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Per Zeitmaschine in die Zukunft? "Klimaforschung ist keine Sache für Angsthasen"


Neuer deutscher Supercomputer
"Klimaforschung ist keine Sache für Angsthasen"

  • Gregory Dauber
InterviewVon Gregory Dauber

Aktualisiert am 13.10.2022Lesedauer: 5 Min.
Interview
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"Was da rauskommt, wird nicht jedem gefallen", sagt Meteorologe und Klima-Experte Frank Böttcher im Interview.Vergrößern des Bildes
"Was da rauskommt, wird nicht jedem gefallen", sagt Meteorologe und Klima-Experte Frank Böttcher im Interview. (Quelle: DKRZ/Reimo Schaaf)

Per Zeitmaschine in die Zukunft: Einer der modernsten Klimarechner der Welt läuft seit Kurzem in Hamburg. Was er ausspuckt, ist nichts für schwache Nerven.

Am Deutsche Klimarechenzentrum in Hamburg sind die Forscherinnen und Forscher stolz auf ihre neue Anlage: Der Supercomputer Levante soll in den nächsten Jahren den Blick auf das Klima und seine Veränderungen auf eine neue Ebene heben. Doch warum braucht es immer leistungsstärkere Rechner, die unter immensem Ressourceneinsatz riesige Datenmengen liefern?

Für den Meteorologen Frank Böttcher sind die Klimamodelle, mit denen Levante arbeitet, wie eine Reise in die Zukunft, erzählt er im Interview mit t-online. "Was da rauskommt, wird nicht jedem gefallen", sagt er. Doch die Arbeit am Deutsche Klimarechenzentrum verschaffe der Menschheit die notwendige Zeit, sich auf die bevorstehenden Veränderungen einzustellen.

t-online: Sie haben den Supercomputer Levante bei seiner Einweihung eine Zeitmaschine genannt. Wie kommen Sie dazu?

Frank Böttcher: Hochleistungsrechner wie Levante werden mit Klimamodellen betrieben, die uns einen Eindruck davon geben, wie unsere Zukunft aussieht. Wir reisen quasi in die Zukunft unseres Planeten und sehen, was auf uns zukommt. Was wir zu sehen bekommen, kann uns dann wahlweise gefallen oder auch nicht.

Wie weit können wir denn in die Zukunft schauen?

Es gibt verschiedene Forschungsprojekte, die auf solchen Hochleistungsrechnern laufen. Einige Modelle lässt man bis zum Jahr 2300 rechnen, vor allen Dingen dann, wenn man langfristige Änderungen wie den Meeresspiegelanstieg sehen und verstehen möchte. Das ist sehr weit.

Auch heutzutage wird das Klima oft noch mit dem tagesaktuellen Wetter verwechselt. Was bringen uns langfristige Klimamodelle?

Wettervorhersage-Modelle liefern das Wetter für die nächsten Tage. Aus Erfahrung weiß man, dass die Wettervorhersage nach zehn Tagen meistens schon nicht mehr die App wert ist, in der sie angezeigt wird. Für Klimamodelle spielt das tägliche Wetter keine Rolle mehr, das verschwindet in den Daten mehrerer Jahrzehnte. Entscheidend ist, dass wir Trends beobachten. Sehen wir veränderte Häufigkeiten bei Starkregen, eine veränderte Anzahl von Tagen mit extrem hohen Temperaturen oder Trockenheit? Diese Eindrücke sind sehr hilfreich, weil wir uns so auf diese Gegebenheiten einstellen können und letztlich auch genau die Zeit bekommen, die nötigen Anpassungen zu tätigen.

Kann Levante uns also auch dabei helfen, Extremwetter und Umweltkatastrophen vorherzusagen und uns besser davor zu schützen?

Ganz genau. Es wird zwar keine Vorhersage für Einzelereignisse sein, das ist wieder das Wetter, aber wir können uns viel besser darauf einstellen, ob wir in einer Region mit bestimmten Formen von extremem Wetter rechnen müssen, beispielsweise Überschwemmungen. Es gibt dann noch ausreichend Zeit, etwa größere Rückhaltebecken zu bauen.

Ein Teil des Datenspeichers von "Levante".
Ein Teil des Datenspeichers von "Levante". (Quelle: Gregory Dauber)

Technische Daten des Supercomputers Levante

Die Anlage HLRE-4 der Firma Atos besteht nach Angaben des Deutschen Klimarechenzentrums (DKRZ) aus 2.832 Rechnerknoten mit jeweils zwei Prozessoren, die zusammen 14 Billiarden mathematische Operationen pro Sekunde ausführen können. Weitere 60 Knoten, die mit jeweils vier Hochleistungsgrafikprozessoren ausgestattet sind, liefern weitere 2,8 Billiarden mathematische Operationen pro Sekunde. Levante verfügt insgesamt über 370.000 Prozessorkerne. Der gesamte Arbeitsspeicher des Systems umfasst mehr als 800 Terabyte, das entspricht laut DKRZ dem Hauptspeicher von etwa 100.000 Laptops. Für die Speicherung der berechneten Simulationen stehen rund 130.000 Terabyte zur Verfügung. Der HLRE-4 ist die sechste Rechnergeneration in der Geschichte des Klimarechenzentrums und hat rund 32 Millionen Euro gekostet. Das gesamte Projekt mit Ein- und Umbauten beläuft sich auf 45 Millionen Euro.

