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Manchester United in der Krise: "Eine Horrorgeschichte"


Fan-Aufstand bei Manchester United
Sie wollen ihren Klub zurück


Aktualisiert am 22.08.2022Lesedauer: 7 Min.
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Manchester United: Die Fans planen einen Aufstand vor dem Spiel gegen Liverpool. (Quelle: IMAGO/Martin Rickett)

Manchester United ist nur noch das Abziehbild eines großen Klubs. Geld wird verpulvert, Spieler wollen weg, die Besitzer sind verhasst. Was ist passiert?

Ob Casemiro weiß, worauf er sich da einlässt? Der Brasilianer, seit Jahren eine Institution im Mittelfeld von Real Madrid, wechselt mit sofortiger Wirkung zu Manchester United in die Premier League. Dies kabelten beide Großklubs Ende der vergangenen Woche. Um 70 Millionen Euro soll der Transfer die Engländer kosten. Und der 30-Jährige selbst kann sich nun darauf einstellen, auf einem 105 x 68 Meter großen Friedhof zu spielen. Zumindest, wenn es nach Gary Neville geht.

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Denn der langjährige englische Weltklasse-Verteidiger ist seit Tagen schon außer sich. "Manchester United ist zu einem Friedhof für Fußballspieler geworden", entfuhr es dem 47-Jährigen – wohlgemerkt vor dem Casemiro-Wechsel – beim englischen Pay-TV-Sender Sky. Neville selbst war maßgeblicher Teil der großen Ära der "Red Devils" in den 90ern und frühen 2000ern, und es gefällt ihm ganz und gar nicht, was er aktuell von seinem Herzensklub sieht.

Die "Red Devils" sind nämlich am Boden. Mehr noch: Manchester United, dieser Klub von Weltruf, der die Premier League in den 90ern und frühen 2000ern nach Belieben dominierte, ist aktuell nur noch ein Schatten seiner selbst – und der größte Witz des englischen Fußballs. Was in Deutschland über Jahre der Hamburger SV war und aktuell Hertha BSC ist, das verkörpert in England – wenn auch in weitaus größerer Dimension – nun der 20-malige Meister: eine Lachnummer.

"Ich hätte alle auswechseln können"

Und das nicht erst seit dem Saisonstart 22/23, der für Neu-Trainer Erik ten Hag und United nicht desaströser hätte verlaufen können: 1:2 zum Auftakt zu Hause gegen Brighton & Hove Albion, dann am vergangenen Wochenende eine 0:4-Klatsche beim kleinen FC Brentford. Bereits nach 35 Spielminuten stand das Endergebnis fest, die restlichen 55 Minuten brachten die Gastgeber dann fast erschreckend souverän über die Runden. Tabellenletzter nach zwei Spieltagen, die Mannschaft desolat, der neue Übungsleiter frustriert. "Ich hätte alle auswechseln können", erklärte ten Hag nach dem Brentford-Spiel, schonte dabei auch die großen Stars um Cristiano Ronaldo nicht. Die Nerven liegen schon nach zwei Spieltagen blank am Old Trafford.

Dabei ist der Komplett-Fehlstart nur der vorläufige Tiefpunkt eines anhaltenden Niedergangs.

Seit dem Abschied von Sir Alex Ferguson, dem größten Trainer der Klubhistorie, sucht United nach sich selbst. Das war 2013, im bis heute letzten Meisterjahr. In den darauffolgenden neun Spielzeiten fehlten Manchester im Schnitt 23 Punkte auf den Titelgewinn. Was seitdem beim so glorreichen Verein vor sich ging, hatte nichts mehr gemein mit dem guten Vierteljahrhundert Beständigkeit unter dem knorrigen Schotten. Die Bilanz: Sieben Trainer wurden verschlissen, vom glücklosen David Moyes über die namhaften Louis van Gaal und José Mourinho – der 2016 immerhin noch die entwertete Europa League gewinnen konnte – bis zum allseits beliebten Ex-Spieler Ole Gunnar Solskjaer. Zuletzt musste Ralf Rangnick einspringen, mit allerlei guten Ideen, die zu oft auf taube Ohren stießen. Nun soll es ten Hag richten.

1,4 Milliarden Euro für Transfers

"Die Spieler tun mir nicht leid. Ten Hag tut mir leid", sagte der langjährige United-Verteidiger Rio Ferdinand folgerichtig in einem Podcast nach dem 0:4 in Brentford. "Er wird sich doch denken: 'Dafür bin ich doch nicht hierhergekommen.' Er hat diese Position angenommen, um etwas zu verändern – aber die Spieler sind einfach nicht auf dem erforderlichen Level." Wenig später legte Ferdinand noch nach: "Man kann doch wenigstens Einsatz erwarten. Und nicht mal der war da. Ralf Rangnick hatte absolut recht. Er hat den Leuten genau gesagt, wie es ist. Er sah, dass viele Spieler einfach nicht gut genug sind und dass der Kader komplett umgekrempelt werden muss."

