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Der G7-Gipfel macht die Alpen zur Festung – und frustriert Anwohner


Vorbereitungen auf den G7-Gipfel
Anwohner über die Festung Elmau: "Wir haben keinen Bock mehr"

Von Christof Paulus

Aktualisiert am 18.06.2022Lesedauer: 8 Min.
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Das Schloss Elmau in den oberbayerischen Bergen hinter einem Zaun: Hier findet 2022 wieder der G7-Gipfel statt.Vergrößern des Bildes
Das Schloss Elmau in den oberbayerischen Bergen hinter einem Zaun: Hier findet 2022 wieder der G7-Gipfel statt. (Quelle: Christof Paulus)

Der G7-Gipfel stellt die Bergidylle auf den Kopf: In gut einer Woche startet das Treffen der politischen Weltspitze in Oberbayern. Für die Menschen vor Ort ist das ein wenig Ehre, aber vor allem: große Last.

Ein Buch hat Bürgermeister Thomas Schwarzenberger für seine Gemeinde Krün machen lassen. Es steht in einem Regal seines Büros, hier im ersten Stock des Rathauses der 2.000-Einwohner-Gemeinde. Schwarzenberger muss ein wenig blättern, bis er die Seite findet, auf der das vielleicht wichtigste Schriftstück des Ortes zu sehen ist. Hier, im bayerischen Hochgebirge, liegen zig Zweitausender in Sichtweite, doch es ist dieses Ereignis, über das Schwarzenberger sagt: "Das war unser Gipfel." Denn für jenen Tag aus dem Jahr 2015 gilt das mit dem Gipfel gleich doppelt.

Zum einen: So hohen Besuch im Doppelpack wird der Ort vielleicht nie wieder bekommen. Am 7. Juni 2015 war in Krün die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Besuch, einen Tag bevor im zehn Kilometer entfernten Schloss Elmau der G7-Gipfel begann. Ihr Staatsgast: Niemand geringerer als US-Präsident Barack Obama. Beide trugen sich ins Goldene Buch der Gemeinde ein, das bis auf die ganz besonderen Anlässe unter Verschluss ist. Immerhin: Ein Foto der Unterschriften von Obama und Merkel ist in der Festschrift in Schwarzenbergers Regal zu sehen.

G7-Gipfel zum zweiten Mal nach 2015 in Elmau

"Zum Anfassen" seien die beiden gewesen, sagt der Bürgermeister, ein Weißwurstfrühstück gab es vor dem Rathaus, Obama trank Weißbier. Und "unser Gipfel", das heißt für Schwarzenberger auch: Beim Obama-Besuch hatten im Dorf Glanz und Gloria der Mächtigen tatsächlich Einzug gehalten. Es war der Tag, als für die Krüner der Gipfel direkt im Ort zu erleben war. Während des eigentlichen Treffens der G7, hinten im abgelegenen Schlosshotel, war der Ort nur eine Durchgangsstation.

Sieben Jahre später kommen die G7 zurück. Die gleichen Länder, andere Vertreter. Dass die Größen der Weltpolitik den Dörfern der Region wieder einen Besuch abstatten wollen, davon wisse er aber nichts, sagt Schwarzenberger. Drei Tage lang verschanzen sich die Gäste ab dem 26. Juni in Elmau, dem Schloss, das dann zur Festung wird.

Mit Tausenden Polizisten, kilometerlangen Zäunen und Zehntausenden versiegelten Kanaldeckeln wird der Gipfel schon seit Wochen gesichert. Und so wundert es nicht, dass der CSU-Politiker Schwarzenberger nicht als Einziger in der Gemeinde sagt: "Ein drittes Mal brauche ich das in sieben Jahren nicht."

