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Nürnberg: Feuerwehrmann Nils Thal kämpft in der Ukraine gegen Flammen


"Keine halbe Minute ohne Angriff"
Nürnberger kämpft gegen die Flammen in der Ukraine


Aktualisiert am 20.04.2024Lesedauer: 5 Min.
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Der Nürnberger Feuerwehrmann Nils Thal in der Ukraine: Vier mal war er dort schon nach Ausbruch des Kriegs im Einsatz.Vergrößern des Bildes
Der Nürnberger Feuerwehrmann Nils Thal in der Ukraine: Viermal war er dort seit Ausbruch des Kriegs bereits im Einsatz. (Quelle: Privat)

Ein Nürnberger Feuerwehrmann hilft in der Ukraine und riskiert dabei sein Leben. Hier berichtet er über seine Erlebnisse.

Vor mehr als zwei Jahren hat Russland die Ukraine überfallen. Seitdem tobt ein Krieg mitten in Europa. Auch Nürnbergs Partnerstadt Charkiw wurde gleich zu Kriegsbeginn angegriffen. Die Millionenstadt war zwischenzeitlich sogar von Russland belagert.

Ein Nürnberger Feuerwehrmann hat das hautnah miterlebt. Viermal schon ist er in die Ukraine gefahren, um die Feuerwehr vor der Front ehrenamtlich zu unterstützen und zu helfen, wo immer er gebraucht wird. Gerade ist er wieder in Charkiw – die Angriffe auf die Stadt nahmen zuletzt wieder zu, sagt er. Im Interview mit t-online spricht Nils Thal darüber, was der Krieg für ihn bedeutet.

t-online: Herr Thal, Sie sind seit Ausbruch des Kriegs immer wieder in die Ukraine gereist, um zu helfen. Wie fühlt es sich an, dorthin zu fahren?

Nils Thal: Ich war im Frühjahr 2022 das erste Mal da. Damals hatte ich das Gefühl, dass sich mir die Nackenhaare aufstellen, als ich die Grenze überquerte. Das ist jetzt anders, den Krieg bin ich mittlerweile gewohnt. Inzwischen neige ich dazu, mich auf die Arbeit und die Aufgaben zu konzentrieren, die in der Ukraine vor mir liegen.

Nils Thal in der Ukraine.
Nils Thal mit Schutzausrüstigung in der Ukraine. (Quelle: Privat)

Zur Person

Nils Thal arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Feuerwehreinsatzbeamter bei der Stadt Nürnberg. Obwohl er bis zum Ausbruch des Kriegs keine Verbindungen in die Ukraine hatte, ist er kurz darauf in den Osten des Landes gereist, um zu helfen. Der 37-Jährige sagt, er habe den völkerrechtswidrigen Einmarsch der russischen Föderation als einen Krieg gegen die Weltordnung wahrgenommen und das Leid gesehen. Deshalb wollte dort helfen, wo er am meisten bewirken kann – in den umkämpften Städten nahe der Front. Um als ehrenamtlicher Feuerwehrmann in der Ukraine zu helfen und bei Hilfsprojekten zu assistieren, nimmt er Urlaub und baut Überstunden ab. Auch Sabbaticals hat er schon eingelegt.

Würden Sie sagen, dass Sie ein Abenteurer sind?

Privat habe ich lange geboxt und Wettkämpfe in verschiedenen Kampfsportarten in unterschiedlichen Ländern bestritten. Ich habe dadurch über die Jahre ganz rational erfahren, wo die Leistungsgrenzen meines Körpers liegen. Dazu kommt, dass ich auf langen Rucksackreisen durch Afrika, Indien oder Asien viel erlebt habe. Ob mich das zu einem Abenteurer macht, kann ich nicht sagen. Aber diese Erfahrungen helfen mir im Kriegsgebiet. Dort ist es wichtig, rational und pragmatisch zu handeln.


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In Kupjansk und Bachmut war die Hölle los – kaum eine halbe Minute ohne Angriff.


Nils Thal – Nürnberger Feuerwehrmann


Zusammengenommen waren Sie schon fast ein Jahr in der Ukraine im Einsatz. Was sind dort ihre typischen Aufgaben?

