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Tatortreiniger packt über seinen Beruf aus: Gewöhnt man sich an Gerüche?


Tatortreiniger über seinen Job
"Mit der Zeit akzeptiert man den Geruch"

InterviewVon Shonai Halfbrodt

14.09.2023Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Karl Giesenkirchen in seinem Lager: Hier stehen diverse Putz- und Reinigungsmittel.Vergrößern des Bildes
Karl Giesenkirchen in seinem Lager: Hier stehen diverse Putz- und Reinigungsmittel. (Quelle: Shonai Hafbrodt)

Karl Giesenkirchen ist seit elf Jahren Tatortreiniger. Im Gespräch mit t-online erklärt er, wie er zu dem Beruf kam und was er schon alles erlebt hat.

Karl Giesenkirchen ist einer von wenigen Tatortreinigern im Raum Köln. Er kommt an Orte, an denen Menschen gestorben sind, und beseitigt ihre letzten Spuren. Dabei sieht er oft Dinge, die andere nicht sehen wollen.

Wie er zu diesem Beruf gekommen ist, was ihn besonders beschäftigt hat und wie er mit dem Leichengeruch umgeht, erzählt er hier.

Hinweis

In diesem Text geht es um teils explizite Beschreibungen von Todesfällen sowie um Suizid.

t-online: Herr Giesenkirchen, Sie haben bereits im Vorfeld gesagt, dass Sie viel zu tun haben. Was waren denn Ihre letzten Einsätze?

Karl Giesenkirchen: Ich hatte in den vergangenen Tagen einige Aufträge zugleich. Der erste Fall war eine Messie-Wohnung, in der eine Person verstorben ist. Aber die Leiche konnte man in dem ganzen Gewusel, Müll und Unrat nicht ausmachen. Normalerweise habe ich in einer Wohnung eine eindeutige Stelle, die ich als Leichenfundort identifiziere und auch dokumentiere, aber da war gar nichts zu finden. Das war eine Katastrophe. Ich musste große Schritte machen, um durch den ganzen Müll zu kommen – "und irgendwo zwischendrin lag dann die Leiche". Die ganze Wohnung musste komplett saniert werden.

Bei einem weiteren Fall hatte sich jemand selbst getötet. Da war auch eine beachtliche Menge Blut vorhanden.

Meistens finden Sie aber auch andere Dinge als Blut vor, oder?

Ja, all die Körperflüssigkeiten, aus denen wir überwiegend bestehen, finde ich auch zum größten Teil an den Leichenfundorten wieder. Gelegentlich ist bereits eine beträchtliche Menge in die Bodenfläche gezogen. In dem Fall muss der Bodenbelag komplett entfernt werden – manchmal auch der Estrich. Einige Leute fragen auch, ob ich Leichen oder Skelette sehe, aber diese werden bereits im Vorhinein vom Bestatter abgeholt. Ich beschäftige mich mit dem, was übrig bleibt.

Wie kommt man denn dazu, Tatortreiniger werden zu wollen? Das ist ja schon eher ein ungewöhnlicher Beruf.

Das ist immer eine interessante Frage, aber bei mir gab es einen entscheidenden Auslöser. Ich habe in meinem früheren Beruf unter anderem auch Köche ausgebildet. Trotz Sicherheitseinweisung hatte sich damals ein Auszubildender dermaßen an einer Schneidemaschine verletzt, dass ein regelrechtes Blutbild an der Wand war. Daraufhin hatte ich mich gefragt: "Wie kriegst du das jetzt wieder weg?"

Und dann?

Dann habe ich angefangen zu experimentieren und das war so der erste Schritt in diese Richtung. Danach habe ich viele Schulungen und Zertifizierungen gemacht. Man kann sich ja gar nicht vorstellen, was da alles dranhängt. Vor allem, weil es vor elf Jahren noch nicht viele Tatortreiniger in Deutschland gab.

Ist an einem Tatort immer jemand umgebracht worden?

Tatort bedeutet, dass jemand ermordet worden ist oder selbst die "Tat" begangen hat. Die korrekte Bezeichnung von mir ist aber eigentlich Leichenfundort-Aufbereiter. Ich komme auch an Orte, an denen Menschen aus gesundheitlichen Gründen gestorben sind.

Wissen Sie, was vorher genau passiert ist, wenn Sie an einen Tatort kommen?

Nein, in der Regel nicht. Nur gelegentlich bekomme ich die Information. Jedoch ist für mich auch irrelevant, was dort zuvor passiert ist. Ich sehe nur die "Verschmutzung". Wie diese zustande kam, spielt für mich keine Rolle.

Auch wenn Sie oft nicht wissen, was passiert ist, gibt es dennoch Fälle aus der Vergangenheit, die Sie besonders beschäftigt haben?

