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Gerald Asamoah über Transfermarkt: Wenn Fußballer auf dem Amt landen


Überraschende Tiefschläge
Wenn Fußballer auf dem Amt landen

MeinungVon Gerald Asamoah

Aktualisiert am 31.08.2022Lesedauer: 4 Min.
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Cristiano Ronaldo: Der Fußball-Superstar ist unzufrieden bei Manchester United, findet jedoch einfach keinen neuen Klub. (Quelle: IMAGO/Paul Terry)

Das Transferfenster schließt, eine surreale Zeit endet. Trotz all der Millionensummen sollten wir jedoch nicht vergessen, um was es geht: Menschen.

Wenn der Sommer kommt und überall die Diskussionen, Gerüchte und Geschichten über Transfers zu hören sind, denke ich hin und wieder zurück ans Jahr 2011. Damals, vor mittlerweile elf Jahren, hatte ich keinen Verein mehr. Ich war arbeitslos. Meine Leihe bei St. Pauli war ausgelaufen, meinen Vertrag bei Schalke 04 hatte ich beendet. "Fußballprofi auf dem Amt", schrieb der "Tagesspiegel" über mich. Ich war 32 Jahre alt und wollte noch ein paar Saisons spielen. Doch plötzlich war da: nichts mehr. Wirklich kein gutes Gefühl.

Die Transferphase ist eine spannende, intensive und manchmal auch ein wenig surreale Zeit. Die Premier-League-Teams haben knapp zwei Wochen vor Ende des Transferfensters ihren Rekord gebrochen und 1,72 Milliarden Euro (Wahnsinn, oder?) für 107 Spieler ausgegeben. Überall ploppen Namen auf. Cristiano Ronaldo sei wohl zu haben, heißt es. Immer wieder wird irgendwo Verzug gemeldet.

Wir bei Schalke 04 haben genau wie im vergangenen Sommer ebenfalls wieder einiges getan am Kader. Und auch sonst wird auf jeder Pressekonferenz, in jedem Interview und Hintergrundgespräch darüber geredet: über Gerüchte und Budgets; wann jener Stürmer denn jetzt kommt und wann dieser Ladenhüter endlich abgegeben wird. Für Fans und Medien sind das immer unterhaltsame Monate.

Es ist aber auch eine Zeit der Anspannung. Für die sportlich Verantwortlichen, die an ihren Mannschaften arbeiten. Genauso für die Berater, die ihren Klienten Verträge und Vereine liefern müssen. Und für die Spieler selbst natürlich auch: Wenn es glattläuft, bekommst du den Vertrag, den du dir vorstellst, bei dem Verein, den du dir wünschst. Das ist der Idealfall. Aber es gibt natürlich auch die anderen Situationen, immer dann, wenn du die Dinge nicht in deiner Hand hast, wenn zum Beispiel dein Vertrag nicht verlängert wird, obwohl du gerne geblieben wärst. Oder eben, wenn du auf einmal gar keinen Verein mehr findest.

Als ich damals ohne Klub dastand, musste ich mich erstmal daran gewöhnen, dass mein Alltag nicht mehr der gleiche war. Ich war ehemaliger deutscher Nationalspieler, hatte Hunderte Bundesligaspiele in den Beinen und bis dahin mein gesamtes Leben nach dem Fußball ausgerichtet. Jetzt gab es keine Sommervorbereitung und keinen Trainingsplan mehr, keine Treffpunkte und Termine. Keine Kabine und keine Mitspieler.

Um mich fit zu halten, habe ich beim Fünftligisten VfL Marl-Hüls bei mir um die Ecke mittrainiert (wo Olaf Thon übrigens Trainer war). Mein Berater war währenddessen auf der Suche. Doch je länger das Telefon nicht klingelte, desto ungeduldiger wurde ich. Ich sah, wie die Wochen ins Land zogen, wie sich das Transferfenster schloss, und ich fragte mich: Macht mein Berater wirklich genug? Warum kommt kein Angebot? Ich hatte jetzt viel mehr Zeit für meine Kinder, das war natürlich schön. Und finanziell war nach langen Jahren Profi-Fußball auch alles in Ordnung, da musste ich mir keine Sorgen machen. Trotzdem berührte es mich. Ungewollt raus zu sein, ließ mich nicht kalt.

Ich wollte zurück auf den Platz.

Es ist ein komisches Gefühl, nur noch danebenzustehen. Ich war es nicht gewohnt, zuzuschauen und nicht helfen zu können. In dieser Phase habe ich mir viele Gedanken gemacht. Darüber, warum niemand anruft. Wie es weitergeht. Ob ich überhaupt noch gebraucht werde. Dinge, über die ich während meiner Karriere vorher nie wirklich nachdenken musste. Das war nicht immer schön – aber es war lehrreich. Denn diese Monate haben mir gezeigt, dass es nicht selbstverständlich ist, auf dem Rasen zu stehen, selbst wenn man gesund und fit ist. Ich habe gemerkt, wie schnell es gehen kann im Fußball. Am Ende war da eine gewisse Demut, die ich durch die Situation entwickelte.

Die andere Seite lernte ich kennen, als ich U23-Manager bei Schalke 04 wurde. Nun musste ich selbst erstmals im Sinne eines Vereins Management-Entscheidungen treffen, die auch bedeuten konnten: Wege enden hier. Wir reden bei einer U23 ja nicht über Bundesliga-Profis, sondern über Spieler in der Regionalliga, für die mitunter Profi-Träume zerplatzten, wenn ich ihnen sagen musste, dass der Vertrag bei Schalke nicht verlängert wird. Das waren oft Jungs, für die sich die Frage stellte, ob es überhaupt mit bezahltem Fußball weitergeht. Es hat mich sehr berührt, wenn eben diese Jungs mit Tränen in den Augen vor mir saßen und hofften, dass sie doch irgendwie bleiben können.

Das sind immer harte Gespräche, die aber nun mal dazugehören. Doch von 2011 und davon, wie es sich damals angefühlt hat, habe ich eines mitgenommen: Ich versuche, es so menschlich wie möglich zu halten. Dass das nicht immer einfach ist – geschenkt. Aber ich denke, das ist die Verantwortung von uns Managern, Sportdirektoren und Vorständen, dass wir diese Entscheidungen mit einer gewissen Empathie formulieren und sie nicht einfach als geschäftsmäßigen Vorgang auf der Tagesordnung verstehen.

Vize-Weltmeister Gerald Asamoah schreibt monatlich als Kolumnist für t-online über aktuelle und spannende Geschehnisse sowie gesellschaftliche Komponenten des Fußballs.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich will gar nicht rumjammern oder um Mitleid werben. Gerade bei Profis in den ersten Ligen ist viel Geld im Spiel, da gehört die Unsicherheit in der Transferphase ein Stück weit mit zum Berufsrisiko. Ich finde es aber zumindest nicht unwichtig, auch die Perspektive des Spielers – der letztlich auch als Profisportler ein Mensch bleibt – zu betrachten.

Im Januar 2012 endete übrigens meine Zwangspause vom Fußball. Greuther Fürth holte mich in der Winterpause ins Frankenland und am Ende stiegen wir sogar in die Bundesliga auf. Ein unvergessliches Erlebnis, ein Happy End. Doch die Monate davor werde ich nicht vergessen; das will ich auch gar nicht, denn nicht zu wissen, wie es weitergeht, die Gedanken, die ich mir damals gemacht habe – das alles hat mich geerdet und das behalte ich bis heute im Hinterkopf. Gerade auch, wenn es im hitzigen Transfersommer mal wieder heiß hergeht.

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