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Niedersachsen: Corona-Krise auf dem Dorf? Das gibt es nicht


Krise auf dem Land
Coronavirus? Darüber lacht man nur in diesem Dorf


Aktualisiert am 11.09.2020Lesedauer: 4 Min.
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Der Marktplatz vor dem Rathaus in Lindern (Oldenburg): Etwa 5.000 Einwohner leben hier.Vergrößern des Bildes
Der Marktplatz vor dem Rathaus in Lindern (Oldenburg): Etwa 5.000 Einwohner leben hier. (Quelle: Werner Otto/Archivbild/imago-images-bilder)

Corona-Krise auf dem Land – das gibt es nicht. Zumindest könnte man den Eindruck gewinnen, wenn man in Lindern, einem kleinen Ort in Niedersachsen, ist. Er steht stellvertretend für viele andere kleine Orte im ganzen Land.

Das Coronavirus hat in den vergangenen Monaten viele Opfer gefordert. Hunderttausende Menschen infizierten sich in Deutschland mit dem Virus, mehr als 9.000 starben infolge einer Covid-19-Erkrankung. Großveranstaltungen wurden der Reihe nach abgesagt, Kinos, Kneipen und Diskotheken blieben geschlossen. Tausende Menschen demonstrieren seither in den Städten gegen die Corona-Maßnahmen. Doch wie sieht es auf den Dörfern in Deutschland aus?

Lindern (Oldenburg) ist ein kleiner Ort mit rund 5.000 Einwohnern in Niedersachsen. Wer hier wohnt, ist meistens auf ein Auto angewiesen. Bars, Diskotheken, Restaurants gibt es kaum. Geändert haben dürfte sich durch die Corona-Krise in dieser Hinsicht deshalb nicht viel in dem kleinen Dorf im Landkreis Cloppenburg, zumindest für die jüngere Generation. Und das hat es offensichtlich auch nicht. t-online war vor Ort.

Beim Besuch eines Supermarktes sieht zunächst alles Corona-konform aus. Die Kunden tragen Masken. Doch auf den zweiten Blick sieht man, dass viele Menschen das Virus eher auf die leichte Schulter nehmen. Sie verquatschen sich an der Kasse, reichen sich die Hand zur Begrüßung, ziehen ihre Maske unters Kinn, damit sie deutlicher miteinander sprechen können. Ermahnt wird deshalb niemand.

Offenbar ist dieses Verhalten in Lindern keine Ausnahme. Auf dem Weg zum Auto fallen gleich zwei Gruppen Jugendlicher auf: eine vor einem angrenzenden Imbiss, die andere auf dem Parkplatz des örtlichen Supermarktes. Das eben gekaufte Bier wird hier geteilt, fünf Leute trinken aus zwei Flaschen. Die andere Gruppe sitzt dicht an dicht um einen Tisch, wartet auf ihre Bestellung. Und auch im Imbiss selbst herrscht wie immer großer Andrang. Vor der Tür möchte niemand warten, die Gäste drängen sich um die Theke. Die Maske bedeckt nur die Unreinheiten am Kinn – mit Mund-Nasen-Bedeckung spricht es sich schließlich schwer.

Auch wenige Kilometer weiter in der Stadt Cloppenburg sieht es ganz ähnlich aus. Viele Gäste halten in den Restaurants die Abstandsregeln nur bedingt ein. Auch die Kontaktdaten werden nicht immer erfasst. Es scheint, als lägen die Zettel nur als Dekoration auf den Tischen aus. Wie so im Ernstfall die Gäste kontaktiert werden sollen, ist ein Rätsel.

Infizierte meist im Alter von 15 bis 34 Jahren

Und trotzdem ist die Zahl der Corona-Erkrankungen im Landkreis Cloppenburg überschaubar. Insgesamt gab es bislang 314 bestätigte Corona-Fälle (Stand: 10. September) unter den 69.358 Einwohnern. Im Alter von 15 bis 34 Jahren sind es 132 bestätigte Fälle, 127 im Alter von 35 bis 59 Jahren. 30-mal waren die Erkrankten zwischen 60 und 79 Jahre alt. Im Alter von null bis 14 Jahren sind es insgesamt nur 17 Infizierte sowie nur sieben bestätigte positive Tests bei über 80-Jährigen. Wie kann das sein, wenn sich kaum jemand an die vorgeschriebenen Hygiene- und Schutzmaßnahmen hält? t-online hat mit einem wenige Orte weiter ansässigen Arzt gesprochen, der anonym bleiben möchte.

Das Alter der im Landkreis Cloppenburg positiv getesteten Personen gebe einen wichtigen Hinweis, sagt er. Dass das Coronavirus vor Jugendlichen und jungen Erwachsenen keinen Halt macht, sei vielen nicht bekannt. Das Problem sei mangelnde Aufklärung auf den Dörfern, glaubt er. Auch in seiner Praxis würden generell nur wenige Menschen einen Corona-Test fordern. Die jüngere Generation komme nicht einmal mit starken Symptomen auf die Idee, an Covid-19 erkrankt zu sein, so der Arzt. Viele Menschen gingen schlichtweg davon aus, sich erkältet zu haben.

Das Problem dabei sei aber, dass das Virus unterschätzt werde. "Die jungen Leute bleiben ja nicht zu Hause, wenn sie krank sind. Die treffen sich trotzdem mit Freunden und besuchen die Familie." Auch ältere Verwandte wie die Großeltern würden damit in Gefahr gebracht. Doch diese Gefahr werde oft aus Unwissenheit einfach ignoriert.

Seit in dem kleinen Örtchen Lindern sämtliche Jugendeinrichtungen schließen mussten, wurden die wochenendlichen Treffen einfach in den eigenen Garten oder die Garage verlegt. Andere Gruppen treffen sich weiterhin auf dem Parkplatz des örtlichen Kiosks oder an der Postfiliale. Kontrolliert werden das in Lindern auch nicht, in vielen angrenzenden Dörfern sei das ähnlich, sagt der Arzt.

Diese These bestätigen auch die gesammelten Eindrücke aus Lindern. Diejenigen, die dort das Wort "Coronavirus" verwenden, tun dies oft in Kombination mit Witzen: "Hast du etwa Corona?", wird gefragt und gelacht, sobald einer hustet. Ob an den Warnungen der Virologen vielleicht etwas dran sein könnte, kümmert hier offenbar nur wenige Menschen – und das obwohl es in Lindern einen der größten Schlachthöfe der Region gibt. Jede Woche werden hier Corona-Tests bei allen Mitarbeitern durchgeführt, um die Sicherheit Tausender zu garantieren. So richtig zu interessieren scheint das aber wohl nur die Betroffenen im Industriegebiet. Doch die kommenden Wochen werden zeigen, wohin diese Leichtsinnigkeit führt – ob das Glück auf Linderns Seite ist oder ob das böse Erwachen in Deutschland erst noch kommt. Denn schließlich dürfte die Situation in vielen ländlichen Regionen ähnlich sein.

Anmerkung: In einer früheren Version des Textes war die Rede davon, dass es in Lindern keine Restaurants gibt. Das ist nicht der Fall. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten ihn zu entschuldigen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen
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