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"Gibts hier Bananen?": Riesenschlangen in Leipzig vor 9-Euro-Ticket-Ende


Ansturm am Fahrkartenschalter
"Gibt's hier Bananen?": Riesenschlangen in Leipzig vor 9-Euro-Ticket-Ende

Von Andreas Raabe

31.08.2022Lesedauer: 4 Min.
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Riesenschlangen in Leipzig: Vor dem Ende des 9-Euro-TicketsVergrößern des Bildes
Riesenschlangen in Leipzig: Vor dem Ende des 9-Euro-Tickets kam es zum großen Ansturm. (Quelle: t-online)

Großer Ansturm auf die Fahrkartenschalter der Verkehrsbetriebe in Leipzig. Einige warten seit drei Stunden auf ihr Ticket. Warum tun sie das?

Passanten schlendern durch die Leipziger Innenstadt und bleiben verwundert stehen. "Was ist denn hier los?", fragt eine Frau mit rosa Hut und zeigt auf die riesige Menschenmenge vor dem LVB-Servicecenter in der Petersstraße am Beginn der Fußgängerzone.

Fast hundert Meter lang ist die Schlange hier am Mittwochnachmittag. Ein älterer Mann auf dem Fahrrad hält an, lächelt verschmitzt und fragt in breitem Sächsisch: "Ja, gibt's denn hier Bananen oder was?" Nein, hier gibt's Fahrkarten. Die Menschen stehen am letzten Tag des Augusts hier an, um sich ein neues Aboticket für den Nahverkehr zu kaufen. Aber warum sind es plötzlich so viele?

Leopold Kraatz und Elaine Stenzel haben es schon fast hineingeschafft ins LVB-Servicecenter. Sie seien Schüler, sagt Kraatz und sie stehen hier seit zweieinhalb Stunden. Die beiden brauchen ein Bildungsticket ab dem 1. September und das sei ja schon morgen, sagen sie.

"Im Internet kann man aber nur noch Tickets buchen, die ab dem 1. Oktober gelten", sagt Stenzel. "Sollen wir jetzt einen Monat schwarz fahren, oder wie?", fragt sie. Darum jedenfalls nehmen sie die lange Wartezeit in Kauf – und so wie ihnen geht es den meisten in der Schlange.

Leipzig: Die meisten warten hier auf ihr Schülerticket

Viele junge Leute sind unter ihnen, dazwischen Grüppchen ukrainisch sprechender Menschen, ein paar Rentner und mittelalte Menschen. So wie Franka Steiger, die hier mit Kinderwagen und Baby um den Bauch gewickelt seit anderthalb Stunden steht.

Sie will sich einfach nur ein neues Monatsticket kaufen, die Internetseite der LVB sei überlastet, sagt sie, deswegen steht sie jetzt hier. Als sie erfährt, dass es wohl noch eine Stunde dauert, bis sie drankommt, sagt sie: "Na ja, das überleg ich mir nochmal."

Max Mücke, ein junger Mann mit Begleitung – sie will ihren Namen nicht nennen – hat sich gerade ganz hinten angestellt. Er möchte ein Bildungsticket holen, mit dem Schüler vergünstigt fahren können. Auch Mücke kritisiert, dass man Ende August online kein Ticket mehr für den September buchen kann. "Das kann man besser machen", sagt er in Richtung LVB. "Aber wir haben es auch versemmelt", gibt Mücke zu, die junge Frau neben ihm nickt. "Wir hätten uns ja auch früher kümmern können."

Mücke tun die Leute leid, die jetzt wegen des 9-Euro-Tickets Gefallen am ÖPNV gefunden haben und heute ein Monatsticket kaufen wollen. "Da sind bestimmt einige auf den Geschmack gekommen und wollten sich heute ein Abo holen", sagt er. Und mit Blick auf die elend lange Schlange: "Und jetzt haben sie den Salat."

LVB-Sprecher: "Der große Ansturm hat uns ehrlich gesagt überrascht"

Marc Backhaus ist Pressesprecher der LVB und er ist mit der Situation seit Dienstag konfrontiert. Zum Schulanfang sei es immer voll an den Schaltern, sagt er – vor allem wegen der Schülertickets. Aber in diesem Jahr sei es besonders heftig. "Der große Ansturm hat uns hier ehrlich gesagt auch überrascht", gibt er zu.

