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Flüchtlinge & Migration: Grenzkontrollen bei Tschechien aus Sicht der Polizei


Mit der Bundespolizei an der Grenze
"Da habe ich kurz mit meinem Leben abgeschlossen"

Von Daniel Salg

Aktualisiert am 01.11.2023Lesedauer: 7 Min.
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Der Autofahrer diskutiert mit Thommy Hirschböck und Laura Eller: Dass er einen folgenschweren Unfall auf der Autobahn verursachen hätte können, versteht er wohl nicht.Vergrößern des Bildes
Ein Autofahrer diskutiert mit den Bundespolizisten Thommy Hirschböck und Laura Eller: Der Mann verursachte beinahe einen Unfall – indem er rückwärts über die Autobahn fuhr. (Quelle: Daniel Salg/t-online)

Grenzkontrollen, Flüchtlinge und hochkriminelle Schleuser – das ist noch längst nicht alles, was die Bundespolizei an der Grenze zu Tschechien erlebt.

Sie 23 – er 44. Sie seit einem Jahr auf der Dienstelle – er seit 13 Jahren. Klingt nach Gegensätzen. Aber die Wahrheit ist eine andere: Laura Eller und Thommy Hirschböck verbindet nämlich sowohl ihr Job als auch die Art, wie sie diesen leben. Und heute machen sie das, was sie am liebsten tun: sie sind als Schleierfahnder, also in zivil ohne Uniform, unterwegs. Ihr Revier erstreckt sich rund um Selb – am nordöstlichen Zipfel Bayerns – entlang der Grenze zu Tschechien. t-online begleitet sie einen Tag lang.

Man trifft sich morgens in der Bundespolizeiinspektion zur Vorbesprechung. Laura Eller trägt eine Wanderhose und Sneaker, Thommy Hirschböck eine blaue Jeans, dazu Wanderschuhe. Man könnte meinen, die beiden seien wirklich gerade auf dem Sprung zu einem Wanderausflug. Die Gegend um Selb – am Rande des Fichtelgebirges – würde sich dazu anbieten. Nur die schusssicheren Westen am Oberkörper und die Dienstwaffen am Gürtel passen nicht ins Bild.


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"Das Schleusen unter menschenunwürdigen Bedingungen müssen wir verhindern."


Bundespolizist Thommy Hischböck


Auch die Gesprächsthemen der beiden sind vermutlich andere als bei den Durchschnittswanderern. Ein Thema: Die Grenzkontrollen, die auf Geheiß der Innenministerin Nancy Faeser vor kurzem wiedereingeführt wurden. Wie sie das finden? "Das Schleusen unter menschenunwürdigen Bedingungen müssen wir verhindern", sagt Hirschböck. Und dabei können die Grenzkontrollen helfen, da sind sie sich einig.

Im silbernen Opel geht es zur Grenze

Genug geredet: In einem silbernen Opel-Kombi – von außen nicht als Polizeiauto erkennbar – geht es von Selb aus Richtung Süden. Der t-online Reporter sitzt auf der Rückbank. Ihre erste Station heute ist die B303. Die Bundesstraße verbindet das deutsche Schirnding mit Eger im Nachbarland. Zwischen den beiden Städten liegt nun eine Kontrollstelle. Die ist wie viele andere entlang der Grenze nach der Anordnung der Innenministerin am 10. Oktober errichtet worden. Dort kontrolliert die Bundespolizei jetzt Tag und Nacht.

Unterstützung durch zusätzliche Einsatzkräfte habe ihre Inspektion für die Kontrollen bislang nicht bekommen. Für Hirschböck, Eller und ihre Kollegen bedeutet das: Zusatzschichten schieben. Rund 20 Minuten nach Abfahrt treffen Eller und Hirschböck am Kontrollpunkt ein. Zwei Polizisten werfen hier rund um die Uhr einen Blick in jedes Fahrzeug und entscheiden dann, wer genauer kontrolliert wird und wer weiterfahren darf. Für die Kontrolle selbst sind rund um die Uhr weitere Kräfte vor Ort.

"Wie die Fische im Aquarium"

Auch wenn es heute ruhig zugeht an der Kontrollstelle, sind die Zustände an den Grenzen zum Teil dramatisch. Nicht zuletzt, weil die Schleuser immer brutaler werden. Ein Kollege der beiden erzählt von einem Fall aus einer anderen Gegend, wo ein Schleuser zig Flüchtlinge auf einer Ladefläche nach Deutschland gebracht habe.

Nur durch einen kleinen Luftschlitz sei auf die Ladefläche frische Luft gekommen. Die Flüchtlinge haben sich deshalb abgewechselt. Immer einer habe während der Fahrt für ein paar Sekunden vor dem Schlitz Luft schnappen dürfen, dann war der nächste dran. "Wie die Fische im Aquarium", bringt es der Kollege auf den Punkt.

