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SV Darmstadt 98: "Fußball und Red Bull hat nichts Positives"


Die Lilien-Bosse im Interview
"Das Projekt Fußball und Red Bull hat nichts Positives"

Aktualisiert am 30.04.2015Lesedauer: 6 Min.
Markus Pfitzner (l.) ist seit 2007 Vizepräsident der Lilien, Rüdiger Fritsch leitet den Klub seit 2012 als Präsident, zuvor war er Stellvertreter von Hans Kessler.Vergrößern des BildesMarkus Pfitzner (l.) ist seit 2007 Vizepräsident der Lilien, Rüdiger Fritsch leitet den Klub seit 2012 als Präsident, zuvor war er Stellvertreter von Hans Kessler. (Quelle: harder/imago-images-bilder)
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Der SV Darmstadt 98 mischt als Neuling die 2. Liga auf. Am Samstag gastiert der 1. FC Kaiserslautern zum Aufstiegsduell im Stadion am Böllenfalltor. Im Interview mit t-online.de sprechen Präsident Rüdiger Fritsch und Vizepräsident Markus Pfitzner über die Bundesliga-Träume der Lilien, die wirtschaftliche Situation des Vereins, das Modell RasenBallsport Leipzig, und die Abhängigkeit von Trainer Dirk Schuster.

Herr Fritsch, Herr Pfitzner, der Mainzer Manager Christian Heidel spricht voller Hochachtung vom SV Darmstadt 98. Er lobt die Entwicklung als eine der „größten Fußballsensationen der letzten Jahre“. Hat er Recht?

Rüdiger Fritsch: Ich bin kein Freund von Superlativen. Aber was wir in den vergangenen Jahren hier erlebt haben, ist wirklich unfassbar. Planbar war es schon gar nicht. Im Jahr 2008, das vergessen viele, befanden wir uns im wirtschaftlichen Überlebenskampf. Damals wurde unter meinem Vorgänger Hans Kessler der Grundstein für den Erfolg gelegt. Heute ernten wir die Früchte kontinuierlicher, strukturierter, überlegter und ehrlicher Arbeit.

Markus Pfitzner: Und die nötige Portion Glück gehörte natürlich auch dazu. Es ist noch nicht so lange her, da ging es statt nach Kaiserslautern und Düsseldorf in der Oberliga Hessen nach Waldgirmes und Würges. Deshalb genießen wir die aktuelle Situation, ohne die Bodenhaftung zu verlieren.

Gab es in der Krisenzeit einen Schlüsselmoment, eine Art Wendepunkt zum Positiven?

Pfitzner: Ohne den FC Bayern München wäre die Sanierung des Vereins kaum möglich gewesen. Das Benefizspiel am vollgepackten Böllenfalltor, zu dem die Bayern im Frühjahr 2008 mit fast allen Stars angereist waren, hat damals allen klar gemacht, was in Darmstadt wirklich möglich ist. Und die Einnahmen haben uns finanziell gerettet.

Jetzt klopfen die Lilien sogar an die Tür zur Bundesliga. Am Samstag kommt der FC Kaiserslautern zum Duell zweier Aufstiegskandidaten.

Fritsch: Ein Aufstieg in die Bundesliga war zu Beginn der Saison überhaupt nicht unser Thema. Da steht Kaiserslautern schon ganz anders unter Druck. Wir wissen, wo wir herkommen. Und wir wissen auch: Zu hohe Erwartungen sind des Feindes Glück.

Aber die Relegationsspiele zur Bundesliga sind immer noch zum Greifen nahe.

Pfitzner: Wir wollen natürlich auch den Erfolg. Aber wir sind einfach nicht in Zugzwang. Wir wollen im Rahmen unseren Möglichkeiten das Bestmögliche rausholen und unseren Weg weitergehen.

Sollte dieser Weg in die Erstklassigkeit führen, riskieren Sie dann mehr als bisher?

Fritsch: Auch in der Bundesliga würden wir mit einem Gesamtbudget planen, mit dem wir, wie in dieser Spielzeit übrigens auch, im Etat-Ranking ganz hinten stehen würden. Der Verein würde sich an der ersten Liga auf keinen Fall wehtun, wir agieren immer mit betriebswirtschaftlicher Weitsicht.