Das hängt von Einsatz zu Einsatz ab. In der Anfangsphase des Krieges unterstützte ich ehrenamtlich die Feuerwehr in Charkiw. Es ging vor allem darum, die Auswirkungen der nächtlichen Raketenangriffe abzumildern. Ein Jahr später war ich in Cherson. Nachdem der Kachowka-Staudamm zerstört worden war, war vieles überschwemmt. Da habe ich bei den Evakuierungsmaßnahmen geholfen. Im letzten Jahr war ich aber auch in den Regionen um Kupjansk und Bachmut im Einsatz. Dort war buchstäblich die Hölle los. In der Gegend um Bachmut gab es kaum eine halbe Minute der Ruhe. Den ganzen Tag über Detonationen, Artillerie und vielfach täglich Luftalarm. Dort habe ich zusammen mit der Feuerwehr die Bevölkerung mit Wasser versorgt. Zudem assistiere ich bei unterschiedlichen Hilfsprojekten, bei denen es darum geht, die kritische Infrastruktur in Frontnähe aufrechtzuerhalten.

Mittlerweile verbinden Sie mit dem Krieg viele solcher Erlebnisse. Welcher Einsatz war Ihr schlimmster?

Eigentlich will ich das gar nicht bewerten. Damit man aber von außen verstehen kann, wie schwierig die Umstände manchmal sind, fällt mir ein Feuerwehreinsatz in der Region Charkiw ein. Dort war ich im Sommer 2023, als ein großes Lager auf einem landwirtschaftlichen Betriebsgelände in Flammen stand. Als wir aus dem Löschfahrzeug ausstiegen, mussten wir aufpassen, dass wir beim Verlegen der Feuerwehrschläuche nicht den direkten Weg durch die Büsche nahmen. Wir vermuteten dort Antipersonenminen und Sprengfallen von der russischen Armee.

Sind unter solchen Umständen Löscharbeiten überhaupt möglich?

Tatsächlich haben wir deshalb im Zickzack-Kurs gearbeitet. Als wir dann begannen zu löschen, war uns schnell klar, dass es schwierig werden würde, das Feuer unter Kontrolle zu bringen – es fehlte uns an Ausrüstung für Netzwasser. Der Einsatz zog sich sehr lange hin. Nach einiger Zeit hörten wir Artillerieeinschläge ganz in der Nähe. Wir mussten daraufhin Schutz suchen und warten, bis es vorbei war. Für mich war das eine sehr unangenehme Erfahrung. Weil wir nicht über die geeigneten technischen Möglichkeiten verfügten, stieg für uns die Gefahr. Leider sind solche Situationen für viele Ukrainer mit ganz unterschiedlichen Berufen Alltag. Die Frontlinie zieht sich schließlich mit mehr als tausend Kilometern Länge durch das Land.

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Der Kreml in Moskau (Archivbild). (Quelle: IMAGO/Petrov Sergey/imago)

Im Visier des Kreml

Nils Thal sagt, viele Menschen in der Ukraine und in der EU schätzten sein ehrenamtliches Engagement. Der Kreml nehme ihn aber offenbar als Gegner wahr. Inzwischen findet sich sein Name in Telegram-Kanälen, in denen Menschen aufgelistet werden, die die russische Regierung als Gegner betrachtet. Zudem werden in russischen Regierungskanälen Falschinformationen über ihn verbreitet.

Was treibt Sie an, dennoch weiterzumachen – auch unter Lebensgefahr?

Nun, ich sehe, dass die Russische Föderation auf historische Karten verweist, militärisch nach Westen expandiert und keine völkerrechtlich anerkannten Grenzen zu respektieren scheint. Wenn ich dann das durch diese Invasion ausgelöste menschliche Leid vor und hinter der Frontlinie betrachte, wird mir schnell klar, dass die Ukraine viel wirksame Hilfe benötigt. Gleichzeitig ist die internationale Hilfe aber insgesamt unzureichend und stockt. Gerade jetzt, wo die Lage kritischer wird, ist es wichtig, dass ich weitermache. Meine Hilfe wird gebraucht, ich sollte sie nicht verzögern, unterbrechen oder gar abbrechen. Ich sehe keine andere Möglichkeit, als vor Ort weiterzumachen.


