t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeRegionalHamburg

Protest gegen neue ICE-Trasse: Bauern in der Heide fürchten Verluste


Protest gegen die Bahn
"So eine Strecke verbindet nur Großstädte"


29.04.2023Lesedauer: 4 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
imago images 0242943554Vergrößern des Bildes
Ein ICE unterwegs in Richtung Hannover: Ein Neubauprojekt führt in Niedersachsen zu Streit. (Quelle: Martin Wagner/imago-images-bilder)

Die Bahn will schneller werden, plant bundesweit neue Strecken. Im Norden Niedersachsens ist der Unmut darüber groß – und auch die Angst, alles zu verlieren.

Die Gegend rund um Soltau ist wie gemalt, selbst bei frühjährlichem Nieselregen. Wer hier durchfährt, kann zur Ruhe kommen: Felder und Wälder wechseln sich ab, kleine Städte und idyllische Bauernhöfe. Der Heidekreis ist ein beliebtes Urlaubsziel. Doch es rumort in der Gegend, und zwar gewaltig. Die Deutsche Bahn will eine neue Bahnstrecke zwischen Hamburg und Hannover bauen, Landwirte und Gemeinden laufen dagegen Sturm. Ein Ortsbesuch.

Mathias Stelter, der stellvertretende Vorsitzende des "Aktionsbündnisses gegen Trassenneubau" und Ortsvorsteher von Bockel, macht darauf aufmerksam, dass die geplante Strecke das Bockeler Moor queren und damit die Baukosten erheblich in die Höhe treiben würde. Dabei gibt es schon längst Schienen, die von Hamburg nach Hannover führen: "Ein Ausbau macht viel mehr Sinn."

Bedroht der Neubau Existenzen von Bauern und Gastwirten?

Wer mit den Bauern der Gegend spricht, erfährt schnell, dass der mögliche Bahnneubau – der offizielle Projektname heißt "Alpha-E plus" – Existenzen gefährden würde: Die Familie Winkelmann betreibt nicht nur Landwirtschaft, sondern vermietet auch Ferienwohnungen, die zu den beliebtesten in Niedersachsen gehören. Demnächst wollen die Winkelmanns den Hof an ihren Sohn Ties übergeben. Sie habe dabei "kein gutes Gefühl mehr", sagt Landwirtin Kathrin Winkelmann zu t-online.

Das Land würde durch den Neubau komplett zerschnitten, die Wege würden "wesentlich weiter" werden, sagt ihr Mann Heinrich Winkelmann. Hätte die neue Strecke Vorteile? Es sei "keiner ersichtlich", sagt Winkelmann, der auf seinem Hof Kühe hält und Getreide anbaut. Jungbauer Sven Wrogemann, dessen Hof ein paar Kilometer weiter weg liegt und auf Pflanzkartoffeln spezialisiert ist, sieht das ähnlich. Ein paar Schritte entfernt liegt ein Wald, die Züge würden "direkt vorbeirauschen". Die Gründung des Hofes seiner Familie geht auf das 14. Jahrhundert zurück, und mit der Frage, ob er für die Bahnstrecke Teile seines Landes verkaufen will, möchte sich der Landwirt eigentlich gar nicht befassen.

Mehrere Kilometer Umweg zu den eigenen Feldern

Fast wortgleich klingen die Sätze seines Kollegen Tobias Westermann: Alle seine Flächen würden durch die neue Bahntrasse von seinem Hof getrennt werden. Erst vor drei Jahren haben die Westermanns in ihren Hof investiert, auch ihnen drohen Umwege, wenn gebaut wird – und jeder einzelne kostet Geld. Je nachdem, welchen Weg Westermann dann wählen müsste, wären es zwischen drei und zehn Kilometer mehr – pro Richtung.

"So eine neue Bahntrasse verbindet nur Großstädte und bringt auf dem Land überhaupt keinen Nutzen", kritisiert Landwirtin Annette Meyer. Sie sieht für die Bauern zudem ein weiteres Problem darin, dass bei einem Neubau der Strecke auch eine Bundesstraße verlegt werden müsste. Auf den dann frei werdenden Flächen Landwirtschaft zu betreiben, sei nicht möglich, weil dort kein fruchtbarer Boden zur Verfügung stehe.

