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Olivia Jones: So wurde sie zur Kiez-Muddi auf St. Pauli


"Alle haben uns belächelt"
So entstand das Imperium von Olivia Jones

  • Katharina Grimm
Von Katharina Grimm

06.06.2023Lesedauer: 4 Min.
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Olivia Jones: Vor ihrer Perückensammlung in Hamburg.Vergrößern des Bildes
Olivia Jones vor ihrer Perückensammlung in Hamburg. (Quelle: www.kult-kieztouren.de)

Vor 15 Jahren startete Olivia Jones ihr Unternehmen. Anfangs mit Kieztouren, später mit eigenen Läden. t-online erzählt die Dragqueen: Ich würde alles wieder so machen.

Wenn man mit ihren Mitarbeiterinnen spricht, reden diese meistens von "Muddi": Olivia Jones pflegt ein familiäres Verhältnis zu ihren Angestellten. Der Erfolg ihres Unternehmens war vor 15 Jahren noch nicht absehbar: Damals legte die Dragqueen den Grundstein für ihr Imperium.

Ihre ersten Schritte auf dem Kiez machte sie im legendären Pulverfass, einer 1973 gegründeten Travestie-Bühne. Ihre ersten Kiezführungen bot die Drag auf Anraten der Stadt an: Es war das Jahr 2006, die WM fand in Deutschland statt, Hamburg war voller Touristen. Und die sollten nicht planlos über den Kiez irrlichtern. Olivia Jones, die ihren bürgerlichen Namen nicht mehr in der Presse lesen möchte, überlegte nicht lange und zeigte den Gästen ihr St. Pauli.

Und so führte ein gut zwei Meter großer Mann in Frauenkleidung eine Horde Touristen über die Reeperbahn. Ein voller Erfolg? Nicht direkt. "Zu den ersten Touren mussten wir Freunde und Verwandte überreden", erzählt Olivia Jones t-online. Erst langsam etablierte sich der Mix aus Wissen und Witz. "Aber es hat von Anfang große Freude gemacht, weil wir immer auch versuchen, den Gästen unserer Touren etwas von unseren Ideen und Idealen zu vermitteln."

Olivia Jones eröffnet ersten Laden

Zwei Jahre später eröffnete Olivia Jones ihre erste Kneipe. "Da haben uns alle belächelt und gesagt: Schlager + Dragqueens = Pleite", so Jones. Dazu kam es nie. Vielmehr eröffnete sie einen Laden nach dem nächsten. "Als wir angefangen haben, war St. Pauli eine reine Männerdomäne. Es war kaum denkbar, dass eine Dragqueen eigene Läden betreibt", berichtet Jones. "Das hat sich geändert. Der Kiez ist bunt. Aber wir kämpfen dafür, dass das auch so bleibt."

Inzwischen zählen eine Schlagerbar, ein Showclub mit Travestie- und Comedy-Acts, ein Burlesque-Laden und Deutschlands erster Men-Stripclub zu ihrem Imperium. "Und es ist für mich immer noch ein Highlight, wenn ich mich inkognito in unsere Läden schleiche und sehe, wie ausgelassen Menschen zusammen feiern, die sich sonst wahrscheinlich im Leben nie begegnet wären", sagt Jones. 2023 ist das Jahr, in dem die Drag mit ihrer Olivia-Jones-Family das 15-jährige Jubiläum feiert.

Darüber hinaus engagiert sich die Drag mit Projekten wie "Olivia macht Schule", für das Jones und ihre Mitstreiterinnen zuletzt vor allem von konservativen und rechtspopulistischen Politikern kritisiert wurden. Jones liest Kindern aus einem Buch vor, in dem es "eigentlich nicht um Homophobie geht. Es geht um Vielfalt, Toleranz und Respekt und die Frage, wie eine Gesellschaft mit Minderheiten und Menschen umgeht", so Jones auf ihrer Homepage.

