t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeRegionalMünchen

Münchner Missbrauchsgutachten: Experte über Marx – "Rumgeeiere ist typisch"


Missbrauchsgutachten
Experte über Marx: "Dieses Rumgeeiere ist typisch"

  • Philip Buchen
InterviewVon Philip Buchen

27.01.2022Lesedauer: 4 Min.
Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Kardinal Reinhard Marx (Archivfoto): Seit Bekanntwerden des Münchner Missbrauchsgutachtens steht er unter großem Druck.Vergrößern des Bildes
Kardinal Reinhard Marx (Archivfoto): Seit Bekanntwerden des Münchner Missbrauchsgutachtens steht er unter großem Druck. (Quelle: Neundorf/Kirchner-Media/dpa-bilder)

Der Münchner Kardinal Marx gibt nach dem Gutachten zum Missbrauch in seinem Bistum kein gutes Bild ab. Sein Verhalten steht stellvertretend für den Zustand der Kirche, findet ein Experte.

Erstmals hat sich Erzbischof Kardinal Marx am Donnerstag zum Münchner Missbrauchsgutachten geäußert, das ihn und seine Vorgänger schwer belastet. Das vom Erzbistum selbst in Auftrag gegebene Gutachten wirft den früheren Münchner Bischöfen Friedrich Wetter, Joseph Ratzinger – der spätere Papst Benedikt XVI. – und eben auch dem aktuellen Münchner Erzbischof Reinhard Marx Fehlverhalten vor.

Fälle von sexuellem Missbrauch seien in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt worden, von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern ist die Rede. Ein hohes Dunkelfeld an Opfern kirchlichen Missbrauchs gilt als wahrscheinlich. Ein erschütterndes Gutachten – aber mit welchen Folgen?

Der Journalist Matthias Drobinski ist Reporter beim christlichen Magazin "Publik-Forum", er hat unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" die Aufarbeitung der Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche jahrelang begleitet. Er hat auch die Pressekonferenz des Erzbistums am Donnerstagvormittag verfolgt und mit t-online darüber gesprochen.

t-online: Sie haben jahrelang über den Missbrauch in der katholischen Kirche berichtet, mit vielen Betroffenen gesprochen. Nun hat sich Kardinal Marx erstmals ausführlich zum Münchner Missbrauchsgutachten geäußert. Mit welchem Gefühl gehen Sie aus der Pressekonferenz?

Matthias Drobinski: Mit einem merkwürdig gemischten Gefühl. Auf der einen Seite hat Kardinal Marx das Notwendige gesagt: Er hat Reue bekundet – anders als Benedikt XVI. etwa, der eine Verteidigungsschrift geschrieben hat. Trotzdem merkt man natürlich, wie weit der Weg zur wirklichen Aufklärung immer noch ist. Das hat mich bedrückt. Seine Rolle im Jahr 2010, als er den amtierenden Papst Benedikt geschützt hatte, hat er gar nicht thematisiert. Kardinal Marx hat heute ernstgemeinte Reue gezeigt, aber er steckt weiter in einer babylonischen Gefangenschaft in dem System Kirche.

Marx hat gesagt, er sei "erneut erschrocken und erschüttert". Er wolle nach dem Münchner Missbrauchsgutachten Verantwortung übernehmen, gleichzeitig will Marx dem Papst nicht wieder seinen Rücktritt anbieten. Warum eigentlich nicht?

Aus Gesprächen mit ihm weiß ich, dass er die Berichte über die Missbrauchsfälle ernst nimmt. Ich habe Marx über die Jahre immer wieder zu Interviews getroffen. Da merkt man, dass es bei ihm einen Lernprozess gibt. Auch sein Rücktrittsangebot im letzten Jahr hatte er auch ernst gemeint. Man merkt, dass er zweifelt, ob diese Kirche noch so reformierbar ist, wie er sich das vorstellt.

