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Hamburg: Kirche klagt Mieterin aus Wohnung – Ist das gerecht?


Räumungsklage
Kurz vor Weihnachten: Kirche will Mieterin aus Wohnung werfen

  • Nina Hoffmann
Von Nina Hoffmann

Aktualisiert am 17.12.2023Lesedauer: 4 Min.
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Kerstin Bruns sitzt zwischen Kartons: Ob sie in ihrer Wohnung bleiben kann, ist unklar.Vergrößern des Bildes
Kerstin Bruns sitzt zwischen Kartons: Ob sie in ihrer Wohnung bleiben kann, ist unklar. (Quelle: Nina Hoffmann)

Eine Kirchengemeinde will in Hamburg-Eimsbüttel eine Mieterin per Räumungsklage aus ihrer Wohnung werfen – und das kurz vor Weihnachten. Die Bewohner wollen das nicht hinnehmen.

Kerstin Bruns sitzt umringt von gepackten Umzugskartons in ihrer Wohnung am Esstisch. Fotos ihrer lachenden Patenkinder sind bereits verstaut worden. Nur das Wichtigste liegt griffbereit. "Ich möchte hierbleiben", sagt sie, ihre Stimme bebt. Denn Bruns möchte nicht freiwillig ihre Wohnung verlassen. Gegen sie wurde eine Räumungsklage erhoben.

Die Klägerin: ihre Vermieterin, die Kirchengemeinde Langenfelde. Denn die wirft ihr vor, die Miete seit Anfang des Jahres nicht bezahlt zu haben. Dabei kann Bruns nachweisen, dass jeden Monat Geld auf ein kirchliches Konto wanderte. Nur war das offenbar nicht das richtige, zumindest wenn es nach der Gemeinde geht.

Seit 2017 wohnt Bruns in einem Mehrfamilienhaus gegenüber der Kirche "Zum guten Hirten" in Langenfelde am Försterweg 10. Ende 2022 versendete die Gemeinde dann einen Brief mit der Aufforderung, mit Beginn des Jahres 2023 die Miete auf ein anderes Konto der Gemeinde zu überweisen. Zuvor war das Geld auf ein Konto des Kirchenkreises gegangen.

Gemeinde spricht von Beschwerden gegen Kirchenkreis

Beim Kirchenkreis handelt es sich um den übergeordneten Zusammenschluss mehrerer Kirchengemeinden und gleichzeitig um eine selbstständige Körperschaft, die in einzelne Propsteien untergliedert ist. Die Kirchengemeinde Langenfelde fällt beispielsweise in den "Ev.-Luth. Kirchenkreis Hamburg-West/ Südholstein". Dieser übernimmt für zahlreiche Gemeinden teils verwalterische Aufgaben – auch im Bereich der Vermietungen.

Die Änderung bei den Konten begründete die Gemeinde damals in einem Schreiben, das t-online vorliegt, mit "vielen Beschwerden über die Kirchenverwaltung des zuständigen Kirchenkreises". Die Verwaltung solle so "schneller und transparenter" gestaltet werden.

Bruns wiederum kam dem Aufruf, auf das neue Konto zu zahlen, nicht nach. Eigenen Angaben zufolge habe sie ihn übersehen. Bruns konnte der t-online-Redaktion glaubhaft bestätigen, dass sie ihre Miete weiterhin regelmäßig an den Kirchenkreis zahlte.

Bruns arbeitet in der Immobilienwirtschaft, war bis vor wenigen Jahren selbst beim Kirchenkreis beschäftigt. "In der Gemeinde gehen Leute mit Geldern um, die keine Fachkenntnisse von Finanzen haben", kritisiert sie. Besonders der Pastor und Vorsitzende der Gemeinde handle entgegen den Interessen seiner Mieterinnen und Mieter. "Seit Jahren herrscht hier Willkür – und die nimmt immer weiter zu."

Propst setzt sich gegen Räumung ein

Schließlich hat die Gemeinde Bruns im April ein Kündigungsschreiben ausgestellt, begründet durch Mietrückstände. "Aber ich bin keine säumige Mieterin", sagt sie überzeugt. Im November stand dann schließlich die Gerichtsvollzieherin bei Bruns vor der Tür. Seitdem ist ihr Wagen mit einer Kralle versehen, auch Zugriff auf ihr Konto hat sie nicht mehr. Kurze Zeit später sollte sie ihre Sachen packen und die Wohnung verlassen.

"Ab morgen bin ich dann mittel- und obdachlos", schrieb Bruns vor rund zwei Wochen an den Propst der Propstei Niendorf-Norderstedt, Karl-Heinrich Melzer. Er ist unter anderem für die Kirchenkreisverwaltung verantwortlich. Bruns Sachen waren zu diesem Zeitpunkt bereits in Kartons verstaut. Die letzte Hoffnung, doch noch in ihrem Zuhause bleiben zu können, schien fast schon erloschen zu sein.

