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München Marathon 2023: Wenn aus 42 Kilometern Qual die pure Freude wird


München Marathon 2023
Mit Tränen in den Augen ins Ziel: Wenn aus Qual ein Gefühl purer Freude wird

  • Sven Sartison
Von Sven Sartison

Aktualisiert am 10.10.2023Lesedauer: 5 Min.
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Schlusssprint: Redakteur Sven Sartison (links, im schwarzen T-Shirt) auf den letzten Metern des Generali München Marathons 2023. (Quelle: Privat)

Am Sonntag hat in München der Marathon stattgefunden. Auch ein Redakteur von t-online hat sich den 42 Kilometern gestellt. Ein Erfahrungsbericht.

Bei Kilometer 30 bin ich mir sicher: "Ich schaffe das", schießt es mir durch den Kopf. Und das, obwohl ich noch zwölf weitere Kilometer vor mir habe und die Qual zuletzt mit jedem weiteren Schritt, jedem Meter, den ich zurückgelegt habe, größer wurde.

Ich will einen Marathon laufen. Dieses Ziel habe ich mir vor rund zehn Monaten gesetzt. Heute ist es endlich so weit. Gemeinsam mit rund 5.000 weiteren Startern habe ich mich um kurz nach 9 Uhr auf den Weg gemacht, um 42,195 Kilometer durch München zu laufen. Wahnsinn!

Rund drei Stunden zuvor hatte mein Wecker geklingelt. Wobei ich die letzte Stunde vor dem Aufstehen ohnehin nicht mehr viel geschlafen habe, nur wach im Bett lag und zunehmend spüren konnte, wie sich eine Mischung aus Aufregung und Vorfreude in mir breitmachte.

Zum Frühstück gibt's ein Müsli, dazu zwei Scheiben Toast mit Marmelade. Noch einmal die Reserven auffüllen, vor dem, was mich da erwartet. Dann geht's auch schon los in Richtung Olympiapark. Die Familie, die extra aus der Heimat angereist ist, und meine Freundin als Unterstützung im Schlepptau.

Raus aus dem Olympiastadion und rein ins Rennen

Schon die U-Bahn ist rappelvoll mit Läufern, im Olympiastadion geht es zu wie auf einem Ameisenhügel. Mehr als 22.000 Teilnehmer haben sich für den München Marathon angemeldet, etwa ein Viertel davon will sich der Königsdisziplin über 42 Kilometer stellen. Und ich bin einer davon. Mit jeder Minute, die es näher in Richtung Start geht, wird die Aufregung weniger und ich kann es kaum erwarten, endlich auf die Strecke zu gehen.

Um 9.15 Uhr folgt der Moment, dem ich so sehr entgegengefiebert habe: Ich starte in meinen ersten Marathon. Eine Viertelstunde nach den Spitzenläufern um die späteren Sieger Catherine Cherotich und Bernard Muia aus Kenia sowie den deutschen Spitzenathleten Sebastian Hendel (Platz fünf), die zu diesem Zeitpunkt bereits die ersten fünf Kilometer hinter sich haben und auf die Leopoldstraße einbiegen. Ich selbst gehe mein Rennen gemächlich an, vorbei an meiner winkenden Familie auf der Tribüne des Olympiastadions und raus aus dem Marathontor.

Ich schalte den Kopf aus. Konzentriere mich nur auf die Musik aus meinem einen Kopfhörer, den ich im Ohr habe, und die Anfeuerungsrufe der Menschen am Streckenrand. Mit bis zu 100.000 Zuschauern hatten die Veranstalter im Vorfeld gerechnet. Wie viele es am Ende waren? Keine Ahnung. Unzählige. Die ersten Kilometer laufen optimal, ich kann mein mir vorgenommenes Tempo halten, ja sogar ein bisschen schneller machen. Meine Beine fühlen sich gut an, und doch schwirrt im Hinterkopf noch immer der Gedanke: Schaffe ich das wirklich?

Bis zur Halbzeit läuft es optimal

Klar, ich habe mich vorbereitet. In den vergangenen 36 Wochen war ich immer mindestens einmal laufen. In der Regel zweimal, manchmal auch dreimal. Allerdings nicht nach einem speziellen Trainingsplan. Und mehr als 31 Kilometer am Stück habe ich auch noch nie absolviert.

Bei Kilometer elf entdecke ich meine Familie am Streckenrand, die mir frenetisch zujubelt. Eine Extra-Motivation neben den vielen Plakaten der Zuschauer mit der Aufschrift "Push here for more power". Bestimmt fünf oder sechs solcher Schilder schlage ich während des Laufs ab. Und hole mir damit jedes Mal zumindest kurzfristig neue Energie, ziehe einen kleinen Sprint an.

