Rudi Völler beim DFB: Sein Plan für die Nationalelf liegt auf der Hand

Aus einer spontanen Idee wurde ein Auftrag. Rudi Völler soll dem DFB dabei helfen, bei der Heim-EM im nächsten Jahr Erfolge zu feiern und die Fans zurückzugewinnen.

Benjamin Zurmühl berichtet aus Frankfurt am Main

Dass er den DFB auch heute noch in- und auswendig kennt, wäre wohl gelogen. Rudi Völler war zwar von 2000 bis 2004 Teamchef der Nationalmannschaft, doch in den fast 20 Jahren seit seinem Abschied hat sich beim Deutschen Fußball-Verband viel verändert. Nicht nur das Personal ist ein komplett anderes, auch der Arbeitsplatz ist neu.

Das Navigationssystem im Auto zeigt zwar noch Frankfurt am Main als Zielort an, doch die Otto-Fleck-Schneise wurde durch die Kennedyallee ausgetauscht. Im Sommer 2022 eröffnete und bezog man den neuen DFB-Campus. Die alten Büros sind Geschichte, dort hat sich die Uefa niedergelassen und arbeitet an der EM 2024 in Deutschland.

Für genau dieses Turnier wurde Rudi Völler zurück ins Boot – oder auch Tanker, wie der Verband intern oft genannt wird – geholt. Denn der DFB steckt in einer Krise. Die vergangenen drei Turniere der Männer-Nationalelf verliefen enttäuschend: Vorrundenaus bei der WM 2018, Achtelfinalaus bei der EM 2021, Vorrundenaus bei der WM 2022. Mit der Heim-EM vor der Brust kann sich der DFB einen weiteren Fehltritt nicht erlauben.

"Gibt's denn keinen anderen?"

Nachdem DFB-Direktor Oliver Bierhoff nach der WM zurückgetreten war, kam die vom DFB berufene Taskforce um deutsche Fußballgrößen wie Karl-Heinz Rummenigge, Matthias Sammer und Hans-Joachim Watzke zusammen. Auf der Suche nach einem Nachfolger für Bierhoff sah Watzke Völler an und fragte: "Rudi, wäre das nicht was für dich?" So zumindest erzählte es Watzke. Völlers Reaktion: "Ich habe erst mal gefragt: 'Gibt's denn keinen anderen?'" Den gab es nicht, zumindest nicht für den selbst ernannten "Bauchmenschen" Watzke, dem sein spontaner Einfall gefiel.

Hansi Flick gefiel die Wahl auch. Dabei klang es ein paar Wochen zuvor, als Bierhoff zurücktrat, noch so, als wäre das kaum zu erreichen. In einer Mitteilung schrieb der Bundestrainer: "Meinem Trainerteam und mir fällt im Moment die Vorstellung schwer, wie die durch Olivers Ausscheiden entstehende Lücke fachlich und menschlich geschlossen werden kann."

Am vergangenen Montag, über drei Monate später, schwärmte Flick auf einer Pressekonferenz von Bierhoffs Nachfolger: "Keiner verkörpert den deutschen Fußball so wie Rudi. Als Spieler, als Trainer, aber auch als Funktionär. Er ist heiß darauf, dass alles in die richtigen Bahnen geht." Völlers Vertrag ist vorerst nur bis nach der EM gültig. Er ist mehr als Übergangslösung und Akuthilfe angestellt, nicht als langfristige Lösung eingeplant.

Das Problem mit den Anstoßzeiten

Der 62-jährige Völler weiß genau, was er in der kurzen Zeit zu tun hat. Punkt Nummer eins: Er soll Fans und Mannschaft trotz fehlender Erfolge wieder näher zusammenbringen und nach der von vielen verhassten WM in Katar eine EM-Euphorie erzeugen. Punkt Nummer zwei: Er soll auch die DFB-Teams intern noch enger zusammenführen. Und Punkt Nummer drei: Er soll jedwede nicht-sportlichen Debatten rund um die Nationalelf im Keim ersticken.

Für Punkt eins setzte er zwei Themen auf die Agenda: frühere Anstoßzeiten und öffentliche Trainings. "Wir haben da an eine Zeit zwischen 19 und 20 Uhr gedacht", sagte Völler in der "Sport Bild" in Bezug auf die Anstoßzeiten, "damit auch jüngere Fans die Nationalmannschaft wieder im Stadion oder vor dem Fernseher erleben können." Bei den kommenden Länderspielen gegen Peru am Samstag und Belgien am Dienstag ist ihm dieses Vorhaben noch nicht gelungen, beide Spiele starten um 20:45 Uhr. Der DFB ist vertraglich an die Interessen der Uefa und der TV-Sender gebunden. "Da sind viele Player involviert", kommentierte Präsident Bernd Neuendorf die "schwierigen" Gespräche.

Was Völler hingegen umsetzen konnte, war ein öffentliches Training. Am Montag fand vor 3.500 Zuschauern im Frankfurter Stadion am Brentanobad eine Regenerationseinheit statt. Anschließend bekamen Fans Fotos und Autogramme von Spielern und Trainern. Ein erster Schritt für Völlers Vorhaben.