Dann die erste positive Überraschung: Der Kirchenkreis setzte sich für Bruns ein und streckte eine Geldsumme vor – die Räumung wurde vorerst ausgesetzt. Vom Tisch ist sie damit aber noch nicht.

Mehrere Mieter mit Gemeinde unzufrieden

Doch wie kann es sein, dass Geld an den übergeordneten Kirchenkreis wandert, die Gemeinde das jedoch nicht anerkennt? Auf mehrfache t-online-Anfrage, wieso die Gemeinde auf der Räumung besteht, hat sich der Pastor der Kirchengemeinde Langenfelde nicht zurückgemeldet.

Die Fronten zwischen Kirchenkreis und der Gemeinde scheinen verhärtet zu sein. Wie es überhaupt so weit kommen kann, dass eine Gemeinde entgegen der Haltung des Kirchenkreises Räumungsklage erhebt, erklärt der Probst: "Die Kirchengemeinden besitzen ein hohes Maß an Autonomie."

Diese Autonomie scheint den Mietern im Försterweg 10 zum Verhängnis zu werden. Denn dort herrscht längst nicht nur wegen der Räumungsklage Unzufriedenheit.

Gemeinde pflanzt Dornenbüsche und untersagt Gartennutzung

Im Gespräch mit weiteren Bewohnerinnen des Mehrfamilienhauses zeigt sich, dass viele von ihnen am Vorgehen des Pastors Zweifel hegen. "Das alles fing an, nachdem wir vor etwa drei Jahren Belegeinsicht der Nebenkostenabrechnung forderten", erzählt rückblickend Mieterin Sandra M., die nicht möchte, dass ihr voller Namen genannt wird.

Dann habe der Pastor plötzlich untersagt, die Rasenfläche am Haus zu nutzen. "Hier wohnen viele Kinder, die im Sommer gerne im Planschbecken draußen gespielt haben", erzählt Sandra M., die selbst Mutter ist. Mittlerweile hat die Gemeinde die letzte Lücke, die einen Weg durch die Hecke in den Garten freigab, mit einem Dornenbusch geschlossen. "Dornenbüsche bei einem Haus voller Kinder?", fragt Sandra M.

In einem aktuellen Schreiben der Kanzlei, die die Kirchengemeinde vertritt, wird die untersagte Nutzung unter anderem mit dem "Ruhebedürfnis" der Anwohner begründet. Der Garten, bei dem es sich vor allem um eine offene Rasenfläche handelt, sei ein "Ziergarten, kein Kinderspielplatz".

Mieter reichen Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Pastor ein

Eine weitere Mieterin berichtet, dass gegen den Pastor bereits eine Dienstaufsichtsbeschwerde seitens der Mieter erhoben wurde. "Dass ein Menschenfeind hier so walten kann, wie er will – das darf einfach nicht sein", sagt die Mieterin, die selbst gläubige Christin ist. "Die Kirche hat doch schon genug zu tun in der heutigen Zeit."

Rolf Bosse vom Mietverein zu Hamburg weiß aus Erfahrung, dass die Kirche bei Mietangelegenheiten nicht immer mit Nächstenliebe glänze. "Die Kirche zeigt sich nicht selten als ganz schlimme Vermieterin", sagt er. "Das läuft nach Gutsherrenart: 'Mach was wir sagen, sonst fliegst du raus.'" Fälle wie diese seien ihm in Hamburg bereits begegnet.

Geld für Gemeinschaft statt Immobilienhaie

Auch wenn Bruns' Vertrauen in die Kirchengemeinde Langenfelde geschädigt ist, will sie ihr Zuhause nicht aufgeben. "Ich wohne dort, weil ich meine Miete nicht in Immobilienhaie investieren will, sondern in ein System stecken möchte, das auf Gemeinschaft beruht", sagt sie.

Eine Gemeinschaft habe sie in der Gemeinde zwar nicht gefunden. Im Försterweg 10 hingegen schon. Verlässt sie die Wohnung, empfängt sie Worte der Unterstützung. "Das wird schon", sagt eine Nachbarin, die sie vor der Haustür auf die Räumungsklage anspricht.

Bruns hofft nun, dass ihre Gegenklage Erfolg hat. Dann könnte sie die Fotos ihrer Patenkinder wieder an die Wände hängen und die Umzugskartons endlich im Keller verstauen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Schriftliche Anfrage bei der Propstei Niendorf-Norderstedt
  • Schriftliche Anfrage bei der Kirchengemeinde Langenfelde
  • Telefonische Anfrage bei Rolf Bosse vom "Mietverein zu Hamburg"
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