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Surfen in Portugal: Kampf um Europas beste Wellen


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Surfen in Portugal: In Ericeira wird um Europas beste Wellen gekämpft

dpa-tmn, Florian Sanktjohanser

02.01.2014Lesedauer: 7 Min.
Surfsport in Ericeira, Portugal.Vergrößern des BildesEin kleines Stück Paradies, doch die Surfer Ericeiras bangen um die Ruhe ihres Fischerdörfchens. (Quelle: CM de Mafra/dpa-tmn-bilder)
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Zum Surfen ist Portugal eines der beliebtesten Urlaubsländer Europas. Nicht verwunderlich also, das hier das erste europäische Surfreservat liegt, nur 50 Kilometer unterhalb von Lissabon: Das einst so verschlafene Ericeira wurde mit dem Titelgewinn zu einem der Top-Surfspots Europas. Doch die Auszeichnung brachte nicht nur Ruhm - das gelassene, ja fast schon paradiesische Hippie-Örtchen sieht sich konfrontiert mit der Geldmaschinerie der Surfindustrie und des Tourismus. Der Frieden in dem beschaulichen Zentrum der Surfkultur scheint zu wanken. Sehen die Surfspots um Ericeira in unserer Foto-Show.

Europas erstes Surfreservat

Am 30. Juli 2012 kamen die Polizisten mit Gewehren und beendeten den Traum vom einfachen Surferleben unter portugiesischer Sonne. "Sie rissen die Türen und Fenster aus den Holzhütten und hängten ein Schloss an die Tür des Surfcamps", erzählt Tiago Oliveira, der das Camp am Strand von Ribeira d'Ilhas im Jahr 2000 eröffnet hatte. "Nach wenigen Stunden war es in den Fernsehnachrichten." Denn Ribeira d'Ilhas war nicht irgendeines der vielen Surfcamps in Portugal. Es war das Zentrum und die Seele von Europas erstem Surfreservat.

Surfen auf Weltklasse-Wellen in Portugal

Im Oktober 2011 ernannte der Verband Save the Waves Ericeira zum World Surfing Reserve. Die Idee ist, eine Art Welterbe des Surfens zu schaffen. 120 Orte hatten sich beworben, am Ende entschied sich der US-Verband für das Fischerstädtchen 50 Kilometer nördlich von Lissabon. Denn hier drängen sich sieben Weltklasse-Wellen auf vier Kilometern, von Padra Branca bis Sao Lourenço. Die berühmteste ist Ribeira d'Ilhas.

Mit Bulldozer gegen Surfer

Bis vor wenigen Jahren surften hier die Profis in einem der wichtigsten Wettkämpfe der World Qualifying Series. Und am Abend traf man sich im Camp. "Viele Eltern kamen, weil sie dort ihre Kinder frei herumlaufen lassen konnten", erzählt Oliveira. Zwei junge Belgier verkauften aus einem Wagen Pizza, es gab Konzerte und Reggae-Partys. "Es war ein Hippieort", sagt Oliveira. "Aber Politiker mögen keine Hippies." Am 4. August 2012 demonstrierten Hunderte Surfer vor dem Camp gegen die Schließung, der Sänger Eddie Vedder sprach in seinen Konzerten über den Skandal. Vergeblich. Ein paar Monate später rissen Bulldozer die Hütten ab.

Jetzt stehen sterile Holzkästen vor einem riesigen Parkplatz in der Bucht. Die Rollläden sind geschlossen. Eigentlich sollte der Komplex mit fünf Restaurants, Shops und Duschen im Mai 2013 eröffnet werden. Aber Tiago Oliveira ließ die Party platzen. "Das ist immer noch mein Land", sagt er. "Die Enteignung ist vor Gericht, das kann fünf Jahre dauern."

Top-Surfspots um Ericeira

Das neue Reservat konnte das Zentrum der Surfkultur in Ericeira nicht schützen. Aber zumindest die Natur werde es bewahren, hofft Diogo Sarmento, 51, verspiegelte Sonnenbrille auf der Nase, graue Locken bis in den Nacken. Sarmento war einer der ersten Surfer in Ericeira, er kennt alle Wellen hier. Auf den Klippen führt er von Spot zu Spot: Pedra Branca, Reef, Cave, Crazy Left. "Deshalb brauchen wir das Reservat", sagt Sarmento und zeigt auf die tristen Trabantensiedlungen auf den Hügeln. "Damit sie nicht bis zum Strand runter bauen. Wenn wir das hier nicht schützen, wird alles zerstört."