Um Schleuser effektiv bekämpfen zu können, sei es wichtig, die gesamte Grenze im Blick zu haben. Das habe das Innenministerium auch explizit so angeordnet, sagen sie in Selb. Der Grund liegt auf der Hand: Die Schleuser seien gut vernetzt und wüssten bereits, wo kontrolliert werde. Sie suchen sich deshalb andere Wege. Die können auch mitten über das Feld oder durch den Wald führen, so Thommy Hirschböck und Laura Eller.

Über Hügel, Feldwege und zahlreiche Kurven

Heute wollen sie deshalb bewusst die grüne Grenze abfahren. Ihr Weg führt sie über Hügel, Feldwege und zahlreiche Kurven zurück Richtung Norden. Thommy Hirschböck steuert den silbernen Opel vorbei an einsamen Bauernhöfen in entlegenen Mittelgebirgstälern. Wieder einmal könnte die Situation an einen Wanderausflug erinnern. Für die Suche nach Geflüchteten oder Schleusern haben die Polizisten sogar ein Fernglas im Gepäck. Auch Wärmebildkameras liegen in der Inspektion bereit.

Was auf den ersten Blick kurios wirkt, gehört mittlerweile für die beiden zum Alltag. Tatsächlich habe die Bundespolizei schon mitten im Wald Flüchtlinge aufgespürt. Dennoch sei es hier an der Grenze zu Tschechien deutlich ruhiger als an der Grenze zur Österreich. Auch diesmal fehlt von Flüchtlingen jede Spur. Die Fahrt geht entlang der Grenze weiter.

Wie viele Kilometer sie pro Schleierfahnder-Schicht fahren? "Kommt immer drauf an, wann wir einen Aufgriff haben", sagt Eller lachend. Zurzeit greifen sie mehrmals wöchentlich illegal Eingereiste auf. Erst vergangene Woche setzte ein Schleuser in Grenznähe 33 Menschen ab. Die Kollegen der beiden konnten ihn festnehmen.

Hauptsächlich geht es um die Schleuser

Am wichtigsten sei ihnen, die Hinterleute – also die Schleuser – zu identifizieren und zu fassen. Im Laufe des Tages fällt immer wieder das Wort "Garantie-Schleusung". Gemeint ist damit, dass der Fahrer von den wirklichen Hinterleuten – die irgendwo weit weg im Ausland sitzen – erst bezahlt werde, sobald er die Flüchtlinge in Deutschland abgesetzt habe.


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"Da sieht man, was für eine kriminelle Energie dahinter steckt."


Bundespolizistin Laura Eller


Die Folge sei, dass die Fahrer um jeden Preis versuchen würden, nach Deutschland zu kommen. Eine Teufelsspirale. Dadurch würden die Methoden der Fahrer immer brutaler, die Fahrtbedingungen seien teils lebensbedrohlich. "Da sieht man einmal, was für eine kriminelle Energie dahinter steckt. Wenn man Menschenleben aufs Spiel setzt, um an Geld zu kommen", gibt sich Laura Eller bestürzt.

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Und plötzlich legt einer den Rückwärtsgang ein – mitten auf der Autobahn

Es bleibt dabei: bislang keine besonderen Vorkommnisse, fast vier Stunden sind schon vergangen. Also geht es weiter auf die Autobahn, auch die A93 und die A9 rund um Selb beziehungsweise Hof gehören zu ihrem Zuständigkeitsbereich. In der vorletzten Nachtschicht entdeckten sie etwa auf der A9 in einem Fernbus sieben Syrer. Die seien über Lampedusa nach Europa gekommen und im Bus auf dem Weg nach Berlin gewesen – alle ohne Pass und ohne Visum.

Und so fahren sie auch heute wieder über die Autobahnen und versuchen dabei, einen Blick in die Autos zu erhaschen. Zumindest in jene, die interessant wirken. Beispielsweise achten sie darauf, ob die Scheiben abgedunkelt und die Ladeflächen von außen einsehbar sind. Auch ein älterer blauer Golf mit tschechischer Zulassung scheint ins Raster zu fallen.

Das Duo fordert den Fahrer mittels Anhaltesignal in der Heckscheibe ihres Opels zum Folgen auf und lotst ihn auf einen kleinen Parkstreifen neben der Autobahnabfahrt Hof-Ost. Das Fahrzeug ist voll besetzt, es handelt sich offenbar um Berufspendler aus Tschechien. Als die beiden gerade die Papiere der Reisenden überprüfen, hupt es auf der Autobahn – gleich mehrmals.

"Da habe ich schon kurz mit meinem Leben abgeschlossen"

Beide drehen sich um und der Golf und seine Insassen geraten vorübergehend in Vergessenheit. Auf der Autobahn fährt gerade ein grüner Kleinwagen auf der rechten Spur – im Rückwärtsgang. Ein Lastwagenfahrer kann gerade so noch einen Zusammenstoß verhindern, indem er auf die linke Spur ausweicht.