"Wir informieren aber seit Jahren vorher in den Schulen, bei Elternabenden und so weiter, dass die Eltern sich doch frühzeitig um die Tickets kümmern sollen", erzählt er. Bis zum vergangenen Sonntag konnte man das meiste auch online abwickeln, sagt er mit Blick auf die Bildungstickets, die jetzt im Internet nur noch für Oktober zu bekommen sind. Der menschliche Faktor spiele auch eine Rolle und "manchmal ist es denn halt so", sagt der Sprecher.

In diesem Jahr würden aber noch zwei andere Umstände dazukommen: "Erstens", sagt Backhaus, "haben viele Menschen wegen des 9-Euro-Tickets Gefallen am ÖPNV gefunden und wollen sich jetzt beraten lassen, wie sie am besten weiter den Nahverkehr nutzen können. Und zweitens haben wir viele ukrainische Geflüchtete in den Warteschlangen, die ab dem 1. September auch andere, spezielle Tickets kaufen können." Bei beiden Gruppen sei der Beratungsaufwand sehr hoch – und so erklärten sich die langen Schlangen in diesem Jahr.

Backhaus verspricht, dass die LVB die Umstände sehr genau analysieren werden und ihr Möglichstes tun, um solche langen Wartezeiten in den kommenden Jahren zu verhindern. Aber heute und in den nächsten Tagen wird es wohl noch so weitergehen mit den langen Schlangen – in der ganzen Stadt.

Tatsächlich bietet sich vor dem Leipziger Hauptbahnhof ein ähnliches Bild wie an der Peterstraße: Auch hier steht ein sogenanntes "Mobilitätscenter" der LVB. Doch die anwesenden Kunden sind alles andere als mobil – sie warten stundenlang in der brennenden Sonne darauf, sich eine Abo-Fahrkarte kaufen zu können.

Leipzig: Sie sei "digital eben nicht so gut", sagt die Rentnerin in der Schlange

So wie Karin Wilhelm. Die Rentnerin steht hier seit drei Stunden an, sagt sie. Warum? "Na, das 9-Euro-Ticket gilt morgen ja nicht mehr", erzählt sie. "Und da wollte ich mir ein vergünstigtes Seniorenticket holen." Eine Monatskarte also? "Ja, genau, nur vergünstigt", sagt Wilhelm und nickt.

Früher hatte sie keine Monatskarte, sie sei während der drei letzten Monate, in denen das 9-Euro-Ticket galt, aber auf den Geschmack gekommen, sagt sie. "Das 9-Euro-Ticket war wunderbar, wunderbar", schwärmt die Seniorin. Jetzt will sie regelmäßig mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren.

Doch dass sie hier jetzt anstehen muss, findet sie: "Furchtbar. Das hätte man doch anders organisieren können von der LVB. Ist doch klar, dass am letzten Tag viele ein neues Ticket kaufen wollen." Sie sei "digital nicht so gut", sagt die Rentnerin. Darum sei sie darauf angewiesen, ihr Abo-Ticket am Schalter zu kaufen. Aber drei Stunden auf den Beinen, ohne Schatten? "Ich hoffe, es hat bald ein Ende", stöhnt Wilhelm.

Hinter ihr steht Annett Pfütze. Auch seit drei Stunden. Die Mitvierzigerin ist für ihren Sohn hier. Der brauche nämlich dringend ein Azubi-Ticket, weil morgen seine Ausbildung beginnen würde, erzählt sie. "Wir haben es erst gestern erfahren, von seinem Ausbildungsbetrieb, dass er dieses Ticket braucht", schimpft sie. Darum müsse sie sich hier jetzt die Beine in den Bauch stehen. Auch sie kritisiert, dass man im Internet nur noch Azubi-Tickets ab Oktober kaufen kann. "Wie soll er denn ohne Straßenbahn zur Arbeit kommen?"

Frau Pfütze schüttelt den Kopf. Aber sie muss nicht mehr lange warten. Langsam schiebt sich die Warteschlange voran – und Karin Wilhelm vor ihr ist schon fast an der rettenden Glastür des LVB-Mobilitätscenters angekommen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Telefonat mit den LVB
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