Als Olivia Jones in den Bürgerschaftswahlkampf zog

Sogar einen Abstecher in die parlamentarische Politik war kein Tabu für Jones. Als die rechtspopulistische Schill-Partei 2004 in die Bürgerschaft einziehen wollte, stellte sich Jones als parteilose Kandidatin auf, um Stimmen zu stehlen. Ob sie wirklich in die Abgeordnete werden wollte? Kaum vorstellbar. Aber dass sie mehr Stimmen als die frühere Schill-Partei, die NPD sowie die Partei Bibeltreuer Christen erhielt – das verbucht die Drag als großen politischen Erfolg.

Das Konzept, Haltung und Unterhaltung zu verbinden, hat die Dragqueen durchgehalten. "Gerade in Zeiten wie diesen ist das wichtig. Arizona hat gerade Drag-Shows im Grunde so gut wie verboten", sagt Jones. "Da kann man sehen, dass Freiheiten nicht selbstverständlich sind und man sich nicht ausruhen darf."

Tatsächlich ist das Klima für die queere Community selbst in einer weltoffenen Stadt wie Hamburg rauer geworden. Zuletzt gab es immer wieder Attacken auf LGBTIQ-Paare. Allein 2022 hat sich die Zahl der Übergriffe mehr als verdoppelt. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) verspricht: "In der Strafverfolgung werden wir es an Klarheit und Konsequenz nicht fehlen lassen." Und die Community bekommt Ansprechpartner bei der Polizei. Doch: Die Ursachen, warum es vermehrt Übergriffe auf queere Menschen gibt, lösen diese Schritte nicht.

Olivia Jones beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. "Es gibt weltweit eine große Verunsicherung und eine gefährliche Entwicklung. Menschen werden wieder lauter, die einfache Rezepte versprechen, Sündenböcke suchen und Vorurteile schüren. Die uns wieder zurück in die Steinzeit beamen wollen und das, was wir erkämpft haben, wieder zerstören möchten", warnt Jones. "Das ist alles nichts Neues. Aber wir alle haben eine Verantwortung, dass sich Geschichte vielleicht doch nicht immer wiederholt."

Kritik aus dem Kiez an Olivia Jones

Ihre Sichtbarkeit im Viertel ruft auch Kritiker auf den Plan. Denn ihre Touren, längst nicht mehr von ihr selbst, sondern von Mitgliedern der Olivia-Jones-Familie geführt, nehmen auf dem Kiez viel Platz ein. In kurzen Abständen flanieren bis zu 40-köpfige Gruppen über die Reeperbahn und drängen in die Kneipen. Das gefällt nicht jedem. Von der "Jonesisierung" des Kiezes wird gesprochen. "Der Hamburger Dom, der Spielbudenplatz, das Schmidt Theater, das Operettenhaus, jedes für sich holt seit Jahrzehnten weitaus mehr Menschen Jahr für Jahr nach St. Pauli als wir mit unseren Läden und Touren. Trotzdem würde keiner von einer 'Schmidtisierung' oder einer 'Musicalisierung' sprechen", weist Jones die Kritik zurück. "Wir haben fünf kleine familiäre Läden, seit 2019 nichts Neues eröffnet, auch nichts geplant. Obwohl uns ständig etwas angeboten wird. Und weder sind wir der größte Touranbieter noch wollen wir es werden."

Olivia Jones im TV

Zuletzt, auch bedingt durch die Pandemie und die lange geschlossenen Läden, zog es Jones zurück ins TV. Dort wurde die Drag berühmt, als sie als RTL-Reporterin beim Grand Prix und als CSD-Moderatorin für MTV schon in den 2000ern im Fernsehen zu sehen war. Deutschlandweit wurde sie 2013 bekannt, als sie ins Dschungelcamp einzog und Vizekönigin wurde.

Ob sie etwas anders machen würde? "Ich bin immer meinem Herzen gefolgt, gegen alle Widerstände. Alles, auch jeder Misserfolg und Fehler, hat am Ende ja zu dem beigetragen, was ich heute bin und machen darf", sagt Jones. "Dafür bin ich dankbar."

Verwendete Quellen
  • Interview mit Olivia Jones
  • ndr.de: Hamburg: Mehr Gewalt wegen sexueller Orientierung
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