Nordsee: Alarmierender Temperaturanstieg – fast so warm wie sonst im August

In der Nordsee werden schon jetzt Temperaturen gemessen, die sonst erst im Hochsommer erreicht werden. Was Urlauber freut, gibt Experten Anlass zur Sorge.

Die Nordsee hat sich in den vergangenen Wochen deutlich erwärmt und teilweise Temperaturen erreicht, die für diese Jahreszeit ungewöhnlich hoch sind. Das geht aus einer wöchentlichen Analyse des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) hervor, die t-online vorliegt. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom 14. bis 20. Juni und vom 21. bis 27. Juni.

Wie die Analyse zeigt, stieg die Meeresoberflächentemperatur vor den nordfriesischen Inseln Sylt, Amrum und Föhr um fast drei Grad auf 19,5 °C an. Auch in St. Peter-Ording und Büsum wurden Temperaturen von 19 °C bzw. 18,3 °C gemessen, die rund zwei Grad über dem Mittelwert der Vorwoche lagen. Die aktuellen Werte sind aber noch nicht rekordverdächtig.

Nordsee: Temperatur um bis zu 2,5 Grad gestiegen

"Die Meeresoberfläche vor Sylt ist derzeit schon sehr warm für diese Jahreszeit. In vielen Jahren wird diese Temperatur erst Ende Juli oder Anfang August erreicht", bestätigt Tim Kruschke, Sachgebietsleiter Marine Klimafragen beim BSH, auf t-online-Anfrage. In den Jahren 2020 und 2018 habe es jedoch schon früh vergleichbare Temperaturen gegeben, die dann aber wieder gesunken seien, bevor sie im August ihr Sommermaximum erreichten.

Insgesamt verzeichnete das BSH im Vergleich von der vorletzten zur letzten Woche für größere Teilbereiche der Nordsee eine Erwärmung von zwei bis 2,5 Grad. Diese hänge von verschiedenen Faktoren ab, erklärt der Experte. "Zum einen hat das lokale Wetter einen starken Einfluss auf die Oberflächentemperatur. Wochenlange Hochdrucklagen mit geringer Wolkenbedeckung und vielen Sonnenstunden erwärmen die Meeresoberfläche relativ stark", so Kruschke.

Zudem spielen Meeresströmungen eine wichtige Rolle beim Transport von Wärmeanomalien. Die Nordsee ist direkte Fortsetzung des Nordatlantiks, daher werden die hohen Wassertemperaturen auch dort eingetragen. "Grundsätzlich ist es auch normal, dass sich die Nordseeoberfläche um diese Jahreszeit deutlich erwärmt." Mehr zur alarmierenden Wärmeanomalie im Atlantik lesen Sie im Tagesanbruch von t-online-Chefredakteur Florian Harms.

Nordsee neun Jahre in Folge über Langzeitmittel

Inwieweit sich die erhöhten Wassertemperaturen auf die Nordseefauna auswirken, bleibt abzuwarten. "Noch sind wir ja nicht in Temperaturbereichen, die den Meerestieren in dieser Region der Nordsee komplett unbekannt sind. Aber die Tatsache, dass hohe Temperaturen immer häufiger werden und die Extremwerte auch tendenziell höher ausfallen, kann sehr wohl Auswirkungen haben", sagt Kruschke.

Grundsätzlich möglich seien die Abwanderung von Arten und das Auseinanderfallen von biologischen Prozessen, zum Beispiel hinsichtlich des Wachstums von Phyto-/Zooplankton. Wenn es zu warm sei, schlüpfe zudem der Nachwuchs der Meeresbewohner nicht, erklärt die Umweltforscherin Karen Wiltshire, Leiterin der Alfred-Wegener-Institut (AWI)-Standorte auf Sylt und Helgoland, gegenüber "shz.de".

Seit 1968 hat sich die Oberflächentemperatur der gesamten Nordsee um ca. 0,26 °C pro Jahrzehnt erhöht, also um ca. 1 °C innerhalb von 40 Jahren. Diese stetige Entwicklung sei dem menschlich verursachten Klimawandel zuzuschreiben, so der Experte. "Zuletzt haben wir neun Jahre in Folge Jahresmitteltemperaturen für die Nordseeoberfläche beobachtet, die mehr als 0,5 °C über dem Langzeitmittel von 1971 bis 2000 lagen." Laut den Daten des BSH lag das Jahr 2022 sogar 1,3 °C über diesem Langzeitmittelwert.