Die Lilien begeistern Fußball-Nostalgiker in ganz Deutschland. Wie erklären Sie sich diesen Hype?

Pfitzner: Das liegt natürlich an unserem Stadion am Böllenfalltor, das zwar marode ist, aber einen besonderen Charme versprüht. Außerdem steht der Verein für Tradition. Dazu kommt unsere unglaubliche Geschichte mit dem Verbleib in der 3. Liga durch den Lizenzentzug von Kickers Offenbach, der überragenden Folgesaison mit dem Wunder von Bielefeld als Krönung und natürlich dieser starken aktuellen Spielzeit in der 2.Liga.

Wie wollen Sie es schaffen, dass der Verein sich modernisiert, das positive Image aber behält?

Pfitzner: Unsere Aufgabe wird sein, das zu bewahren, was Darmstadt 98 so speziell macht. Es gibt viele Dinge, die wir in Darmstadt etwas anders angehen als unsere Konkurrenten. Schauen sie nur auf das familiäre Umfeld und die wirklich außergewöhnliche, kreative Fanszene.

Fritsch: Bei aller Nostalgie und Tradition, wir stehen auch in einem Wettbewerb. Romantik allein bringt keinen sportlichen Erfolg, auf die finanzielle Schlagkraft kommt es auch an. Da haben wir noch viel zu tun.

Wie soll dieser Spagat zwischen wirtschaftlicher Stärke und Tradition gelingen?

Pfitzner: Wir sind gerade dabei, das alles, was die Marke Darmstadt 98 ausmacht, zusammenzufassen. Das Bild ergibt sich aus dem, was gerade passiert. Wie unsere Mannschaft auftritt, wie unsere Fans uns sehen und wofür wir als Verein stehen. Daraus wird ein Leitbild entstehen, an dem der SV 98 zukünftig gemessen werden kann. Auch von aktuellen und zukünftigen Partnern aus der Wirtschaft. Je klarer eine Marke positioniert ist, umso einfacher können sich auch potentielle überregionale Partner für ein Engagement bei den Lilien entscheiden.

Welche Rolle spielt die geplante Ausgliederung der Profi-Abteilung in eine Kapitalgesellschaft?

Fritsch: Eine unabhängige Arbeitsgruppe stellt gerade Vor- und Nachteile der möglichen Szenarien zusammen. Wir werden die Vereinsmitglieder darüber abstimmen lassen. Alles ganz unaufgeregt. Wir haben keinen Druck. Ich persönlich sehe in einer Ausgliederung einen Vorteil. Der SV 98 wäre in meinen Augen im wirtschaftlichen Bereich handlungsfähiger und somit konkurrenzfähiger.

Wie nehmen Sie den Fans die Angst vor einer Ausgliederung?

Fritsch: Auch in einer Kapitalgesellschaft ist die angeführte Angst vor Verlust der Tradition, Identität und Mitbestimmung unbegründet. Das haben andere Klubs wie Borussia Mönchengladbach oder Borussia Dortmund bereits gezeigt.

Viele Darmstädter Fans boykottierten am vergangenen Wochenende die Reise zum "Kommerzklub" Rasenball Leipzig. Der Verein unterstützte im vergangenen Herbst die Aktion "Wir pfeifen auf RB". Ist das mit Blick auf eine mögliche Umwandlung der Profiabteilung in ein Wirtschaftsunternehmen nicht scheinheilig?

Fritsch: Diese Aktion ging von unseren Anhängern aus, das Präsidium von Darmstadt 98 war da komplett außen vor.

Auf der Tribüne saßen aber auch Mitarbeiter des SV 98 und hielten die Rote Karte für RB Leipzig hoch.

Pfitzner: Es ist ja nicht so, dass wir für gewisse Fanaktionen nicht auch Sympathien hegen. Aber der Urheber waren wir nicht.

Fritsch: Das Modell Darmstadt 98 und RB Leipzig unterscheidet sich nun mal extrem. Da wird es von uns keine offizielle Vereinsrichtlinie geben. Ich persönlich kann dem Projekt Red Bull und Fußball überhaupt nichts Positives oder Interessantes abgewinnen.

