t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeRegionalHamburg

Hafenarbeiter im Warnstreik: "Vorstand bekam Bonus ausgezahlt, wir gar nichts"


Hafenstreik in Hamburg
"Der Vorstand hat sich einen Bonus ausgezahlt, wir bekamen nichts"

  • Gregory Dauber
InterviewVon Gregory Dauber

Aktualisiert am 09.06.2022Lesedauer: 3 Min.
Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Betriebsratsvorsitzender Christian Baranowski steht vor dem Container Terminal Burchardkai: Im Hamburger Hafen wird erstmals seit 44 Jahren wieder gestreikt.Vergrößern des Bildes
Betriebsratsvorsitzender Christian Baranowski steht vor dem Container-Terminal Burchardkai: Im Hamburger Hafen wird erstmals seit 44 Jahren wieder gestreikt.

Es ist ein beinahe historisches Ereignis: Seit mehr als 40 Jahren streiken die Hamburger Hafenarbeiter erstmals wieder. Im Interview mit t-online fordert ein Betriebsrat mehr Wertschätzung: "Wir laufen hier bei 120 Prozent", sagt er.

Die Stimmung am Burchardkai in Hamburg ist am frühen Donnerstagnachmittag gut. Die Sonne scheint und die Arbeiterinnen und Arbeiter gehen motiviert in den ersten Lohnstreik seit 44 Jahren im Hamburger Hafen. Alle sind sich einig: Die von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gestellten Forderungen sind nicht gierig, sondern gerechtfertigt. Nach Angaben der Gewerkschaft haben sich rund 1200 Beschäftigte versammelt, es ist ein Meer an neonfarbenen Warnwesten. Vor Ort sprach t-online mit dem Konzernbetriebsratsvorsitzenden der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Christian Baranowski.

t-online: Es ist der erste Warnstreik seit Jahrzehnten. Wie ist die Stimmung unter den Hafenarbeitern?

Christian Baranowski: Wir bekommen von den Arbeitgebern keine Wertschätzung mehr. Das hat mit der Corona-Krise angefangen. Damals wurde uns gesagt, wir versorgen Deutschland. Dann hat sich der Vorstand einen Bonus ausgezahlt, wir bekamen nichts. Später gab es mal Pressemeldungen, dass wir alle so viel Geld verdienen und viel Urlaub machen – die Arbeitgeber haben dazu geschwiegen. Das hat die Stimmung bis auf den Boden gedrückt. Das letzte Angebot der aktuellen Tarifrunde hat dazu geführt, dass alle Kollegen wirklich die Schnauze voll haben. Es hätte nicht so weit kommen müssen, keiner macht gerne Krawall. Aber jetzt reicht es, und deswegen gehen wir auf die Straße.

Die Containerlogistik ruckelt, es kommt zu großen Verzögerungen, und jetzt stauen sich sogar die Schiffe in der Nordsee. Muss ausgerechnet jetzt gestreikt werden?

Diese Situation gibt es ja nicht erst seit gestern: Häfen wurden wegen Corona immer wieder geschlossen, dann ist die Ever Given im Suezkanal steckengeblieben. Zuletzt war Shanghai ja komplett zu. Die Transportketten sind komplett außer Tritt. Also seit zwei Jahren arbeiten die Kollegen hier laufend daran, diese Rückstände aufzuholen. Wir haben immer gearbeitet, egal unter welchen Umständen. Und wir haben immer alles gegeben. Es ist ja so: Die Arbeitgeber verdienen Geld mit jedem Container, der hier lagert. Die haben nichts dafür getan, dass die Situation besser wird, sondern machen sich die Taschen voll. Wir laufen hier bei 120 Prozent, das ist extrem anstrengend.

Das fordern die Hafenarbeiter

Verdi verlangt für die rund 12.000 Beschäftigten in den 58 tarifgebundenen Betrieben in Niedersachsen, Bremen und Hamburg unter anderem einen nicht näher bezifferten "tatsächlichen Inflationsausgleich" sowie eine Erhöhung der Stundenlöhne um 1,20 Euro. Das bedeutet bei Löhnen von derzeit knapp unter 15 Euro bis gut 28 Euro pro Stunde eine Gehaltssteigerung um bis zu 14 Prozent. Die Arbeitgeberseite bietet bislang zwei Erhöhungsschritte in diesem und im nächsten Jahr von 3,2 und 2,8 Prozent und Einmalzahlungen von insgesamt 600 Euro an.

Ganz konkret: Wie drückt sich diese mangelnde Wertschätzung und Überanstrengung aus, von der Sie sprechen?

Ein durchschnittlicher Hafenarbeiter hier macht im Monat circa 50 bis 60 Überstunden, die fast alle am Wochenende. Also ist er fast jedes Wochenende da, um den Betrieb am Laufen zu halten. Weil der Platz eng wird, werden die Arbeitsbedingungen immer schwieriger. Mal ein Beispiel: Ein Kollege muss an einen Container, da stehen zwei andere drauf. Für die muss er dann erst mal Platz finden, irgendwo. Wenn er dann zurückkommt und der Container, den er braucht, eigentlich frei sein müsste, steht schon wieder der nächste drauf. So geht es hin und her. Das ist extrem frustrierend, wir kommen einfach nicht voran.

Ein Hafenarbeiter verdient rund 60.000 Euro pro Jahr im Schnitt, das sind etwa 10.000 mehr als der Durchschnitt der deutschen Arbeitnehmer. Von der Inflation werden alle getroffen. Warum fordern die Hafenarbeiter nicht nur einen Inflationsausgleich, sondern darüber hinaus noch mehr Lohn?

Das stimmt soweit mit den 60.000 Euro. Dazu gehört ja aber auch, dass wir hier gut organisiert sind und die Lohnabschlüsse immer mit den Arbeitgebern zusammen gemacht haben, da haben ja beide Seiten unterschrieben. Die haben ja trotzdem massive Gewinne gemacht, es war ein Geben und Nehmen. Deswegen haben wir seit 44 Jahren nicht gestreikt. Wir haben uns immer einigen können. Das Lohnniveau kommt nicht von ungefähr und es ist eine harte Arbeit. Ja, die Löhne sind höher als anderswo, aber auch gerechtfertigt.

Am Freitag steht die dritte Verhandlungsrunde an. Was sind Ihre Hoffnungen und wie soll es weitergehen, wenn es zu keiner Einigung kommt?

Für heute ist es erst mal wichtig, dass alle deutschen Häfen zum Stehen kommen und überall so viele Kollegen mitmachen wie hier in Hamburg. Nach 44 Jahren muss man das Streiken auch erst mal wieder lernen. Von den Verhandlungen erhoffe ich mir natürlich ein deutlich verbessertes Angebot der Arbeitgeberseite, damit wir danach nicht noch mal auf die Straße müssen. Wir werden sehen, wie es kommt. Natürlich haben wir auch Eskalationsstufen, das wird dann besprochen werden. Vielleicht streiken wir dann mal zwei, drei Tage statt nur ein paar Stunden. Eine Urwahl und ein richtiger Streik wäre dann wirklich die letzte Stufe. So weit sind wir aber noch lange nicht.

Verwendete Quellen
  • Reporter am Container Terminal Burchardkai
  • Interview mit Christian Baranowski
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website