Besuch in Krün, dem Hauptort der Gemeinde, zu dem auch das Schloss Elmau gehört. Im Wirtshaus Max Joseph steht Philipp Brauer hinter der Theke, Jennifer Büttner räumt auf der Terrasse auf. Gäste sind keine da. Es ist früher Nachmittag, draußen hängen die Wolken tief, das Wochenende ist gerade vorbei. Aber Brauer versichert: Normalerweise wäre hier in den Pfingstferien viel mehr los. Doch schon Tage vor dem G7-Treffen sind im Ort viel mehr Einsatzkräfte als Urlauber unterwegs. Brauers Analyse: "Der Gipfel macht die Kleinen kaputt."

Mit den "Kleinen" meint er Restaurants und Wirtshäuser, die keine Gästebetten haben. Die Polizei könne natürlich nichts dafür, ist man sich im Wirtshaus einig. Manchmal kommen Einsatzkräfte zum Essen vorbei, "die sind alle nett", sagt Büttner. Aber natürlich zerstöre es die Urlaubsidylle, wenn die Berge plötzlich zum Hochsicherheitsgebiet werden. Und die Urlauber, die trotzdem kommen wollten, die könnten fast nicht rein: In den Tagen rund um den Gipfel kontrolliert die Polizei den gesamten Großraum. Staus und Verkehrschaos sind programmiert.

Gastronomie rund um Elmau: Keinen Bock auf G7

"Wir haben keinen Bock mehr", sagt Brauer. Während der drei Gipfeltage ist das Wirtshaus geschlossen. "Es ergibt für uns gerade einfach keinen Sinn." Für die Verpflegung der Einsatzkräfte ist gesorgt, ins Restaurant gehen sie selten, berichtet Brauer. All das hätte er nicht gebraucht, wie er sagt. Und das, nachdem das Wirtshaus schon die Schneesaison im zweiten Corona-Winter wieder mühsam überstehen musste.

Auch im Café Bauer merke man das, sagt das Besitzerpaar Vanessa und Matthias Hornsteiner. Seit dem Bettenwechsel am vergangenen Samstag, zwei Wochen vor dem Gipfel, seien die Urlauber fast völlig aus dem Dorf verschwunden. Tatsächlich: Während Hoteliers wochenlang ausgebucht sind, seien Restaurants die großen Verlierer des Gipfels, bestätigt auch Bürgermeister Schwarzenberger. Aber wieso all der Aufwand für sieben Politiker, die drei Tage hier sind?

Gemeinsam mit dem G7-Gipfel 2015 sei der Einsatz in diesem Jahr der größte, den die bayerische Polizei je zu stemmen hatte, sagt Carolin Englert, Pressesprecherin des Planungsstabs. Im Hinterkopf habe man aber nicht nur 2015, sondern noch ein anderes politisches Großereignis, das im Gegensatz zu Elmau völlig aus dem Ruder lief: Den G20-Gipfel in Hamburg 2017.

Polizisten und Einsatzkräfte aus ganz Deutschland beim G7-Gipfel

Unter anderem, um zu verhindern, dass wie damals teils gewaltbereite Aktivisten rund um den Gipfel aufmarschieren und randalieren, seien etwa gleich viele Menschen wie 2015 in Elmau im Einsatz. Die genaue Zahl stehe noch nicht fest, damals rückten 18.000 Polizisten in den Bergen an. An den Fahrzeugen von Polizei oder Technischem Hilfswerk erkennt man schon: Es sind weit mehr als nur lokale oder bayerische Kräfte. Sie kommen aus Coburg, Berlin oder Braunschweig, verraten die Kennzeichen. Ihr Einsatzgebiet sind in diesen Tagen weite Teile Südbayerns.

Am kommenden Sonntag, eine Woche vor dem Gipfel, schließt sich der Zaun auf der Straße vom Weiler Klais, einem Ortsteil von Krün, nach Elmau. Dann sind die rund vier Quadratkilometer, der Sicherheitsbereich um das G7-Gelände, für die Öffentlichkeit gesperrt. Teile der Gipfelgrenze sichert die Polizei mit Einsatzkräften, an anderen Stellen sollen "Steinschlagschutzverbauungen" das Gelände abriegeln.