Die beiden Landwirte Mathias Stelter und Annette Mayer fahren mit t-online in die Nähe der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Dort gibt es einen Gedenkort an der Stelle, von der aus jüdische Menschen mit Zügen deportiert wurden. Die neue Strecke würde direkt über das Gelände führen und die Ruhe empfindlich gestört werden, sagen die beiden.

Bürgermeisterin fordert auf, Petition zu unterschreiben

Bitter stößt den Mitgliedern des Aktionsbündnisses auf, dass die Ergebnisse des "Dialogforums Schiene Nord" offensichtlich überhaupt keine Rolle mehr spielen – 2015 hatte man sich im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung auf den Ausbau von Bestandsstrecken geeinigt. Auch ein späteres Treffen der betroffenen Landräte und Bürgermeister mit Vertretern der Bahn sorgt für Kritik: "Die Bahnvertreter haben Pläne an die Wand gehängt und darüber informiert, das war's", sagt Mathias Stelter. Politik und Verwaltung vor Ort machen jetzt mobil. Bürgermeisterin Claudia Dettmar-Müller fordert auf der Webseite der Stadt Bergen dazu auf, eine Petition gegen die neue Bahnstrecke zu unterschreiben. Mehr als 20.000 Leute haben das schon online getan.

Und die Deutsche Bahn? Sie hat eine Webseite zum "Alpha-E plus" ins Internet gestellt. Der zuständige Sprecher sagt t-online, mögliche Varianten seien an das Eisenbahnbundesamt und den Bund gegangen, nun müsse dort entschieden werden. Welche Variante es am Ende werde, stehe noch nicht fest. Wird es eine neue Strecke geben? Das sei nicht klar, lautet die Antwort. Mit Betroffenen, deren Anliegen man "superernst" nehme, werde man sprechen und gemeinsam nach Lösungen suchen.

SPD-Chef Klingbeil warnt vor Vertrauensverlust

SPD-Chef Lars Klingbeil hat in Soltau ein Wahlkreisbüro. Auch er erinnert an das Dialogforum Schiene im Jahr 2015: Die Region, das Land Niedersachsen und die Deutsche Bahn hätten sich damals auf den Ausbau verständigt und nicht auf eine neue Trasse. "Diesen Beschluss habe ich damals unterstützt, tue das bis heute unverändert und dränge auf die Umsetzung dieser Ergebnisse", sagt Klingbeil t-online.

Dieser Konsens habe für die Akzeptanz des Schienenausbauprojekts gesorgt. "Dass das keine Selbstverständlichkeit ist, sehen wir, seitdem Planungen zu einer Neubaustrecke vorangetrieben werden, die Unsicherheiten in der Bevölkerung schüren." Sollte der ursprüngliche, gemeinsame Beschluss nicht eingehalten werden, würde man nicht nur die Akzeptanz und das Vertrauen in das Ausbauprojekt verlieren, "sondern auch künftige Dialogprozesse bei Infrastrukturprojekten gefährden". Das Dialogforum Schiene sei ein Musterbeispiel für Akzeptanz gewesen, so Klingbeil.

Bislang knallen in der Gegend nur Schüsse auf dem großen Truppenübungsplatz Munster an der B3. Ob die Ruhe der Lüneburger Heide und das Vertrauen in die Politik hier demnächst nachhaltiger gestört werden, bleibt abzuwarten.

Verwendete Quellen
  • Deutsche Bahn, Sprecher Großprojekte Hamburg
  • Projektwebsite der DB
  • Gespräche mit betroffenen Landwirten: Heinrich, Katrin und Ties Winkelmannm, Sven Wrogemann, Tobias Westermann sowie Anette Mayer
  • Gespräch mit Mathias Stelter, stellvertretender Vorsitzender des Aktionsbündnisses gegen Trassenneubau
  • Website Stadt Bergen
  • Anfrage an das Wahlkreisbüro von Lars Klingbeil
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website