Bis Kilometer 21 läuft das Rennen top. "Halbzeit", denke ich mir innerlich, während ich erneut an meinem Anhang vorbeikomme, der mit der U-Bahn durch München tingelt. Doch direkt danach geht es einen längeren Anstieg bergauf – und wie auf einen Schlag schwinden meine Kräfte merklich.

Ich versuche, dagegen zu steuern. Noch ein Gel, dazu Wasser, Sportgetränke, Energieriegel und Bananen – langsam kann ich sie nicht mehr sehen – an den Verpflegungsständen. Ich kämpfe, versuche, die mir von meiner Laufuhr angezeigten Kilometerzeiten weiter zu halten. Neun Kilometer geht das so.

Auf den Tiefpunkt folgt das "Runner's High"

In Berg am Laim legt sich plötzlich ein Schalter in mir um. Ist das dieses "Runner's High", das "Läuferhoch", von dem man immer wieder hört und liest? Auf einmal habe ich wieder neue Kräfte, Zuversicht und die absolute Gewissheit: "Ich werde diesen Marathon, meinen allerersten, finishen!"

Weiter geht's, vorbei am Deutschen Museum, über den Viktualienmarkt und den Marienplatz. Immer wieder macht sich dabei ein Grinsen auf meinem Gesicht breit.

Kurz darauf gibt es auf der Residenzstraße ein echtes Schmankerl. Sechs Kilometer vor dem Ziel wird Bier gereicht. Alkoholfreies versteht sich. Eigentlich trinke ich den goldgelben Gerstensaft gar nicht so gerne – auch wenn man das in Bayern nur schwer zugeben kann. Ein Spezi wäre mir dann doch lieber. Doch zur Feier des Tages greife ich zu. Außerdem ist alkoholfreies Bier ja isotonisch, und das kann ich jetzt gut gebrauchen.

Mit Tränen in den Augen ins Ziel

Die letzten fünf Kilometer genieße ich einfach nur noch. Schwer vorstellbar für alle, die noch nie einen Marathon gelaufen sind. Immer wieder durfte ich mir im Vorfeld Fragen wie "Warum tut man sich so etwas an?" oder "Wie kommt man auf so eine Idee?" anhören. Auch ich selbst habe mich vor dem Lauf gefragt, wann mir wohl genau diese Fragen in den Kopf schießen werden. Die Antwort: zu keinem Zeitpunkt.

"Weiter so. Die größte Scheiße habt ihr hinter euch", brüllt ein Zuschauer bei Kilometer 38. Recht hat er, denke ich mir und muss lächeln. "Auf geht's", ruft eine Frau in einem Café in meine Richtung. Ich balle die Faust. Meine Freundin schreibt mir, dass sie und meine Familie im Olympiastadion sind und auf Höhe der Ziellinie sitzen. Ich schicke eine Sprachnachricht zurück: "Ich kann das Stadion schon sehen."

Als ich schließlich durchs Marathontor einlaufe, schießen mir Tränen der Freude in die Augen. Mit ausgebreiteten Armen renne ich unter frenetischem Jubel der Zuschauer nach 4:14:19 Stunden ins Ziel. Allerdings gilt der Applaus nicht mir, sondern dem direkt hinter mir kommendem Sieger des Halbmarathons. Aber sei's drum. Ich bin nun ein Marathoni! Glücksgefühle durchströmen meinen Körper, mit der Medaille um den Hals jubele ich in Richtung meiner Familie auf der Tribüne.

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Freund und Leid liegen so nahe beieinander

Getrübt wird die Freude später durch die Meldung, dass ein 24-Jähriger während des Marathons zusammengebrochen und verstorben ist. Auf der Strecke habe ich von dem tragischen Zwischenfall nichts mitbekommen. Der Gestorbene war fünf Jahre jünger als ich, wollte wie alle Teilnehmer nur Spaß haben, seine Leidenschaft für den Laufsport ausleben. "Scheiße", denke ich mir. Theoretisch hätte das jeder von den Startern sein können, auch ich. Doch keiner hätte es sein sollen.

Freude und Leid liegen oftmals so nahe beieinander. Den Hinterbliebenen des Verstorbenen wünsche ich von Herzen viel Kraft. Der Vorfall stimmt nachdenklich. Und doch steht für mich fest: Der München-Marathon 2023 wird nicht mein letzter Marathon gewesen sein. Ich will mehr, im kommenden Jahr dann auch mit richtiger Vorbereitung und Trainingsplan. Das Gefühl, wenn aus der Qual die pure Freude wird – es ist einfach mit nichts zu vergleichen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Erfahrungen
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