Einige hundert Meter geht das so weiter, ehe der Mann die Ausfahrt erreicht hat, über die er die Autobahn offenbar verlassen will. Doch weit kommt er nicht, denn da stehen ja die beiden Polizisten. Laura Eller rennt Richtung Ausfahrt und will den Mann mit seinem grünen Kleinwagen ebenfalls auf die Parkspur winken. Doch der sieht sie nicht (oder will sie nicht sehen) und fährt ungebremst auf sie zu. "Da habe ich schon kurz mit meinem Leben abgeschlossen", sagt sie später über die brenzlige Situation.

Im letzten Moment hält der Mann – ein nervös wirkender Tscheche – an. Er versteht die ganze Aufregung nicht. Er habe eben nur die Ausfahrt übersehen und sei zurückgefahren, weil er dringend zur Arbeit müsse. Das erzählt er, als sei es das normalste auf der Welt. Die Beamten sehen das anders. Für den Mann und seinen Pkw ist auf der Parkspur neben der Autobahn erst einmal Schluss.

Eine halbe Stunde später ergibt alles Sinn

Gefallen tut dem Tschechen das zwar nicht, er schimpft kräftig, aber die beiden Polizisten lassen ihm keine andere Wahl. "Du bist doch auf der Autobahn rückwärts gefahren, dafür kann ich doch jetzt nichts", sagt Hirschböck zu dem Autofahrer. Die Insassen im Golf dürfen derweil weiterfahren.

Eine halbe Stunde später ergibt das Verhalten des Rückwärtsfahrers dank zweier durchgeführter Schnelltests wesentlich mehr Sinn. Der Mann war wohl unter dem Einfluss von Amphetamin unterwegs und ist womöglich längst nicht mehr fahrtauglich gewesen. Zumindest sagen das ein Drogen-Wischtest und ein Pinkeltest.

Damit ist der Mann ein Fall für die Landespolizei, die ist nämlich für Verkehrsdelikte zuständig. Die holte den Tschechen schnurstracks auf der Autobahn ab und brachte ihn zur Blutentnahme in eine Klinik. Sollte der Bluttest das Ergebnis der Schnelltests bestätigten, erwartet ihn ein Verfahren.

Zurück auf der Autobahn: "Straftat ist Straftat"

Laura Eller und Thommy Hirschböck sind damit hier fertig. Ob es sie wurmt, dass sie keinen Schleuser festgenommen, sondern etwas anderes aufgedeckt haben? "Straftat ist Straftat", sagt Hirschböck und schiebt nach: "Da mussten wir tätig werden. Wenn der Lastwagenfahrer nicht so schnell bemerkt hätte, dass der rückwärts fährt, wäre der Lkw dem voll hinten drauf gekracht."

Für die Polizisten beginnt also wieder die berühmte Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Geflüchtete könnten sich ja quasi in jedem Fahrzeug befinden. Selbst hochwertige Autos oder ein Mietwagen kommen laut Hirschböck infrage. Letztens haben sie sogar den Hinweis erhalten, dass Flüchtlinge auch in ausländischen Rettungsfahrzeugen nach Deutschland geschmuggelt werden. "Da denkst du, der bringt einen zur Operation und dann hat er 30 Syrer dabei", erklärt Hirschböck.

Keine Flüchtlinge – dafür aber eine andere Überraschung im Kofferraum

Gerade holen die beiden einen weißen SUV mit Berliner Kennzeichen auf der A93 ein. Diesmal ein Treffer? Jedenfalls sind die beiden Fahrzeuginsassen die nächsten Kandidaten, die sich Eller und Hirschböck genauer anschauen. Der Autobahnparkplatz einige hundert Meter weiter ist dafür der Ort der Wahl.

Doch statt Flüchtlingen finden sie bei der Kontrolle des Pkws Marihuana. Rund 2,9 Gramm, in Alufolie verpackt, haben die Männer im Reisegepäck im Kofferraum versteckt. Auch hier kommen wieder die Wisch- und Pinkeltests zum Einsatz. Neben Marihuana schlagen sie beim Fahrer auch auf Amphetamin und Kokain an.

Als die beiden dem Betroffenen das Ergebnis präsentieren, fragt der fassungslos: "Wieso? Das überrascht mich jetzt, das ist schon länger her." Ein paar Minuten später wird er genauer und gibt an, dass der letzte Konsum schon sechs Tage zurückliege.

Laura Eller und Thommy Hirschböck überrascht hingegen hier an der Grenze zu Tschechien nichts mehr. Als die Landespolizei die beiden Männer abholt, geht ihre Schicht zu Ende – ohne Schleuser und ohne Flüchtlinge. Über die Menschenschmuggler oder Drogenkuriere, die heute vielleicht unbemerkt an ihnen vorbeigefahren sind, wollen sie gar nicht erst nachdenken. Mehr als kontrollieren können sie eben nicht. Ob sie also dennoch mit dem Tag zufrieden sind? Jetzt ist es Eller, die sagt: "Straftat ist Straftat."

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
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