Wie verlässlich sind diese Klimavorhersagen?

Genau genommen sind es keine Vorhersagen, sondern Szenarien mit vielen Wenn-dann-Beziehungen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann wird sich das Klima in dieser oder jener Weise verändern. Diese Aussagen sind sehr verlässlich. Man darf nicht vergessen: Ein solches Modell rechnet die Zukunft nicht nur einmal durch, sondern eher 20- oder 50-mal. Durch diese Durchläufe kann genau beurteilt werden, ob das Modell verlässlich ist. Überhaupt werden nur Klimamodelle auf die Zukunft losgelassen, die in der Lage sind, die Vergangenheit plausibel darzustellen. Wenn ein Modell für die letzten 50 oder 100 Jahre genau das berechnet, was wirklich war, kann es uns wie eine Zeitmaschine Einblicke in die Zukunft geben und produziert keine Zufälle.

Was kann der Supercomputer Levante leisten, was vorher nicht möglich war?

Die neuen Klimamodelle, die etwa bei Levante zum Einsatz kommen, sind in der Lage, das Klima mit viel größerer Präzision und Auflösung zu berechnen. Mit Levante können wir Flächen von einem mal einem Kilometer betrachten, das ist ein absolutes Novum und ein echter Sprung. Hinzu kommen viele Schichten von der Erdoberfläche bis in die Stratosphäre, die in rund 12 Kilometern Höhe beginnt. Dadurch bekommen wir eine digitale, dreidimensionale Kopie der Atmosphäre, einen digitalen Zwilling der Erde. Das ist richtig gut, weil wir plötzlich sehr detaillierte Aussagen zu bestimmten Regionen treffen und die dortige Niederschlags- oder Temperaturentwicklung besser einschätzen können.

Was muss passieren, damit die Klimakrise endlich von allen ernst genommen wird?

Das Wichtigste ist, sich die Konsequenzen für die eigene Region vor Augen zu führen. Klimaforschung ist keine Sache für Angsthasen. Was da rauskommt, wird nicht jedem gefallen. Es gibt bestimmte Regionen, in denen wir uns wirklich sehr, sehr anstrengen müssen, damit sie bewohnbar bleiben. Wir erleben eine Rückwärtsrolle des Klimas in eine Zeit vor drei bis fünf Millionen Jahren. Diese Zeit ist sehr gut erforscht und wir wissen, dass bei ähnlichen Temperaturen und ähnlichen Konzentrationen an CO2 der Meeresspiegel 15 bis 25 Meter höher war als heute.

Welche praktischen Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, zeigt uns Levante auf?

Dafür brauchen wir Levante nicht. Die wesentlichste praktische Maßnahme ist uns ehrlicherweise seit 1896 bekannt, als Svante Arrhenius erkannt hat, dass Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre wie ein Treibhausgas wirkt und sich die Atmosphäre dadurch erwärmt. Wir müssen möglichst schnell kein Kohlenstoffdioxid mehr emittieren, um den Treibhauseffekt nicht weiter zu verstärken.

Ginge es dem Klima sofort besser, würde ab morgen kein Kohlenstoffdioxid mehr ausgestoßen werden?

Nein, erstens müssen wir es schaffen, möglichst viel Kohlenstoffdioxid wieder aus der Atmosphäre herauszuziehen. Zweitens, und das macht es noch schwerer: Es gäbe einen enormen Nachhall-Effekt. Wenn es ab morgen keinen Ausstoß mehr gäbe, was angesichts der starken Lobby der Öl- und Gasindustrie völlig undenkbar ist, würde die globale Erwärmung trotzdem für Jahrzehnte weitergehen. Diesen Effekt gab es schon nach dem Verbot von Fluorkohlenwasserstoffen (FCKW) im Montreal-Protokoll von 1987. Die Ozonschicht hat erst rund 20 Jahre später angefangen, sich zu regenerieren.

Gibt es in den Modellen, mit denen Levante rechnet, auch Grund für Optimismus?

Der Optimismus steckt vor allen Dingen in uns Menschen und in der Hoffnung, dass wir einen extrem starken Selbsterhaltungstrieb haben. Wenn es brenzlig wird, dann werden wir sehr schnell. Leider fällt es den Menschen schwer, jetzt Entscheidungen zu treffen, die in 30 Jahren beim Klima wirksam sind. Wenn wir es konsequent angehen, werden wir mit einem lebenswerten Planeten belohnt. Straßen werden leiser, die Luftqualität wird besser, und im Supermarkt ist es völlig egal, welches Produkt man dort kauft: Es ist selbstverständlich alles bio und nachhaltig und hat einen ausgesprochen geringen CO2-Fußabdruck. Dafür muss man aber die Weichen stellen, die Strukturen ändern. Aber das Ergebnis von konsequentem Klimaschutz ist sehr verlockend.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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