Katastrophal liest sich tatsächlich die Transferbilanz: Über 1,4 Milliarden (!) Euro wurden seit 2013 in Spielerverpflichtungen gepumpt – und nur ganz selten vermittelte die Personalpolitik des Klubs den Anschein wohldurchdachter Planung.

Beispiel 1: Paul Pogba. Der Franzose wurde 2012 ablösefrei an Juventus Turin abgegeben, entwickelte sich in Italien zum Weltstar. Vier Jahre später holte United den verlorenen Sohn zurück – für die damalige Weltrekordsumme von 105 Millionen Euro. Doch in Manchester wurde der eigenwillige Pogba nie wieder glücklich, es wurde auch im zweiten Versuch keine Liebe mehr zwischen Verein und Spieler. Die Folge: Im Sommer 2022 verließ Pogba United wieder. Richtung Turin. Natürlich ablösefrei.

Beispiel 2: Donny van de Beek. 2019 noch Teil der umjubelten jungen Ajax-Mannschaft, die es überraschend bis ins Halbfinale der Champions League schaffte, wechselte der Niederländer 2020 für 39 Millionen Euro nach Manchester. Sollte dort zur festen Größe im Mittelfeld werden. Doch van de Beek kam bisher nicht über eine Reservistenrolle hinaus, hat seinen Platz in der Mannschaft noch immer nicht gefunden. Seine meisten Pflichtspiele für die "Red Devils" absolvierte der 25-Jährige in der Saison 20/21, kam 30 Mal zum Einsatz. Erst in der vergangenen Winterpause wurde van de Beek für ein halbes Jahr an den FC Everton verliehen. Und in der neuen Saison stand der niederländische Nationalspieler zwar in beiden Partien auf dem Platz – aber nur für insgesamt 15 Minuten.

Beispiel 3: Cristiano Ronaldo. In Manchester reifte der Teenager kurz nach der Jahrtausendwende zum Weltstar, führte United 2008 zum bis heute letzten Champions-League-Titel. Nach langen und noch erfolgreicheren Jahren bei Real Madrid und einem Zwischenspiel bei Juventus Turin kehrte der Portugiese im August 2021 sensationell zu seinem früheren Klub zurück. Nur ein Jahr später aber will der mittlerweile 37-Jährige so dringend wieder weg, dass sein berüchtigter Berater Jorge Mendes ihn quer durch Europa regelrecht zu verramschen versucht. Champions League will "CR7" spielen – die Aussichten darauf mit seinem aktuellen Klub sind verschwindend gering. Selbst Borussia Dortmund scheint dem Ronaldo-Lager Berichten zufolge gerade attraktiver als ein Verbleib bei United.

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Derlei Belege für die entlarvende Planlosigkeit der Klubführung auf dem Transfermarkt gibt es noch viele weitere, gerade aus den jüngsten Jahren. Abwehrchef Harry Maguire erweist sich seit seinem Wechsel 2019 (für 87 Mio. aus Leicester) als alles, nur eben nicht als Abwehrchef. Der französische Weltmeister Raphael Varane (2021 für 40 Mio. von Real Madrid) ist öfter Fehlerquelle denn Ruhepol, und Jadon Sancho blieb bisher noch jeden Beweis schuldig, dass die 85 Millionen Euro, die 2021 an Borussia Dortmund überwiesen wurden, eine gute Investition waren.

"Man bekommt keine Spieler mehr"

"Das ist eine Horrorgeschichte", polterte Neville nun folglich – und setzte zu einer Generalabrechnung der vergangenen neun Jahre an: "Ich denke, dass es zum aktuellen Zeitpunkt nur zwei Transfers gibt, die auf einem wirtschaftlichen und sportlichen Level ein Erfolg waren. Bruno Fernandes (Mittelfeldspieler, Anm. d. Red.) ist zwar etwas abgekühlt, aber aufgrund seiner Leistungen in den vergangenen zwei Spielzeiten muss man sagen, dass er funktioniert hat – und Zlatan Ibrahimović hat funktioniert."