So, wie es auf Madeira geschah. Dort gab es einen großartigen Surfspot, Jardim do Mar. "Aber seit sie die Uferpromenade aus Beton gebaut haben, ist die Welle kaputt", erzählt Sarmento.

Australier bringen das Surfen nach Portugal

In Ericeira könnte so etwas nicht mehr passieren, meint der Surfer. Die Surfergemeinde sei zu stark. Morgens sehe man oft Männer auf dem Parkplatz, die sich aus ihrer Neoprenwurst pellen und Anzug und Krawatte anziehen. "Jeder in Ericeira surft", sagt Sarmento. Dabei ist die Geschichte des Wellenreitens hier noch kurz.

1967 bremste ein VW-Bus mit einem Känguru-Aufkleber auf dem Heckfenster in Ericeira. Fünf Australier stiegen aus. Und ritten die Wellen nahe des Praia dos Pescadores. Die Fischer waren schockiert, sie wähnten die Männer in Lebensgefahr. Bald eiferten die einheimischen Jungs den Australiern nach. Freunde teilten sich ein Brett, jeder durfte eine Viertelstunde fahren, dann war der nächste dran. Länger hält man es ohne Neoprenanzug im kühlen Atlantik sowieso nicht aus.

Surfprofi: "Das hier sind die besten Wellen Europas"

"Früher freute ich mich, wenn ich einen anderen Surfer draußen in den Wellen traf", erzählt Nick Uricchio. Der wettergegerbte Amerikaner, 55, steht vor seiner Werkstatt und diskutiert mit einem Kunden über drei Boards, die auf dem Boden liegen. Der Kunde ist Nicolaus von Rupp, 23, der derzeit beste deutsche Wellenreiter. Von Rupp ist in Portugal aufgewachsen und trainiert oft in Ericeira. "Das hier sind die besten Wellen Europas", sagt er.

Nick Uricchio kam 1978 kam das erste Mal nach Ericeira. Und blieb. "Portugal war damals noch eine Surfwildnis", erzählt er. "Ich mochte es sehr, traf nette Leute. Und vor allem lernte ich meine Frau kennen." Uricchio richtete sich eine Werkstatt ein und begann, Surfbretter zu bauen. "Geschäftlich gesehen war das damals eine schlechte Entscheidung", sagt Uricchio. "Ericeira war ein Fischerdorf, es gab keine Jobs, und die Straßen waren schlecht. Mein Material und meine Kunden waren in Lissabon. Aber in puncto Lebensqualität war es eine sehr gute Entscheidung."

Lissabon in direkter Nähe

So wie den Kalifornier lockt der neue Mittelschichtstraum vom guten Leben in der Natur immer mehr Lissaboner nach Ericeira. Fisch und Meeresfrüchte sollen hier am besten in ganz Portugal sein. Deshalb kommen am Wochenende viele Ausflügler, um in einem der 47 Restaurants der Stadt zu speisen. Seit den 1970er Jahren haben viele wohlhabende Hauptstädter ein Zweithaus in Ericeira. Heute ziehen viele junge Familien ganz hierher. Denn seit die Autobahn vollendet ist, dauert die Fahrt in die Hauptstadt nur noch eine halbe Stunde. Die Häuser sind hier billiger. Und man kann das ganze Jahr surfen.

Nummer-Eins-Surfspot in Portugal bald überlaufen?

Nick Uricchio sieht den Aufstieg des Fischerstädtchens zum Surferzentrum Portugals mit Sorge. Seit fünf Jahren kämen immer mehr Touristen nach Ericeira, sagt er, um die berühmten Wellen zu reiten. Vor allem die Beach Breaks seien nun im Sommer überfüllt. "Wir brauchen irgendeine Kontrolle", fordert Uricchio. Zum Beispiel eine Obergrenze für die Zahl der Surfschüler. "Wenn die Leute hierher fliegen und eine Woche lang kaum eine Welle bekommen, kehren sie frustriert nach Hause zurück."

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Schon jetzt sind die Surfschulen Stränden zugeteilt. Frithjof Gauss teilt sich seine beiden Strände mit zwei anderen Schulen. Eng wird es manchmal trotzdem. "Wenn 50 Leute gleichzeitig auf der Riffplatte stehen, ist das schon anstrengend", sagt der Surflehrer aus Sylt, der 2001 seine Schule in Ericeira eröffnete.