Das sind Zäune, die im Gebirge erprobt sind, wie der Name schon sagt: Sie halten auch Steinschlag aus. Sie niederzureißen sollte kaum zu schaffen sein. Und wer darüber klettern will, den erwarten Einsatzkräfte in mehreren Linien dahinter, der Zaun ist rund um die Uhr beleuchtet. Einen besser bewachten Ort wird es dieses Jahr in Deutschland nicht geben.

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Damit man all das mitten in den Bergen sicherstellen kann, mussten die Einsatzkräfte die Natur rund um Elmau umbauen. Sie haben den Zaun an Bäumen befestigt oder Pfähle dafür gesetzt. Über die sonst kaum befahrenen Mautstraße durch den Wald nach Elmau rollen nun täglich Hunderte Fahrzeuge, um Gäste oder Einsatzkräfte hin- und herzubringen. Tief im Wald wurden große Flächen versiegelt.

Naturschützer haben mit dem G7-Gipfel gleich mehrere Probleme

"Im Verhältnis zu den großen Problemen, die auf dem Gipfel diskutiert werden, erscheinen die Umwelteingriffe auf dem Gelände zwar klein", sagt Felix Hälbich, Pressesprecher des Bund Naturschutz in Bayern. "Aber das heißt nicht, dass sie unproblematisch sind."

Der Bund beteiligt sich an Demonstrationen rund um den G7-Gipfel, dabei gehe es vor allem auch darum, wichtige Weichen für die Zukunft zu stellen, so Hälbich. Im Zentrum der Forderungen: Mehr Engagement bei Problemen wie Biodiversität und Artenvielfalt.

Nachhaltigkeit, das ist Krüns Bürgermeister Schwarzenberger wichtig, spiele eine zentrale Rolle beim Gipfel. Viel mitreden könne seine Gemeinde nicht, sagt er. "Mich hat niemand gefragt." Und trotzdem gibt es einige Eckpfeiler in der Planung, auf die er Wert legt. Etwa, dass ein riesiger Hubschrauberlandeplatz nach dem Gipfel wieder entfernt werde und bleibe, was er bisher war: ein geschotterter Wanderparkplatz.

Wie schon 2015 wurde der nur für den Gipfel geteert, sechs Landeflächen sind darauf zu finden. Bäume, die darauf standen, wurden umgepflanzt – nicht gefällt, wie Schwarzenberger betont – und nach dem Gipfel sollen dort wieder neue wachsen. Eine so große Asphaltfläche, das gehe vielleicht in München, findet der Bürgermeister. "Aber in so ein Naturjuwel wie das Elmauer Hochtal passt das nicht." Doch Schwarzenberger sieht auch Grund, einige Beschwerden zu relativieren: "Der Landeplatz ist gerade deshalb Thema, weil es kein anderes gibt."

Um die Natur, die Abgeschiedenheit und die Berge geht es auch, wenn man mit der Polizei über die Sicherheit auf dem Gipfel spricht. Zehntausende Polizisten waren auch 2017 in Hamburg im Einsatz und konnten nicht verhindern, dass am Ende Hunderte verletzte Demonstranten wie Einsatzkräfte, und fast ebenso viele Anzeigen und Sachschäden in Millionenhöhe zu Buche standen. Aber Hamburg und Elmau, das könne man überhaupt nicht vergleichen, sagt Polizeisprecher Jürgen Thalmeier.

Warum die bayerische Polizei G20 und G7 nicht vergleichen will

"Hier gibt es kein Schanzenviertel, keine Häuserschluchten, keine große linke Szene", sagt Thalmeier über den Landkreis Garmisch-Partenkirchen, in dem Elmau liegt. Natürlich werden Demonstrationen erwartet, sagt seine Kollegin Englert. Unter anderem eine mit rund 1.000 erwarteten Teilnehmer sei bereits in Garmisch-Partenkirchen angemeldet, weitere etwa in München oder ein Sternmarsch aus mehreren Himmelsrichtungen nach Elmau. Sie geht aber davon aus, dass schon die weite Anreise viele Aktivisten abschrecke.