Pfitzner: Wer die Modelle Darmstadt 98 und RB Leipzig anschaut, wird klug genug sein, die grundsätzlichen Unterschiede in beiden Modellen zu verstehen und für sich zu interpretieren.

Fritsch: Haben Sie schon einmal Rasenball auf duden.de eingegeben?

Nein. Auf die Idee sind wir noch nicht gekommen.

Fritsch: Wenn Sie Rasenball eingeben, werden Sie vom Programm gefragt: ‚Meinten Sie Maskenball‘. Das passt doch irgendwie, Rasenball gibt es gar nicht.

Was sagen Sie denn den Fans des SV 98, wenn plötzlich ein Investor richtig groß einsteigen will, beispielsweise der Darmstädter Pharmariese Merck?

Fritsch: Es wäre doch etwas ganz Anderes, wenn ein Traditionsunternehmen am Standort einen Traditionsverein am Standort unterstützt, als wenn ein Weltkonzern auf dem Reißbrett, strategisch und über Jahre geplant, einen Dorfverein übernimmt und diesen dann mit einem neuen Auftritt im deutschen Spitzenfußball platziert.

Wie läuft das in Darmstadt?

Pfitzner: Wir stehen mit unseren Werbepartnern für eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Wir praktizieren klassisches Sponsoring, für finanzielle Unterstützung liefern wir vertraglich genau fixierte Gegenleistungen. Wir haben weder einen Investor noch einen Mäzen. Darmstadt 98 ist von RB Leipzig so weit entfernt wie die Sonne vom Mond.

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Wie wollen Sie es denn schaffen, trotzdem konkurrenzfähig zu bleiben?

Pfitzner: Der Stadionneubau ist sicherlich der wichtigste Faktor. Wir haben gegenüber der Konkurrenz einen enormen Wettbewerbsnachteil, den wir auf Dauer nur schwer ausgleichen können. Ein zukunftsfähiger SV Darmstadt 98 ist ohne ein neues Stadion nicht denkbar. Profifußball ist im aktuellen Stadion auf Dauer einfach nicht möglich. Das hat uns auch die DFL mit auf den Weg gegeben.

Zweitliga-Niveau zu halten wird angesichts der bescheidenen Mittel aber schwierig.

Fritsch: Um das mal klarzustellen: Auch in Darmstadt wird anständiges Geld gezahlt. Wir bezahlen nicht nur mit Gutscheinen für die Lilien-Schänke. Klar ist aber auch, dass wir Konkurrenten auf dem Transfermarkt nie allein übers Geld ausstechen werden. Wir müssen uns mehr um Spieler bemühen, um sie kämpfen und ihnen aufzeigen, was sie an Darmstadt 98 haben. Die Vertragsverlängerungen verschiedener Leistungsträger bestärken uns auf diesem Weg.

Leistungsträger anderer Klubs werden so aber kaum zu ködern sein.

Fritsch: Deshalb liegt unser Fokus ja auch auf Perspektivspielern oder auf Spielern, die bei anderen Klubs nicht so zum Zuge kamen. Wir haben in den vergangenen Jahren im sportlichen Bereich fast immer am Limit agiert. Das muss auch weiter so bleiben.

Welche Rolle spielen Dirk Schuster und sein Trainerteam?

Pfitzner: Sie stehen genau für dieses Arbeiten am Limit, ihre Leistung ist nicht hoch genug einzuschätzen. Da wird mit einem kleinen Team aus geringen Möglichkeiten richtig viel rausgeholt. Die Portion Glück, die wir dabei in den vergangenen Jahren hatten, ist mehr als hart erarbeitet.

Die Abhängigkeit von Schuster ist enorm. Soll das so bleiben oder soll ein Manager den Coach unterstützen?

Fritsch: Wir sind mit dem Darmstädter Modell bisher sehr gut gefahren. Je mehr Sportdirektoren oder Manager mit dabei sind, umso schwieriger wird die Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung. Dirk Schuster entscheidet über Transfers ja nicht alleine. Er bespricht das im Team. Ich halte es für einen absolut sinnvollen Weg, dass der wichtigste leitende Angestellte bei der Auswahl seiner Spieler das letzte Wort hat.

Das Interview führte Jörg Runde

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