Ich glaube, er denkt, dass ein zweites Rücktrittsgesuch einfach nicht gehen würde. Der Papst hat ihm gesagt: Bleib auf deinem Posten. Dafür ist Marx doch Kleriker und Diener der Kirche genug, dass er das auch akzeptiert. Diese Spannung ist bei Marx auch das Besondere: Anders als viele andere hat er seinen Rücktritt angeboten – der Kölner Kardinal Woelki scheint ja alles zu tun, um genau einen solchen Rücktritt zu verhindern. Marx muss schlussendlich den Eindruck gewonnen haben: So was kann ich kein zweites Mal tun.

Die einzige wirkliche Konsequenz der heutigen Pressekonferenz: Der Prälat des Münchner Erzbistums, Lorenz Wolf, lässt seine Ämter ruhen. Welche Bedeutung hat Wolf im Münchner Missbrauchsgutachten und für die Kirche allgemein?

Wolf ist eine wichtige Persönlichkeit. Als Prälat ist er der oberste Kirchenrechtler des Erzbistums und auch Vertreter des katholischen Büros: Er ist sozusagen das Gegenüber der Staatsregierung, des politischen Münchens. Er wurde in dem Gutachten klar belastet, er hat auch die Strategie zur Verteidigung Benedikts mitentworfen.

Wolf hat hier keine gute Rolle gespielt. Er soll jetzt noch eine Stellungnahme abgeben dürfen. Ich glaube aber, dass Wolf überhaupt nicht mehr zu halten ist. Wie soll er glaubwürdig eine Staatsregierung an ihre Moral erinnern können?

Die Rolle des emeritierten Papstes Benedikt XVI. wollte Marx nicht bewerten, das Münchner Missbrauchsgutachten sei kein Urteil über die Lebensleistung Benedikts. Wie steht es um das Verhältnis der beiden?

Das ist tatsächlich eine der spannendsten Fragen. Ich habe Reinhard Marx als jungen aufstrebenden Kirchenmann auf dem Weg zum Bischofsamt in Trier kennengelernt. Damals passte kein Blatt Papier zwischen ihn und Josef Ratzinger und später auch Papst Benedikt. Er war jemand, der immer sehr nah an diesem konservativen Papst war. Ihm verdankt er auch, dass er nach München befördert und zum Kardinal erhoben wurde.

Marx sieht Benedikt mittlerweile kritisch. Da hat sicherlich auch der Wechsel im Papstamt hin zu Franziskus eine Rolle gespielt. Marx sieht mittlerweile sehr, sehr deutlich, dass die katholische Kirche – wenn sie wirklich überleben will – nicht so bleiben kann, wie sie ist. Gleichzeitig scheut er den Bruch, das einfach offen zu sagen. Dieses Rumgeeiere, ob Papst Benedikt jetzt die Unwahrheit gesagt hat, das ist typisch für Marx. Er hat sich auch heute nicht getraut zu sagen, dass er das Missbrauchsgutachten anders versteht als Benedikt.

Mehr "hinschauen und hinhören" will Marx nun bei der weiteren Aufarbeitung. Er hat auch seine Forderung nach einer "Kirche für die Menschen" erneuert, ein Bayern ohne Christentum sei nicht vorstellbar. Ist das so? Kann das Erzbistum das Vertrauen in die Kirche retten?

Das wäre vermessen. Vertrauen ist schnell verloren und sehr schwer wiederzugewinnen. Wenn die Kirche wirklich Vertrauen zurückgewinnen will, hat sie einen sehr langen und schmerzhaften Weg vor sich. Die Leute werden sehr genau sehen wollen, wo die Aussagen der Kirchenvertreter mit ihren Taten übereinstimmen.

Auch der Umgang mit den Betroffenen wird dann noch mal Thema werden. Wie wird die Kirche mit den Wünschen von Gläubigen umgehen? Mit Wünschen nach der Beteiligung von Frauen? Wie wird die Kirche künftig über Sexualität reden? Auch über die Frage, was eigentlich zum Priestertum gehört? Wenn diese Fragen nicht gut beantwortet werden, dann kommt das Vertrauen nicht wieder. Eine Pressekonferenz macht da nichts.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Matthias Drobrinski
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website