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Corona/Frankfurt: DJ Juizzed über die Kulturbranche – "wir wurden degradiert"


Kein Ende in Sicht
"Wir wurden degradiert" – DJ Juizzed über das Leiden der Kulturbranche

InterviewVon Vivian Schramm

Aktualisiert am 12.11.2020Lesedauer: 5 Min.
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Juizzed auf dem Splash-Festival: Konzerte und Festivals gab es in 2020 keine.Vergrößern des Bildes
Juizzed auf dem Splash-Festival: Konzerte und Festivals gab es in 2020 keine. (Quelle: Juizzed/Valentin Ammon)

Feiernde Mengen auf Konzerten, Moshpits und jedes Wochenende ein anderer Club: So sah der Alltag von DJ Juizzed in der Regel aus. Doch dann kam die Corona-Krise und damit eine finanzielle Belastungsprobe.

DJ Juizzed aus Frankfurt ist einer der wohl bekanntesten Hip Hop-DJs Deutschlands, gehörig zum Label 385i sorgt er Woche für Woche in einem anderen Club für tobende Mengen. Nebenbei tourt er mit bekannten Rappern wie Nimo sowie Celo und Abdi durchs Land und heizt bei deren Konzerten die Stimmung an. Doch nicht dieses Jahr. Die Corona-Krise hat all das aufs Eis gelegt. Ein Ende ist nicht in Sicht – sowohl die Pandemie als auch die finanzielle Belastung bleibt.

t-online: Juizzed, du finanzierst deinen Lebensunterhalt mit dem Auflegen. Die Corona-Krise muss daher ein herber Einschnitt in dein Leben sein.

Juizzed: Die Künstler haben überhaupt keine Einnahmen. Die Leute kommen so durch, weil sie das deutsche Gen haben, zu sparen. Wir wollten das Ersparte eigentlich dafür nutzen, fürs Alter vorzusorgen, doch jetzt hält das Geld zum Überleben her. Der Grund, warum viele noch nicht insolvent gegangen sind, ist, dass sie zuvor gut gewirtschaftet und sich etwas zurückgelegt haben. Doch das ist nicht des Rätsels Lösung. Hilfen müssen her, denn wir sind die zweitgrößte Branche Deutschlands.

Das bedeutet, die Corona-Soforthilfen waren keine große Unterstützung?

Viele sagen immer: "Ihr kriegt ja Soforthilfe". Doch die war keine richtige Hilfe. Davon habe ich meine Betriebskosten gezahlt, die ich sonst hätte privat tragen müssen. Als Solo-Selbstständiger im Künstlerbereich sind die Fixkosten bei einigen gerade nicht sehr hoch, denn ohne Aufträge gibt es weder Reiseaufwand noch Kosten, die erst entstehen, wenn Aufträge erfolgen. Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich in den Monaten, in denen ich Soforthilfe bekommen habe, Steuern zahlen musste, die diesen Betrag deutlich überschritten haben. Es geht viel mehr um Privatkosten. Man hat eine Miete zu zahlen oder ein Studio in den eigenen vier Wänden.

Wie finanzierst du dir gerade den Lebensunterhalt?

In erster Linie lebe ich von meinen Rücklagen. Nebenbei bin ich aber noch beim Hessischen Rundfunk und mache dort Radioshows. Ich gebe auch Workshops für Newcomer-DJs oder Interessierte, um ihnen technisch weiterzuhelfen. Das wurde auch sehr gut angenommen. Doch all das ist gar kein Vergleich zu dem, was vorher ging. Davon kann man seinen Lebensunterhalt auf keinen Fall bestreiten. Ich habe sogar Arbeitslosengeld bekommen, doch sehr viele meiner Kollegen hatten keinen Anspruch, weil sie neben dem DJ-Gewerbe noch eine andere Tätigkeit ausüben. Das Arbeitslosengeld war auch nur befristet, was ebenfalls Fragen aufwirft, denn auf der einen Seite streicht man mir die Hilfe weg, auf der anderen Seite ist meine Arbeit aber immer noch verboten.

Was glaubst du, warum bekommt die Branche so wenig Aufmerksamkeit?

Das verrät ja schon unsere Berufsbezeichnung. Wir sind Solo-Selbstständige – ein gewisses Einzelkämpfertum. Wenn man sich das große Ganze anschaut, leisten wir zwar einen enormen Beitrag der Steuereinnahmen, doch in solchen Situationen wie jetzt, in der man eine Lobby oder Gewerkschaft bräuchte, fehlt die Aufmerksamkeit. Dafür müssten sich die ganzen Leute zu einem Kollektiv zusammenraffen, das ist generell sehr schwer.

