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Klimaaktivist Jakob Beyer setzt für die "Letzte Generation" alles aufs Spiel


Klimaaktivist packt aus
Für die "Letzte Generation" setzt er alles aufs Spiel


Aktualisiert am 21.12.2022Lesedauer: 5 Min.
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Jakob Beyer in Leipzig: 23 Tage saß er für eine Aktion im Gefängnis.Vergrößern des Bildes
Jakob Beyer in Leipzig: 23 Tage saß er für eine Aktion im Gefängnis. (Quelle: Marvin Graewert)

Wie aus einem Aktivisten, der lieber für die Klimabewegung kochte, statt sich auf die Straße zu kleben, ein Staatsfeind wurde. Ein Besuch nach drei Wochen im Gefängnis.

Als Jakob Beyer drei Wochen hinter Gittern saß, durfte er mit vier Personen telefonieren. Er entschied sich für eine Freundin und drei Journalisten. Seinem Vater konnte er nur Briefe schreiben. Dem Kampf der "Letzten Generation" ordnet der 29-Jährige alles unter. Doch Autobahnblockaden haben die Behörden erst mal einen Riegel vorgeschoben – seine Freiheit endet an der Autobahnzufahrt. Auch an diesem Morgen muss er sich bei der Leipziger Polizei melden, nachmittags wieder. Zwischendrin hat er Zeit für ein Gespräch.

Bevor sich der gebürtige Berliner entschied, mehrere Gaspipelines zu sabotieren und sich am Bilderrahmen der weltberühmten "Sixtinischen Madonna" von Raffael festklebte, waren seine Aktionen relativ unauffällig. Beyer hatte Lebensmittel vor der Tonne gerettet und vor Supermärkten verteilt und sich den Protesten von Fridays for Future angeschlossen. Im September 2019 erreichten die Demonstrationen ihren Höhepunkt: Damals hatten sich der anschwellenden Protestwelle mehr als eine Million Menschen angeschlossen – in großen Teilen der Bevölkerung hatte sich die Bewegung Rückhalt erkämpft. Doch statt Euphorie machte sich Frustration in den Köpfen der Aktivisten breit.

"Ausgerechnet am Tag des größten Klimastreiks der Geschichte hat die Regierung ein Klimaschutzgesetz beschlossen, das vom Verfassungsgericht einkassiert wurde, weil es in Teilen gegen die Verfassung verstieß – da es künftige Generationen nicht ausreichend geschützt hätte", sagt Beyer. Für ihn war die Entscheidung "brutal" und ein Wendepunkt für die Bewegung, die sich nach neuen Protestformen umschaute.

Für Jakob Beyer war nach einem Vortrag von Henning Jeschke – der mit einem Hungerstreik im Berliner Regierungsviertel für Aussehen sorgte – klar, dass er zu ähnlich drastischen Maßnahmen greifen musste. Um die Bundesregierung zu Maßnahmen zu drängen, mit denen sich das 1,5-Grad-Ziel erreichen lässt, würden Demonstrationen nichts bringen – das Zeitfenster sei einfach zu klein.

Das Argument, dass der exponentielle technische Fortschritt den Klimawandel aufhalten könnte, lässt Beyer nicht gelten: "In den Berechnungen des Weltklimarats, nach dem wir unsere Klimaziele definieren, ist bereits ein technologischer Fortschritt eingerechnet, der bis heute noch nicht eingetroffen ist." Jeschkes Vortrag war erst vor etwas mehr als einem Jahr Beyers Hemmungen sind seither verschwunden.

Drohende weitere Haft

Als sich Beyer der "Letzten Generation" anschloss, hatte er zu großen Respekt, um selbst zivilen Ungehorsam auszuüben. Das Auftreten der Polizei hatte ihn damals noch eingeschüchtert. Statt sich selbst auf Straßen zu kleben, schnippelte er in der Küche Gemüse und organisierte Essensausgaben für die "Letzten Generation". Mittlerweile ist ihm keine Aktion mehr zu krass solange keine Menschen zu Schaden kommen, sagt er. Seine Ausbildung zum Zimmermann, die ihm großen Spaß gemacht habe, hat er deshalb abgebrochen. Seither ist er Vollzeit-Aktivist; Wochenenden kennt er nicht mehr. Ein paar Tage Camping sei dieses Jahr die einzige Auszeit gewesen. Selbst nach dem Polizeigewahrsam saß er nach zwei Tagen wieder für die Bewegung am Schreibtisch.

"Ich würde auch lieber wieder gerettetes Essen verteilen: Keiner wirft gerne Kartoffelbrei auf ein Gemälde, keinem von uns machen Straßenblockaden Spaß, wo wir uns der Wut der Autofahrer aussetzen. Aber wir werden ignoriert, solange wir nicht effektiv stören", sagt Beyer. Allerdings bleiben die Forderungen der Bewegung unerfüllt. Daran ändert auch ein lahmgelegter Flughafen nichts. "Wir überprüfen konstant, mit welchen Aktionen wir den größten Druck auf die Regierung ausüben zu können", meint Beyer.

Die unerfüllten Forderungen lassen gefrustete Aktivisten zurück. "Natürlich haben wir keinen Einfluss darauf, zu welchen Mitteln andere Menschen greifen. Aber die Aktionen der "Letzte Generation" werden immer gewaltfrei bleiben - etwa auf eine Rettungsgasse würden wir niemals verzichten", so Beyer. "Unser Ziel ist es, Leben zu schützen: Weil wir dieses Ziel erreichen wollen, werden wir in unseren Aktionen auch niemals zu gewaltsamen Mitteln greifen. Das ist für uns eine absolute rote Linie."

