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Hamburger Amokläufer Philipp F. sah sich selbst als Hobby-Polizist


Ermittlungen gegen Attentäter Philipp F.
Immer mehr Seltsamkeiten


Aktualisiert am 11.03.2023Lesedauer: 3 Min.
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Philipp F. sah sich selbst als Hobby-ErmittlerVergrößern des Bildes
Philipp F. sah sich selbst als Hobby-Ermittler

Die Polizei sah trotz eines anonymen Hinweises auf einen schlechten psychischen Zustand von Philipp F. keinen Grund, ihm die Waffe wegzunehmen. Die Darstellung bekommt jetzt Risse.

Er hat acht Menschen das Leben genommen, darunter einem 28 Wochen alten Fötus. Philipp F. ist am Donnerstag in die Gemeinde der Zeugen Jehovas im Hamburger Stadtteil Alsterdorf eingedrungen und hat dort mit einer Handfeuerwaffe gezielt auf Gemeindemitglieder geschossen.

Nach dem Amoklauf des 35-Jährigen wirft seine waffenrechtliche Erlaubnis zunehmend Fragen auf. Bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz teilte die Polizei Hamburg am Freitag dazu mit, dass keine rechtliche Handhabe bestanden habe, dem späteren Amoktäter seine Waffenbesitzkarte entziehen und die Tat damit rechtzeitig verhindern zu können.

Nachdem in einem anonymen Schreiben vor einer psychischen Erkrankung des Täters gewarnt worden war, habe die Waffenbehörde – eine Dienststelle der Polizei Hamburg – den Vorgang aus frei zugänglichen Quellen geprüft. Und eine Kontrolle der sicheren Aufbewahrung der späteren Tatwaffe Heckler & Koch P30L bei Philipp F. in dessen Wohnung in Hamburg-Altona vorgenommen, um sich einen persönlichen Eindruck vom Waffenbesitzer zu verschaffen.

Patrone auf Waffenschrank

Man habe dabei festgestellt, dass eine Patrone auf dem Waffenschrank gestanden habe, ein Verstoß gegen die Bestimmungen zur sicheren Aufbewahrung, deswegen habe man eine mündliche Verwarnung ausgesprochen. Der Rahmen, der der Polizei Hamburg möglich gewesen wäre, sei damit voll ausgeschöpft worden.

Seltsam daran wirkt jedoch, dass bei der Recherche in frei zugänglichen Quellen die offensichtlichen Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung nicht gesehen wurden: "Frei zugängliche Quellen", diese Beschreibung kann sich nur auf das Internet beziehen und gerade dort präsentierte sich der 35-jährige Amoktäter ausgesprochen auffällig.

Tageshonorar von 250.000 Euro

Gegen ein Tageshonorar von stolzen 250.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer bot er seine Dienstleistungen als Berater an, in erster Linie religiösen und rechtlichen Service, mit dem er seinen Kunden einen Erfolg von mindestens 2,5 Millionen Euro versprach für den Kampf gegen die satanistischen Kräfte dieser Welt. In einem von ihm geschriebenen Buch – aus heutiger Sicht ein Manifest des Täters – schrieb er praktisch die Geschichte der Menschheit neu als einen Kampf zwischen Satan und Christus, den allein er begriffen habe.

Das massiv von religiösen Endzeitphantasien geprägte Werk enthält dabei ganz nebenbei zahlreiche Verklärungen Adolf Hitlers als Heiland und wirkt bereits auf den ersten Blick wie die Manifeste anderer Amoktäter. Was also hatte die Polizei Hamburg aus den frei zugänglichen Quellen überhaupt geprüft?

Als Polizei und Staatsanwaltschaft am Freitag vor der Presse bekundeten, dass Philipp F. bislang nur als Anzeigeerstatter in Erscheinung getreten war, war dies jedoch nicht die vollständige Wahrheit: Auf seiner Website beschrieb sich der Amokschütze selbst als eine Art Hobby-Polizist, der "pro bono für die Gesellschaft" kostenlose Ermittlungen vornehme und bislang drei Anzeigen gegen Konzerne erstattet habe. Unter anderem gegen Ölmultis habe der 35-Jährige kostenlos "ermittelt".

Anzeigen ohne Gehalt

Nicht ohne Stolz bekundete er, dass zwei der Verfahren vom bayerischen Justizministerium an das LKA Hamburg abgegeben worden seien. Zwei Verfahren wurden dabei nach Bekunden der Staatsanwaltschaft Hamburg bereits eingestellt, an den Vorgängen war wohl offensichtlich nicht allzu viel dran. Die Polizei Hamburg hatte damit jedoch sehr wohl Kenntnis von den psychischen Auffälligkeiten des Philipp F., also genau die Behörde, die auch für die waffenrechtlichen Erlaubnisse des Amokschützen zuständig war.

Die Behauptung, dass der Rahmen völlig ausgeschöpft worden sei, ist damit nicht mehr so leicht haltbar, vielmehr muss nun aufgeklärt werden, ob die vorliegenden Informationen innerhalb der Polizei Hamburg nicht an die Dienststelle für Waffenangelegenheiten weitergegeben wurden oder ob diese trotz dieser Informationen keinen Handlungsbedarf gesehen hat. In beiden Fällen aber liegt die Verantwortung bei der Polizei Hamburg.

Verwendete Quellen
  • Manifest des Täters
  • Internetrecherche auf der Homepage von Philipp F.
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