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Mein Privatleben ist ziemlich geschrumpft


Nils Thal – Nürnberger Feuerwehrmann


Was haben die Einsätze persönlich mit Ihnen gemacht?

In den vergangenen zwei Jahren ist mein Privatleben ziemlich geschrumpft. Mein Tag beginnt inzwischen damit, dass ich mich über die neuesten Entwicklungen in den Gebieten vor der Front informiere. Ich verfolge die Nachrichtenticker, lese täglich Prognosen verschiedener Fachinstitute. Vor Ort in der Ukraine assistiere ich dann bei unterschiedlichen Hilfsprojekten. Dazwischen helfe ich bei Feuerwehreinsätzen und betreibe etwas Social Media. Wenn ich gerade nicht in der Ukraine bin, kommt mein Feuerwehrdienst in Nürnberg noch hinzu.

Apropos Feuerwehrdienst: Unterstützen Ihre Kollegen und die Stadt Nürnberg Ihr Engagement?

Viele meiner Kollegen und Freunde von der Feuerwehr, aus dem Gesundheitssystem und auch aus anderen Fachbereichen der Stadt unterstützen mich regelmäßig mit ihrem Fachwissen. Gerade arbeite ich an einem Projekt für die Krankenhäuser in den Regionen Charkiw und Donezk. Da fließt das Wissen meiner Kollegen aus Nürnberg direkt mit ein. Dafür bin ich sehr dankbar. Wenn es dann aber zum Beispiel darum geht, kurzfristig unbezahlten Urlaub zu bekommen, um solche wichtigen Projekte fortzusetzen, dann verstecken sich die Verantwortlichen der Stadt Nürnberg hinter dem Verwaltungsrecht. Das führt dazu, dass meine Hilfe und internationale Hilfe, an der ich beteiligt bin, erschwert wird und sich verzögert.

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Krieg war kaum vorstellbar für mich


Nils Thal – Nürnberger Feuerwehrmann


Wie sehen Sie die deutsche Debatte um die Unterstützung der Ukraine?

Ich habe oft den Eindruck, dass sich einige in Deutschland nicht vorstellen können, wie der Krieg tatsächlich aussieht und wie es wäre, ihm ausgesetzt zu sein. Dabei könnte man sich ganz einfach einen Eindruck davon verschaffen – wenn man sich für eineinhalb Tage ins Auto setzen und nach Osten fahren würde. Dort kann man Luftabwehrfeuer, Raketeneinschläge und Artilleriedonner hören. Genauso findet man dort die Ruinen von Kulturstätten, ausgebrannte Wohnungen und unterversorgte Krankenhäuser. Besser ist aber noch, wenn man mit den Menschen in der Ukraine ins Gespräch kommt. Die können berichten, wie viele von ihnen in ihrem Freundes- oder Familienkreis um Tote trauern oder wie es sich angefühlt hat, eine Zeit lang unter der russischen Besatzung zu leben.

Aber das konnten Sie sich vor 2022 sicher auch nicht vorstellen, oder?

Vor meiner ersten Reise in die Ukraine kannte ich Krieg hauptsächlich aus den Medien. Für mich war Krieg theoretisch. Rückblickend muss ich sagen, er war kaum vorstellbar für mich.

Wie hat sich Ihre Haltung zum Krieg verändert?

Dieser Krieg hat viele Facetten. Letztlich darf der Fokus nicht verloren gehen. Ich bin mir sicher, dass wir ihn nicht durch verbale Solidaritätsbekundungen und Hilfshäppchen stoppen werden. Wenn ich nach meinen Einsätzen nach Nürnberg zurückkomme, wirkt es auf mich, als würden viele Menschen in einer friedlichen Welt leben. Vielen scheint es nur um ihre persönlichen Herausforderungen oder ihre Hobbys zu gehen. Als wäre nichts geschehen, ein Alltag ohne Zeitenwende, und wenn es um die notwendige Hilfe für die Ukraine geht, wird die Verantwortung auf die Bundesregierung abgeschoben. Aber wir sind ein föderaler Staat und ich denke, man sollte sich nichts vormachen, diese Invasion ist etwas Grausames, Ungerechtes und völlig Falsches – und ich bin der festen Überzeugung, dass sie nicht auf die Ukraine und Georgien beschränkt bleibt.

Herr Thal, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Nils Thal
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