Da gab es zwei Angelegenheiten: Bei mir hat sich eine eingebrannte Leiche besonders eingeprägt. In einem besonders heißen Sommer verstarb eine Person und lag über einen längeren Zeitraum vor einem Panoramafenster, auf das die Sonne permanent schien. Der Leichnam hatte sich während der Zeit in den Teppich eingebrannt und die Silhouette war noch deutlich vorhanden.

Und was fanden Sie so richtig eklig?

Einmal ist eine alte Dame bei der Verrichtung ihres Geschäftes auf dem WC verstorben – da saß sie sieben Wochen. Das war richtig heftig. Die ganze Wohnung musste saniert werden. Der Putz, der ganze Estrich, alle Holzbauteile mussten raus. Der intensive Geruch ist überall eingezogen.

Was passiert mit den menschlichen Überresten, die Sie noch finden? Wie werden die entsorgt?

Es gibt sogenannte Bio-Sondermüll-Tonnen, die entsprechend mit "Bio Hazard" gekennzeichnet werden müssen. Sobald die Tonnen gefüllt sind, werden sie versiegelt und von einem Entsorgungsunternehmen abgeholt.

Was machen Sie denn gegen den Leichengeruch? Der setzt sich doch bestimmt auch an Ihrer Kleidung ab?

Nicht nur auf der Kleidung, auch auf der Haut. Es handelt sich um kleine Geruchsmoleküle und die setzen sich überall fest. Ich tausche unter anderem regelmäßig meine Maske, die ich bei der Arbeit trage, aber abends nach der Arbeit kommt es schon mal vor, dass eins dieser Geruchsmoleküle platzt. Da hat man dann manchmal schon noch ein bis zwei Tage später was von. Mit der Zeit akzeptiert man aber den Geruch bzw. gewöhnt sich daran. Sich irgendwelche Mittelchen unter die Nase zu reiben, bringt in meinen Augen nichts. Dem Geruch in der Wohnung entgegne ich mit Ozon und speziellen Reinigungsmitteln oder Geruchsbindern.

Nehmen Sie das, was Sie alltäglich erleben, mit nach Hause?

Nein, nur bei Suiziden denke ich schon darüber nach, was denjenigen bewegt hat, sich das anzutun: sich in einer dunklen Stunde völlig verzweifelt dahin zu setzen und sich die Pulsadern aufzuschneiden.

Stehen Sie, seitdem Sie als Tatortreiniger arbeiten, dem Tod anders gegenüber?

Ja, ich bin spiritueller und sensibler geworden. Sie können dies auch an all meinen Tattoos sehen, die voll entsprechender Symbolik sind. (zeigt auf seine Arme). Wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin, stelle ich ein Kreuz und eine Kerze auf. Als letzter Respekt vor dem Toten. Ich finde, da muss man schon Pietät walten lassen. Das ist ja nicht einfacher Dreck, den ich wegmache, sondern das war mal ein Mensch.

Was halten Sie von Serien wie "Der Tatortreiniger"?

Ich finde es gut, dass diese Serien den Beruf des Tatortreinigers zeigen. Denn viele Menschen können sich nichts darunter vorstellen. Ich finde zum Beispiel, Bjarne Mädel hat das klasse gemacht und auf seine spezielle und unverwechselbare Weise dargestellt. Er ist auch eine Zeit lang mit Kollegen in Hamburg mitgegangen, um sich mit dem Thema zu befassen.

Und wie realistisch ist die Arbeit, die da gezeigt wird?

In Teilen akzeptabel. Vieles davon ist aber einfach auf die Unterhaltung für den Zuschauer ausgelegt. Manche Durchführung in den Szenen entspricht nicht der Realität, aber wie er krieche auch ich oft auf dem Boden herum (lacht).

Gibt es noch etwas, was Sie abschließend ergänzen möchten?

Ja, das gibt es. Kümmert euch mehr umeinander! Gerade, wenn man weiß, dass ältere Personen in einem Haus wohnen, könnte man hin und wieder überprüfen, ob alles okay ist. Und wenn ich die älteren Herrschaften von nebenan zwei oder drei Wochen nicht sehe, spätestens dann sollte man vorbeischauen. Vielleicht kann man damit auch mal ein Leben retten und meinen Einsatz, so gerne ich dies auch auf makabre Weise mache, vermeiden. Außerdem wünsche ich mir mehr Respekt und Anerkennung für all die fleißigen Reinigungskräfte, die täglich Tag und Nacht für Sauberkeit sorgen.

Hinweis: Falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen, finden Sie hier sofort und anonym Hilfe.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Karl Giesenkirchen
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