Das Fazit des früheren Abwehrspielers, der im United-Trikot zwölfmal Meister wurde: Ein Transfer in den Norden Englands sei längst nicht mehr attraktiv. "Die Spieler überlegen mittlerweile zweimal, ob sie wirklich zu so einem Klub wechseln wollen. Man bekommt keine Spieler mehr." So blieb der Niederländer Frenkie de Jong auch beim FC Barcelona, obwohl die Katalanen alles daran setzten, das üppige Gehalt des Mittelfeldspielers einzusparen und noch eine stattliche Ablöse zu kassieren – er wollte ums Verrecken nicht nach Manchester auf den "Spielerfriedhof", wie es Neville so treffend formulierte.

Ersatz für die Klubbesitzer verzweifelt gesucht

Vielleicht ist ja der mutmaßlich zweitreichste Mann Großbritanniens die Lösung: "Jim schaut sich an, was aktuell gemacht werden könnte, und ist – wohlwissend um die Bedeutung des Klubs für die Stadt – außerdem der Meinung, dass es Zeit für einen Neustart ist", erklärte ein Sprecher von Sir Jim Ratcliffe. Der 69-Jährige ist Chef des Chemiekonzerns Ineos, Sohn der Stadt Manchester – und mit einem kolportierten Vermögen von 28,2 Milliarden US-Dollar ganz weit vorne im britischen Geldadel.

Ratcliffe soll die im Klub-Umfeld verhasste Familie des 2014 verstorbenen US-Milliardärs Malcom Glazer ablösen. Der Patriarch übernahm ab 2003 sukzessive 90 Prozent der Klubanteile – für insgesamt 935 Mio. Euro –, die Glazer aus diversen Krediten finanzierte. Und jene Kreditlast – 710 Millionen sollen es sein – bürdete er dann gleich mal seinem neuen Klub auf. Wenige Jahre später übernahmen nach gesundheitlichen Problemen des Vaters dessen sechs Kinder die Klubführung, halten über ihre Aktienanteile 97 Prozent der Stimmrechte. Die Söhne Joel und Avram teilen sich den Vorsitz. Konnte die fehlende Fußballexpertise der Glazers in den ersten Jahren noch durch den gewieften Ferguson überdeckt werden, so fehlt seit dessen Abschied ein cleverer Manager mit Konzept – siehe die Transferbilanz.

Doch nicht nur durch den sportlichen Misserfolg der zurückliegenden Jahre, auch durch die Beteiligung des Klubs an der spektakulär gescheiterten "Super League" stehen die Glazers seit längerer Zeit wieder in der Kritik. Der Vorwurf, der Verein sei für die Investoren einzig das: ein Investment, eine Renditemaschine, nachhaltige Entwicklung sei nicht gefragt, solange der finanzielle Ertrag stimmt –, er hält sich hartnäckig. Seit 2012, so rechnet es Finanzjournalist Kieron O'Connor vor, seien nur umgerechnet 160 Millionen Euro in die Infrastruktur des Klubs gesteckt worden. Der verhasste Stadtrivale Manchester City, dessen Aufstieg mit dem United-Abstieg fast einherging, habe dagegen 440 Mio. aufgebracht; Tottenham Hotspur – für ein neues Stadion und Trainingsgelände – sogar 1,6 Milliarden Pfund.

Der Traum vom alten Glanz

Nicht ohne Grund forderte die mächtige Fan-Vereinigung "Manchester United Supporters Trust" jüngst, ein neuer Eigentümer müsse sich nicht nur "der Klubkultur, dem Ethos und den Traditionen verschreiben", sondern auch "gewillt sein, in den Klub zu investieren, um United zu altem Glanz zu verhelfen". Und: "Das Geld muss nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch in das Stadion investiert werden."

Ob die aktuellen Besitzer wirklich gewillt sind, ihre Anteile abzutreten, ist unklar. Der Wirtschaftssender Bloomberg meldete am vergangenen Mittwoch, die Glazers erwögen tatsächlich, den Klub für weitere Investoren zu öffnen. Mit dem Private-Equity-Unternehmen Apollo stünde dem Bericht zufolge bereits ein Interessent bereit – allerdings mit ähnlichem Ruf wie die Glazers. "Sie würden in Manchester nicht willkommen sein", warnte Neville bereits.

Vielleicht schauen mögliche Interessenten ja an diesem Montag genauer hin. Denn dann wartet im Topspiel ein Klub, der seit der Übernahme durch die US-amerikanische Fenway Sports Group tatsächlich wieder zu altem Glanz gefunden hat. Mit substanzieller Arbeit, durchdachten Investitionen und einem mitreißenden deutschen Trainer. Es geht gegen den FC Liverpool mit Erfolgscoach Jürgen Klopp (ab 21 Uhr im t-online-Liveticker).

Casemiro wird dann noch nicht einsatzbereit sein. Gut möglich aber, dass der Neuzugang auch schon aus der Entfernung erkennen wird, worauf er sich da wirklich eingelassen hat bei Manchester United.

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