Die heilige Kuh der lokalen Surfer in Ericeira

Durch die schärfere Konkurrenz um die Wellen wächst in Ericeira auch jenes Phänomen, das im Surferslang Localism heißt: Die Einheimischen verteidigen ihre Wellen gegen Eindringlinge. "Es sind vor allem die Älteren, die die Ellenbogen ausfahren", erzählt Gauss. "Dabei sind die wenigsten Locals wirklich aus Ericeira. Die meisten sind selbst vor 20 Jahren hierher gezogen."

Besonders ruppig ist der Ton in Coxos. Lange versuchten Ericeiras Surfer, diesen fantastischen Reef Break geheim zu halten. Coxos ist ihre heilige Kuh. Und alles andere als ein Anfängerspot.

"Coxos ist die verrückteste, beste Welle"

Ein einziger Surfer paddelt an diesem wolkenverhangenen Tag in den grauen Brechern. Ein zweiter tapst auf den Felsen hin und her, wird von einer Welle im knietiefen Wasser umgeworfen, krabbelt herum. Diogo Sarmento pfeift von den Klippen hinab, winkt, er solle weiter nach rechts gehen. Schließlich läuft er runter und erklärt dem Touristen, wo die Einstiegsstelle ist. "Ich kenne diese Welle wie meine Hosentasche", sagt Sarmento. Coxos ist sein Lieblingsspot. "Natürlich ist Coxos die verrückteste, beste Welle", sagt Sarmento, besonders bei Nordwest-Swell (auslaufender, nicht durch aktuelle lokale Bedingungen verursachter Seegang, Anm. d. Red.). "Aber man sollte sich hier Zeit nehmen, Respekt zeigen, nicht reinspringen und denken, man nimmt die erste Welle. Und wenn schon 50 Surfer im Wasser sind, fährt man lieber zu einem anderen Spot. Wenn Coxos funktioniert, dann auch alle anderen Wellen".

Surfen findet nicht nur auf dem Meer statt

Der Surfverband ASP wollte Coxos einst als Station der World Championship Tour etablieren. Ericeiras Surfer lehnten ab. "Nicht mal der lokale Surfclub darf hier Wettkämpfe abhalten", erklärt Frithjof Gauss.

Das Nein hat die Übernahme Ericeiras durch die Surfindustrie freilich nicht gestoppt. In die Azulejo-gefliesten Häuser der charmanten Altstadt sind Surfschulen und Läden mit Surfermode eingezogen, in den Restaurants und Bars laufen Surffilme im Fernseher. Schon 1990 hat Billabong seine Portugal-Zentrale nach Ericeira verlegt. 2011 attackierte Quiksilver. Sie bauten das alte Schwimmbad zu einem Skatepark um und nahmen Tiago Pires unter Vertrag, Portugals Surfgott, den einzigen Profi, der je bei den Top 44 auf der Championship Tour mitsurfte.

Gelassenheit statt Kampf

Der Surfboom in Ericeira geht weiter. Und die Ernennung zum Surfreservat befeuert ihn. Nick Uricchio sieht das Schutzgebiet deshalb zwiespältig: "Es bringt mehr Aufmerksamkeit und damit mehr Touristen, für die man wieder bauen muss"

Balearische Verhältnisse sind aber noch fern. Auf der Praça Republica sitzen die Alten unter Platanen und gusseisernen Straßenlaternen, füttern die Tauben und mustern gleichgültig die vorbeischlurfenden Gäste in Kapuzenpulli, Shorts und Flipflops. "Wir sind hier nette, entspannte Leute", sagt Diogo Sarmento. "Wir wollen nicht kämpfen." Es klingt wie eine Beschwörung.

Info-Kasten: Ericeira

Anreise: Mehrere Airlines fliegen aus Deutschland nach Lissabon. Von dort fahren täglich mehrere Busse der Linie Mafrense nach Ericeira. Die Fahrt dauert eine gute Stunde.

Klima und Reisezeit: Die beste Zeit zum Surfen in Portugal ist von März bis Ende Oktober. Im Sommer kann der Atlantik bis zu 20 Grad warm werden. Dann sind die Wellen klein und perfekt für Anfänger. Im Frühling und Herbst kommen erfahrene Surfer wegen der größeren Wellen. Im Winter ist die See in Ericeira oft sehr rau.

Informationen: Turismo de Portugal, Zimmerstraße 56, 10117 Berlin (Tel.: 030/254 10 60). Tourismusbüro von Ericeira, Rua Dr. Eduardo Burnay 46 (Tel.: 00351/26 18 63 122, E-Mail: turismo@cm-mafra.pt

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