Und ein weiterer Grund stimmt die Einsatzkräfte optimistisch, dass auch 2015 alles im Rahmen bleibt: Beim G20-Gipfel zwei Jahre später stand die sogenannte "Hamburger Linie" immer wieder in der Kritik. Gemeint ist damit das besonders harte Durchgreifen der Polizei in der Hansestadt. Ein häufiger Vorwurf: Dieses Vorgehen habe die Lage 2017 nicht beruhigt, sondern weiter eskaliert. "Unsere Linie ist eine andere", sagt Thalmeier. Die Fehler aus Hamburg sollen sich in Elmau nicht wiederholen.

Zumal: Straßenschlachten, Angriffe, Gewaltexzesse – auch wenn in den bayerischen Bergen die Polizei aktuell Präsenz zeigt wie sonst nicht einmal am Frankfurter Hauptbahnhof, so ist all das in der Idylle kaum vorstellbar. Mögliche Ausschreitungen sind im Ort kein Thema, wenn überhaupt, stehen da Garmisch-Partenkirchen und München im Fokus. Hier oben geht es um andere Dinge. Etwa, dass am Gipfelwochenende das Wetter passt.

Hoffnung auf gutes Wetter und den Hubschrauber beim G7-Gipfel

"Das ist das Wichtigste", sagt Bürgermeister Schwarzenberger. Was zunächst banal klingt, ist für ihn entscheidend – denn bei schlechtem Wetter könnte das Verkehrschaos riesig werden. Dann könnten die Gipfelteilnehmer nicht mehr nach Elmau geflogen werden, während ihrer Fahrt mit dem Auto würde die gesamte Anreisestrecke gesperrt werden. Im Extremfall hieße das: Von München bis in die Berge sind Autobahn und Bundesstraße dicht, für mindestens eine halbe Stunde. Und dabei fordert der Gipfel eh schon fast alle Menschen in der Region.

Auf dem Veranstaltungsgelände ist etwa eine dauerhafte Feuerwache im Einsatz, schildert Schwarzenberger. Bestückt ist sie unter anderem mit Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehren Krüns und der Nachbardörfer. Die Aufgabe sei "am Rande dessen, was ehrenamtlich noch zu stemmen sei". Über 500 Ehrenamtliche aus Krün und den Nachbargemeinden sind beim Gipfel im Einsatz.

Was für viele Polizisten gilt – Polizistin Englert spricht davon, dass der Einsatz in Elmau zwar eine Herausforderung, aber für viele im Einsatz auch große Ehre und "Ausbruch aus der Routine" sei – ist etwa bei der Feuerwehr in Krün nicht anders.

Am Limit arbeite auch die Gemeindeverwaltung, die sich etwa um Flächen für die Sicherheitskräfte oder Verkehrsschilder kümmern müsse. "Und geheiratet, gestorben oder zugezogen wird ja weiterhin, das normale Geschäft hört nicht auf", sagt Schwarzenberger. Überstunden sammle die Verwaltung reichlich. Zumal der Gipfel erst vor sieben Monaten nach Elmau vergeben wurde. Eine Mammut-Aufgabe im Sprinttempo also – doch das habe auch sein Gutes.

Eine kurze Vorbereitung habe den Vorteil, dass sie auch schnell vorbei ist, sagt Schwarzenberger. Die Infrastruktur der Gemeinde profitiere vom Gipfel, Krün habe sich etwa mit Fördermitteln schnell ein neues Feuerwehrfahrzeug beschaffen müssen. So könne er sich schon auf den Gipfel freuen, sagt Schwarzenberger – und schließlich finde der auch statt, wenn er sich nicht freue.

Verwendete Quellen
  • faz.net: "Der Mann hinter der "'Hamburger Linie'"
  • Gespräche mit Felix Hälbich, Thomas Schwarzenberger, Carolin Englert, Jürgen Thalmeier, Philipp Brauer, Jennifer Büttner sowie Matthias und Vanessa Hornsteiner
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