Ich muss sagen, ich bin sehr froh, dass jetzt nach sechs, sieben Monaten endlich darüber berichtet wird, was in der Branche los ist. Die Initiative "Alarmstufe Rot" bekommt jetzt endlich die Aufmerksamkeit, die bislang fehlte. Das kommt hauptsächlich von den Künstlern, die in der ersten Reihe stehen, etwa Campino von den Toten Hosen, Sarah Conner, Till Brönner oder Herbert Grönemeyer. Sie machen gerade lautstark auf sich aufmerksam – und auf diejenigen, die auch hinter der Bühne stehen. Leute, die mit auf Tour sind: Licht- und Tontechniker, Caterer, Bühnenbauer, Hallenbesitzer – da hängt ein sehr langer Rattenschwanz dran, an den keiner im ersten Moment denkt. Auch diese Leute müssen ihre Familien ernähren, werden aber seit über einem halben Jahr schlichtweg ignoriert und als "nicht-systemrelevant" abgespeist.

Glaubst du, dass es sinnvoller gewesen wäre, man hätte Hygienekonzepte durchgeprobt, bevor man Clubs schließen ließ?

Die Branche hat das Steuer teilweise selbst in die Hand genommen. Die Dehoga beispielsweise hat gemeinsam mit Frankfurtern Hygienekonzepte ausgearbeitet und den Ordnungsämtern und dem Gesundheitsamt vorgelegt. Ebenfalls war Marek Lieberberg, einer der größten Konzertveranstalter Deutschlands, sehr engagiert in der Ausarbeitung eines Konzepts für Festivals und Konzerte. Doch man sieht ja, was daraus geworden ist. Speziell Clubs hätte man so öffnen können, denn die Leute gehen so oder so raus, sie wollen feiern. Der Unterschied ist einfach, dass man es im Club mehr unter Kontrolle hätte als draußen. Das beste Beispiel ist in Frankfurt der Opernplatz, der war voll mit Menschenmassen ohne Abstand. Irgendwann geht die Party weiter und verlagert sich in geschlossene Räume. Und da gibt es erst recht keine Hygienekonzepte. Kontrolliertes Feierngehen wäre die bessere Option gewesen.

Wie planst du das Jahr 2021?

Ich denke, vor Sommer wird sich nicht viel tun. Aber ich kann mir vorstellen, dass Clubs ab dem Frühjahr anfangen, teilweise auf Barbetrieb umzustellen. Doch wie früher, dass Menschenmassen in die Clubs ziehen und sich untereinander vermischen, das wird es erstmal nicht geben. Zumindest Konzerte könnten nächstes Jahr stattfinden, wie auch eine Corona-Studie mit Tim Bendzko gezeigt hat.

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Was wünschst du dir für die Zukunft?

Natürlich, es ist einfach nicht die Zeit zum Partymachen. Doch Kultur wurde vor der Pandemie sehr gern von der Bevölkerung konsumiert. Ich bin mir sicher, wenn die Zeit vorbei ist, wird das wieder genauso sein. Deshalb wünsche ich mir, dass die Leute über ihren Tellerrand hinausblicken und verstehen, dass wir zu Recht unsere Stimme erheben. Ich wünsche mir Verständnis von den Menschen, die von der Corona-Krise nicht direkt getroffen wurden. Auch ich interessiere mich für Corona-Themen abseits meiner Probleme. Mich ärgert auch, dass in sechs Monaten Vorbereitungszeit auf die zweite Welle nichts an den Schulen passiert ist. Ich interessiere mich dafür, obwohl ich kein schulpflichtiges Kind habe. Das ist die nächste Generation, die wir fördern – unsere Zukunft. Und Deutschland ist sehr kunst- und kulturgeprägt. Das ist also auch ein Bestandteil unserer Zukunft.

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Während der Pandemie wurden wir als nicht-systemrelevant degradiert, nach der Pandemie möchte jeder wieder Kunst konsumieren. Daher ist es an der Zeit, der Branche helfend unter die Arme zu greifen, so wie es bereits bei vielen großen Unternehmen, unter anderem der Lufthansa, gemacht wurde – denn hier steht nicht nur ein Unternehmen, sondern eine ganze Branche mit rund 1,5 Millionen Beschäftigten auf der Kippe.

Vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Juizzed
  • Webseite von Juizzed
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