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Tödliche Fußball-Schlägerei in Frankfurt – Gewaltproblem im Amateurfußball?


15-Jähriger stirbt nach Fußball-Prügelei
Spätestens jetzt müssen es alle begreifen

  • Olaf Kern
Pro & KontraVon Julian Seiferth, Olaf Kern

31.05.2023Lesedauer: 1 Min.
Interview
Was ist ein Pro & Kontra?

Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.

Ein Schiedsrichter zeigt einem Spieler die Rote Karte: Tätlichkeiten machen ein Viertel der Gewalttaten im Berliner Amateurfußball aus.Vergrößern des Bildes
Ein Schiedsrichter zeigt einem Spieler die Rote Karte: Tätlichkeiten machen ein Viertel der Gewalttaten im Amateurfußball aus. (Quelle: Marc Schueler/imago-images-bilder)

Gewalt auf einem Frankfurter Fußballplatz eskaliert. Nun ist ein 15-Jähriger tot. Hat der Amateurfußball ein Gewaltproblem?

Der Angriff auf einen jungen Berliner Fußballer in Frankfurt entsetzt die Sportwelt. Vieles ist noch unklar, doch festzustehen scheint: Im Anschluss an ein Jugendspiel kam es zu einer Rangelei, in deren Verlauf ein Spieler des gegnerischen Teams den Berliner so traf, dass dieser sofort zusammenbrach. Inzwischen ist der 15-Jährige tot.

Es ist nicht der erste gewalttätige Vorfall im deutschen Amateurfußball in diesem Jahr. Von Angriffen auf Schiedsrichter bis zu Prügeleien unter Spielern war eigentlich alles dabei. Viele fragen sich:

Hat der Amateurfußball ein Gewaltproblem?

Pro
Olaf KernOlaf KernHead of Regio Süd

Ja, spätestens jetzt müssen es alle begreifen

Natürlich hat der Amateurfußball ein Gewaltproblem. Nicht erst seit dem vergangenen Pfingstwochenende in Frankfurt. Man braucht nur an einem beliebigen Sonntagnachmittag auf einen Sportplatz irgendwo in Deutschland zu gehen, um eine aggressiv aufgeladene Stimmung zu beobachten. Pöbeleien, unsportliches Verhalten, enthemmte Brutalität gibt es auf dem Spielfeld und an dessen Rand. Das ist kein Anschwärzen, sondern die ungeschönte Wahrheit.

Der Deutsche Fußball-Bund zählt auf: Allein in der Saison 2021/22 haben Schiedsrichter 911 Amateurspiele abbrechen müssen. So viele wie noch nie. Von den Übergriffen, Ausschreitungen und Polizeieinsätzen rund um die Profiligen ist da noch nicht einmal die Rede.

Noch schlimmer ist dieser Befund: Die vielen Appelle und Präventionskonzepte, die Shake-Hands vor dem Spiel, der Fair-Play-Kodex, der Glaube an das Gute auch im Fußballsport und letztlich die Strafen der Verbände verfehlen seit Jahren ihre Wirkung. Warnungen gab es genug. Die Gewalt bricht sich immer wieder Bahn. Am Ende will keiner Verantwortung übernehmen.

Warum aber beim Amateurfußball? Das ist die entscheidende Frage, die noch kein Experte in der langen Historie der Gewaltexzesse im Fußballsport zufriedenstellend beantworten konnte. Man stelle sich einfach mal Massenschlägereien bei einem Volleyballspiel vor. Oder Pyrotechnik und Bengalos in der Tennisarena. Undenkbar.

Ausgerechnet bei einem scheinbar harmlosen Jugendfußballturnier, wie am vergangenen Wochenende in Frankfurt, ist ein junger Mensch lebensbedrohlich verletzt und hirntot geschlagen worden. Dabei ging es um nichts als ein paar Punkte auf dem Papier. Oder um einen Pokal aus billigem Blech. Spätestens jetzt müssten alle begreifen: Ein solches Spiel ist kein Sport mehr, sondern ein sinnloser Kampf um Leben und Tod. Jeder muss selbst entscheiden, ob er dieses Spiel noch mitspielen möchte.

Kontra
Julian SeiferthPolitik-Redakteur

Nein, denn er ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft

Auf den ersten Blick ist die Frage schnell beantwortet: Immer wieder kommt es auf deutschen Amateurfußballplätzen zu Eskalationen, auch zu Gewalttaten, wie diese Woche in Frankfurt. Zwei Beispiele, die bereits vor dem schockierenden Angriff auf einen Jugendlichen in Frankfurt lagen: In den vergangenen Wochen wurde ebenfalls in Frankfurt einem jungen Schiedsrichter mit Enthauptung gedroht, in der dritten Liga der Profi-Referee Niclas Winter mit Bier überschüttet. Und doch: Nicht der Fußball ist das Problem. Fußball ist ein Spiegel der Gesellschaft. Das habe ich in eineinhalb Jahrzehnten als Schiedsrichter selbst erfahren.

Warum das so ist, lässt sich an einem aktuellen Beispiel erklären. Vor wenigen Wochen sprang ich als Ersatzschiedsrichter bei einem Kreisligaspiel ein. Es ging um nichts, einer der Trainer schrie mich trotzdem zwei Stunden lang an. Nach dem Spiel stoppte er mich auf dem Weg zur Kabine, beschimpfte mich minutenlang. Aus der Situation kam ich nicht heraus – er hatte sich die schmalste Stelle zwischen Platz und Kabine gesucht, um mich zu konfrontieren. Eine einigermaßen bedrohliche Situation.

Doch auf Fußballplätzen finden sich nicht nur solche Menschen. Sondern auch jene wie das Vorstandsmitglied, das sich bereits in der Halbzeit für das Verhalten des Trainers entschuldigte, oder der Vorsitzende, der mich nach dem Spiel anrief und mir versprach, in Zukunft für meine Sicherheit zu sorgen. Es gibt Jugendspieler, die auf mich zukommen und sich für ihre Eltern entschuldigten, die wenige Meter neben dem Feld gerade völlig ausrasten. Es gibt Mitspieler, die einen Teamkollegen von mir wegzerren, der eine Rote Karte für einen Faustschlag ins Gesicht des Gegners nicht akzeptieren will.

Fußball ist ein Anlass, bei dem viele sich herausnehmen, all das, was sich unter der Woche angestaut hat, herauszulassen. Dabei ist es ihnen oft egal, ob das Gegenüber nun Trainer, Spieler oder Schiedsrichter ist. Doch das macht nicht den Fußball zum Problem – wütende Menschen, die ohne ersichtlichen Grund auf andere losgehen, treffe ich auch in der U-Bahn. Für jeden, der Grenzen überschreitet, gibt es so gut wie immer mehrere, die ihn zurückhalten – das gilt in meiner Erfahrung auf dem Fußballplatz ebenso wie anderswo. Der Amateurfußball als Spiegel der Gesellschaft spiegelt nicht nur deren Nervosität, Frustration und Gewaltbereitschaft wider, sondern auch ihre Zivilcourage. Gewalt im Amateurfußball anzuprangern, greift zu kurz. Wir müssen uns mit den gesellschaftlichen Wurzeln dieser Gewalt auseinandersetzen.

 
 
 
 
 
 
 

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