Keine Zeit für demokratische Prozesse

Wie die ganze Bewegung tickt, ist gar nicht leicht herauszufinden. Wer die festgeklebten Mitglieder der "Letzten Generation" auf der Straße anspricht, hat schlechte Karten. Vor allem als Journalist. Die Aktivistinnen schweigen stoisch selbst oder vor allem, wenn ein "Bild"-Reporter mit Flöten und quietschendem Spielzeug versucht, sie aus der Reserve zu locken, wie Ende Oktober in Berlin geschehen. Keine Reaktion. Darauf werden die Aktivisten eingeschworen. Denn sonst könnten sie sich in etwas hineinreiten, weil die meisten Aktivisten den Umgang mit der Presse nicht gewohnt sind. Diese Aufgabe übernimmt unter anderem Jakob Beyer, der nach und nach zu einem Gesicht der Bewegung wurde.

Im Gegensatz zu anderen Klimabündnissen werden nicht alle Entscheidungen der "Letzten Generation" basisdemokratisch und schon gar nicht konsensorientiert getroffen: "Wir haben eine funktionelle Hierarchie. Strategische Entscheidungen werden in kleinen Gruppen getroffen", so Beyer: "Das ist notwendig, um schnell handeln zu können. Schließlich haben wir nur noch zwei, drei Jahre, bis wir entscheidende Kippunkte erreichen."

Wochenlange Haft war fest einkalkuliert, ein Teil der Inszenierung

So absurd es klingt: Wenn Beyer über die Zeit im Gefängnis spricht, dann auch darüber, dass die Bewegung dadurch wertvolle Zeit verloren habe. Dabei waren vier Wochen Haft fest einkalkuliert, ein Teil der Inszenierung. "Wir wollten nicht hinnehmen, dass Wissenschaftler ins Gefängnis gesperrt werden", so Beyer.

Ende Oktober hatten sich Aktivisten von "Scientist Rebellion" in München an einem Luxusauto festgeklebt und sechs weitere beschmiert. Sie landeten für eine Woche in Polizeigewahrsam: Die "Letzte Generation" hatte daraufhin ihren Protest in Bayern ausgeweitet und sich auf einer Autobahn festgeklebt. Bei der anschließenden Polizeibefragung gab Beyer an, dass er das wieder machen werde, sobald er die Möglichkeit dazu habe, und ließ seinen Worten unmittelbar nach der Freilassung Taten folgen.

Nachdem zweimal innerhalb weniger Stunden eine Hauptverkehrsstraße blockiert worden war, wurde eine richterliche Anordnung für 30 Tage in Polizeigewahrsam verhängt. Eine Anordnung, die nur in Bayern aufgrund des Polizeiaufgabengesetzes möglich ist.

"Ich mache nichts aus irgendeiner Laune heraus: Ich wusste, dass dieses Gesetz in Bayern besteht und was auf mich zukommen kann", sagt Beyer. "Trotzdem war es ein extrem beklemmendes Gefühl, als ich auf meinem Bett saß und auf die geschlossene Zellentür ohne Türknauf starrte – ich hätte nicht mal daran rütteln können." Der einzige Lichtblick: ein kleines Fenster, so hoch, dass Beyer nicht herausschauen konnte.

So viele Spenden wie nie: Von "Überreaktion" proftiert

Beyer spricht so abgeklärt über seine Zeit im Gefängnis, dass der Eindruck entsteht, es könnte nicht sein letzter Aufenthalt gewesen sein. Sollte er sich an einem Tag nicht bei der Polizei melden, müsste er 2.000 Euro zahlen. Und wieder in Zwangshaft, falls er nicht zahlen könnte. Bislang sehe es so aus, als dürfe er auch über die Weihnachtsfeiertage die Stadt nicht verlassen.

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Trotzdem habe die erste Hausdurchsuchung deutlich tiefere Spuren hinterlassen: In seiner Zelle musste er live im Fernsehen miterleben, wie sein Zimmer und die Gemeinschaftsräume der Leipziger WG nach Datenträgern durchwühlt wurden ohne eingreifen zu können. "Es war schwer zu ertragen, dass mein Zuhause kein sicherer Rückzugsort mehr ist", sagt Beyer. Dabei wirkt er auf einmal gar nicht mehr so abgeklärt.

In diesem Moment sei ihm bewusst geworden, dass er bei seinem Kampf fürs Klima seine Familie mit reinzieht. Am gleichen Morgen wird auch die Wohnung seines Vaters durchsucht. "Ich hätte ihn gerne gefragt, wie es ihm geht, und gesagt, dass es mir leidtut, dass er meinetwegen so etwas ertragen muss. Aber ich konnte ihn nicht anrufen", sagt Beyer, der trotzdem weiterkämpfen wird entschlossen wie nie: "Von der Überreaktion des Staates haben wir ganz klar profitiert: Wir haben so viel Zulauf wie nie, so viel Aufmerksamkeit wie nie und bekommen so viel Spenden wie noch nie."

Verwendete Quellen
  • Interview mit Jakob Beyer
  • Eigene Recherchen
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