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Maradona (✝60): Als sich mein Blick auf die Fußball-Legende völlig veränderte


Ein besonderer Tag
Als sich mein Blick auf Maradona völlig veränderte

MeinungVon Benjamin Zurmühl

Aktualisiert am 26.11.2020Lesedauer: 3 Min.
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Diego Maradona beim WM-Spiel gegen Island: Ein Heiliger mit breitem Lächeln.Vergrößern des Bildes
Diego Maradona beim WM-Spiel gegen Island: Ein Heiliger mit breitem Lächeln. (Quelle: ITAR-TASS/imago-images-bilder)

Diego Maradona ist tot, die Fußballwelt trauert. Doch gerade jüngere Fans haben kaum eine Bindung zu Maradona. So ging es auch mir. Bis zu einem bestimmten Spiel.

Ich habe Diego Maradona nie live spielen sehen. Weder im Stadion noch im TV. Wie auch? Ich bin 1994 geboren. Als ich angefangen habe, Fußball zu gucken, da hatte Maradona seine Karriere bereits beendet. Ich bin mit Zinédine Zidane, Ronaldinho und Luís Figo aufgewachsen. Sie waren die Gesichter des Fußballs für mich. Maradona, Pelé und Beckenbauer kannte ich nur aus Erzählungen.

Sie waren für mich zu Beginn nur Namen, mit denen TV-Kommentatoren die besten Spieler meiner Generation verglichen. Vor allem dann, als Lionel Messi auftauchte und die ganze Welt begeisterte, inklusive mir selbst. Da war ein Spieler, dem kein Verteidiger den Ball wegnehmen konnte, der jedes Dribbling gewann und mit dem Ball noch schneller war als ohne ihn. Mein elfjähriges Ich staunte, wenn er spielte.

Und plötzlich tauchten Videos auf, in denen Tore von Messi genauso aussahen wie die von Maradona. Ich fing an, mir bei YouTube einzelne Clips von Maradona-Spielen anzuschauen. Das Tor mit der "Hand Gottes" war natürlich auch dabei. Ich begriff, dass Maradona ein außergewöhnlicher Fußballer war. Dass sein Wert hoch war. Aber wie hoch er war, konnte ich damals noch nicht verstehen. Beckenbauer hatte auch einen hohen Wert. Und wie mein Vater und meine Großonkel von Günter Netzer und Paul Breitner sprachen, war auch beeindruckend.

Der Wandel kam bei der WM 2018

Für mich war Maradona zu dem Zeitpunkt also einfach ein "guter Spieler von früher". Eine wirkliche Bindung hatte ich nicht. Live im TV habe ich ihn dann erst als Trainer der argentinischen Nationalmannschaft gesehen. Die flog gegen Deutschland bei der WM 2010 hochkant raus. Einen bleibenden Eindruck hinterließ das nicht. Der bleibende Eindruck kam acht Jahre später. Genauer gesagt am 16. Juni 2018.

Als Redakteur von t-online war ich bei der Fußball-WM in Russland im Einsatz. Weit weg von der deutschen Mannschaft kümmerte ich mich um die anderen Titelfavoriten und großen Namen des Turniers. Da durfte Argentinien natürlich nicht fehlen. Da mein Hauptquartier in Moskau war, stand auch das erste Gruppenspiel von Lionel Messi und Co. an. Im Stadion von Spartak Moskau, einem Klub aus dem Norden der russischen Hauptstadt, traf die "Albiceleste" auf Island. Ein Spiel, auf das ich wochenlang gespannt war.

Ich stieg in die Moskauer U-Bahn und mit jeder Station, die ich dem Stadion näher kam, kam eine weitere Fangruppe mit hellblau-weiß gestreiften Trikots hinzu. Auf ihren Rücken standen nur zwei Namen: Messi oder Maradona. Agüero, Dybala oder Mascherano? Fehlanzeige. Das überraschte mich doch etwas.

Überall die Nummer 10

Angekommen am U-Bahnhof "Spartak", wo das Stadion steht, stieg ich aus. Überall Fans von Argentinien. Sie schwenkten ihre Fahnen und sangen. Aus vollem Hals bejubelten sie ihr Team, lagen sich in den Armen und waren sich sicher, sie würden in ein paar Wochen den Weltmeistertitel holen.

Ich verstand kaum Spanisch, doch immer wieder erhaschte ich Wortfetzen. "Messi" kam vor, "Maradona" genauso. Ich wusste also sofort, worum es in dem Lied geht. Die Argentinier verehrten ihre beiden Idole, manchmal auch nur Maradona. Für mich war das eine andere Welt. Nie hatte ich erlebt, dass in einem deutschen Fußballstadion ein Spieler so geliebt wurde. Bei Länderspielen kamen die Namen Beckenbauer, Netzer oder Seeler in keinem Lied vor.

Am Stadion angekommen veränderte sich die Situation nicht. Es wurde weiter gesungen. Die gleichen drei, vier Lieder in Endlosschleife, immer mit einem Strahlen im Gesicht. Und ich konnte mich nicht daran satt sehen: überall das Trikot mit der Nummer 10, überall glückliche Menschen, überall Landesfahnen mit dem Gesicht Maradonas.

Er war einer von ihnen

Als ich auf meinem Platz ankam, bekam ich Gänsehaut. In diesem engen, hitzigen Stadion hallte der Gesang noch mehr. Die hüpfenden Argentinier kannte ich schon, aber bisher nur in einzelnen Gruppen. Hier waren sie nebeneinander, dicht an dicht. Mit jeder Minute strömten mehr Fans ins Stadion. Es wurde lauter und lauter. Und dann erschien auf der Videoleinwand eine Live-Aufnahme aus der Loge. Da war er. Diego Maradona.

Und plötzlich merkte ich, dass es vorher eigentlich leise gewesen war. Und ich realisierte nun endgültig, was Maradona diesen Menschen bedeutete. Er war wirklich ein Heiliger für sie. Sie sangen ihm zu, priesen ihn. Und er? Sang mit. Er war einer von ihnen, hatte das gleiche Lächeln. Er gehörte nicht in die Loge, er gehörte in die Kurve.

Auch wenn die Partie nicht sonderlich spektakulär war, blieb mir dieses Spiel im Sinn. Denn ab diesem Tag hatte ich verstanden, wer Diego Maradona wirklich war.

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