Jeder kann auf den EM-Zug aufspringen, sagt Völler

Für Punkt zwei setzte der neue Sportdirektor am Montag ein öffentliches Zeichen. Bei der ersten Pressekonferenz dieser Länderspielperiode saß Völler nicht nur mit A-Bundestrainer Flick auf dem Podium, sondern auch mit U21-Coach Antonio Di Salvo. "Wir haben nicht nur die EM im nächsten Jahr mit Hansi Flick, sondern auch die kleine in diesem Jahr mit Toni Di Salvo", erklärte Völler diesen symbolischen Akt. Deutschland geht als Titelverteidiger in die U21-EM in Rumänien und Georgien. Einige der Neulinge in Flicks A-Kader werden dann wieder für die Junioren auflaufen.

Zur Heim-EM in einem Jahr sagte Völler: "Die wichtigste Message ist, dass du den Spielern das Gefühl gibst, dass jeder auf den Zug aufspringen kann. Dass jeder die Möglichkeit hat, bei diesem wunderbaren Turnier dabei zu sein." Völler bezeichnete den aktuellen Kader der Nationalelf, die verletzten und nicht-nominierten Stammkräfte sowie die U21-Auswahl als den Kreis der Spieler, aus denen das finale EM-Aufgebot entstehen wird. Auch deshalb wollte er die Teams näher zusammenbringen und organisierte ein gemeinsames Abendessen für den Dienstag.

Wird Völler zu José Mourinho?

Der wohl wichtigste der drei genannten Punkte ist für Völler der dritte. Die Unruhe rund um die "One Love"-Armbinde bei der WM schadete der Mannschaft, sind sich einige Spieler und der Trainer einig. "Wir haben vor unserem ersten Spiel fast nur noch über die Binde geredet", sagte Flick in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" und fügte an: "Das war einfach nicht gut und ich hoffe, dass wir aus dieser Situation lernen. Alle. Ich, aber auch die Politik und der Verband."

Flicks Wunsch erfüllen soll nun Völler, der im Interview mit der "Sport Bild" seinen Standpunkt klarmachte: "Diese Themen wird es bei der EM in der Form ja nicht geben, aber möglicherweise andere, die polarisieren. Mich da vor die Mannschaft zu stellen und den Prellbock zu spielen, ist kein Problem. Darum habe ich den Job auch angenommen." Seine erste Amtshandlung. Statt einer "Regenbogen"- oder "One Love"-Armbinde läuft der Vertreter von Kapitän Manuel Neuer, Joshua Kimmich, in den kommenden Spielen mit einer schwarz-rot-goldenen Armbinde auf. Dafür gab es Applaus von der AfD, den der DFB zurückwies.

"Tante Käthe", Völlers Spitzname, ist die Ein-Mann-Mauer rund um die Nationalelf. Alles, was Unruhe bringen könnte, soll er im Keim ersticken und wenn nötig sich selbst zur Zielscheibe machen. Ganz im Stile des Erfolgstrainers José Mourinho. Der Portugiese fährt öffentlich immer dann aus der Haut, wenn er mit der medialen Kritik an seiner Mannschaft nicht zufrieden ist. "The Special One", wie er sich selbst nannte, versucht, die Debatte auf sich zu lenken. Meist hat er damit Erfolg.

Zum Beispiel am 27. August 2018: Als Trainer von Manchester United verlor Mourinho gegen Tottenham Hotspur zu Hause mit 0:3. Der damals 55-Jährige verteidigte auf der Pressekonferenz die Leistung seiner Mannschaft, die Niederlage sah er als unverdient an. Weil die Nachfragen der Journalisten aber kritisch blieben, zeigte Mourinho drei seiner Finger und sagte: "Das Ergebnis ist 0:3. Aber wisst ihr, wofür die Drei auch steht? Sie steht für drei Meisterschaften, die ich in dieser Liga gewonnen habe. Mehr, als all die anderen 19 Trainer in der Liga zusammen. Ich habe drei, sie zwei. (Zeigen Sie) Respekt."

Bei anderen Gelegenheiten verurteilte er die "Fußball-Einsteins", die seine "Karriere zerstören" wollten, oder schoss gegen Schiedsrichter, die "Angst" hätten, Fouls an seinen Spielern zu pfeifen. Die Wirkung verfehlten diese Worte selten. Mourinho stand im Fokus, er bekam die Kritik ab. Seine Mannschaft wurde meist verschont.

Es muss alles perfekt laufen

Auch Völler ist zweifelsfrei in der Lage, den Fokus auf sich zu lenken. In seiner Zeit als DFB-Teamchef oder Manager von Bayer Leverkusen stellte er das mehrfach unter Beweis. Und wird es womöglich auch in den kommenden Wochen und Monaten in seiner neuen Rolle tun.

Denn der Erfolgsdruck auf die Mannschaft ist groß. In den kommenden 15 Monaten bis zur Heim-EM muss nahezu alles perfekt laufen, damit die deutsche Auswahl eine Titelchance hat. Es gibt keine Pflichtspiele mit Wettbewerbscharakter. Dazu wenig Möglichkeiten, eine EM-Euphorie zu erzeugen. Aber es gibt eine kleine Chance, das weiß auch Völler. Und die will er um jeden Preis nutzen. Ob sein Weg der richtige war, wird spätestens am 14. Juli 2024 zu sehen sein, wenn das Finale der Europameisterschaft stattfindet.