für Lina nicht mehr bezahlbar.

"Ich kann mir maximal 650 Euro im Monat leisten, aber dann kann ich mein Geld nur noch für Lebensmittel ausgeben und hätte kein soziales Leben mehr", sagt sie im Gespräch mit t-online. Und das, obwohl sie an der Hochschule arbeitet, Geld von ihren Eltern bekommt und ein einjähriges Stipendium hat. "Es ist schwer, ein WG-Zimmer unter 500 Euro zu finden. Die gibt es eigentlich nicht mehr", sagt sie.

WG-Zimmer für bis zu 1.100 Euro im Monat

Da reicht ein kurzer Blick auf das Portal "wg-gesucht.de". Hier werden WG-Zimmer für bis zu 1.100 Euro angeboten, unter anderem von kommerziellen Anbietern wie "urbanelite.com". Das Start-up mit Sitz in Frankfurt besitzt mehrere Wohnungen in bester Lage. Die teuren Zimmer bieten sie nur einer bestimmten Klientel an.

Auf ihrer Webseite heißt es: "Wir sind ein Start-up, das sich ausschließlich der Aufnahme ambitionierter, erfolgreicher Berufseinsteiger zwischen 21 und 35 verschrieben hat. Wir glauben, dass die Aufnahme gleichgesinnter Macher für eine angenehme Wohnungsatmosphäre unerlässlich ist." Eine t-online-Anfrage an "urbanelite.com", wie viele Wohnungen sie besitzen, bleibt unbeantwortet.

"Jeden Tag insgesamt drei Stunden pendeln"

Wenn Lina nichts findet, müsste sie wieder zu ihren Eltern ziehen, die in der Nähe von Mainz leben. "Doch dann müsste ich jeden Tag insgesamt drei Stunden pendeln. Außerdem leben meine Freunde in Frankfurt." Auch nach Offenbach zu ziehen, wäre eine Option für sie, doch dort sind die Mieten ebenfalls längst nicht mehr so erschwinglich wie noch vor einigen Jahren.

Nach Auswertungen des Internetportals Immowelt zahlt man in Frankfurts Nachbarstadt 10,80 Euro pro Quadratmeter. Das entspricht einer Steigerung von 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch in den anderen Großstädten im Rhein-Main-Gebiet ist es teuer: In Darmstadt liegt die Miete pro Quadratmeter bei 12 Euro, in Wiesbaden bei 10,70 Euro.

Loading...
Loading...
Loading...

Zurück zu Leo*. Nach einem Jahr und vier Monaten endete ihre Wohnungssuche im Februar 2022. Sie wohnt nun in einer Dreier-WG in Sachsenhausen. Der Stadtteil zählt zu den gehobeneren in Frankfurt. Leo* zahlt für ihr 25 Quadratmeter großes Zimmer 600 Euro. Insgesamt musst die WG für ihre Vierzimmerwohnung 2.000 Euro hinlegen.

Leo* ist nicht-binär. Das heißt, sie ordnet sich keinem biologischen Geschlecht zu. Aus diesem Grund steht hinter ihrem Namen ein *. Leo* und Lina wollten für die Recherche unerkannt bleiben. Daher haben wir ihre Namen geändert. Die Identitäten der Betroffenen sind der Redaktion bekannt.

Verwendete Quellen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website