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Eiskunftläuferin Kamila Walijewa: Die Tragödie ist noch nicht vorbei


Die Geschichte von Kamila Walijewa
Ein Jahr nach Olympia ist die Tragödie noch nicht vorbei

Von Benjamin Zurmühl

Aktualisiert am 17.02.2023Lesedauer: 6 Min.
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Kamila Walijewa: Die Eiskunstläuferin stand schon mit 15 Jahren im Fokus der Öffentlichkeit.Vergrößern des Bildes
Kamila Walijewa: Die Eiskunstläuferin stand schon als 15-Jährige im Fokus der Öffentlichkeit. (Quelle: Sergei Bobylev via www.imago-images.de)

Die Geschichte der Eiskunstläuferin Kamila Walijewa sorgte während der Olympischen Spiele in Peking für Schlagzeilen. Bis heute ist noch keine Ruhe eingekehrt.

Kamila Walijewa wird sich an den 17. Februar 2022 gut erinnern können. An jenem Donnerstag stand die junge Russin im Pekinger Hallenstadion auf dem Eis, kurzzeitig saß sie auch, denn die erst 15 Jahre alte Russin stürzte mehrfach in ihrer Kür. Der immense Druck, der auf ihr lastete, war einfach zu viel. Die Goldfavoritin im Eiskunstlauf der Damen wurde Vierte und brach in Tränen aus.

Dass Walijewa überhaupt antrat, überraschte viele Zuschauer der Olympischen Spiele. Schließlich war wenige Tage zuvor der Befund eines Dopingtests vom 25. Dezember 2021 öffentlich geworden. Das Ergebnis: positiv. In Walijewas Blut wurde das Herzmedikament Trimetazidin festgestellt. Die verbotene Substanz steht auf der Dopingliste, weil sie die Leistung des Herzens verbessert und dessen Ermüdung hinauszögert.

Wenige Tage zuvor hatte Walijewa noch im Teamwettbewerb Gold gewonnen, die Siegerehrung wurde aufgrund des Befunds verschoben. Bis heute, ein Jahr danach, steht noch nicht fest, wer die Medaillen bekommt. Trotzdem ist Kamila Walijewa seitdem in ihrem Land zu einem Star geworden.

Damals war die junge Eiskunstläuferin für den Einzelwettbewerb suspendiert worden, was der internationale Sportgerichtshof Cas kurze Zeit später aufhob. Walijewa durfte starten – und tat es auch. Wohl auch auf Druck von Eteri Tutberidse, ihrer Trainerin. Tutberidse war es auch, die nach der tragischen Kür mit mehreren Stürzen scharf kritisiert wurde. Denn während die 15-jährige Walijewa neben ihr weinte, blieb die Trainerin zunächst eiskalt und wartete mit starrem Blick auf die Wertung.

"Das ist nicht zu ertragen"

Katarina Witt, ehemalige Eiskunstläuferin und an diesem Tag ARD-Expertin, konnte während der Live-Sendung ihre Tränen nicht zurückhalten: "Das ist nicht zu ertragen. Man guckt gar nicht mehr, wer Erste, Zweite oder Dritte ist. Sie ist Vierte, es ist wirklich egal. Es ist genau das eingetreten, wovor man sie hätte schützen müssen. Sie ist 15, sie ist noch ein Kind. Es tut mir leid. Du siehst sie da sitzen, wie sie zusammenbricht."

Witt hatte kein Verständnis für das Verhalten des Trainerteams um Tutberidse: "Irgendeine Mama hätte sie rausnehmen und in den Flieger (nach Hause, Anm. d. Red.) setzen müssen. Drei Monate weg. Weg von diesem ganzen Trubel, bevor dieser ganze Tsunami über sie einbrach. (...) Ich weiß nicht, ob wir dieses Talent, dieses 15-jährige Mädchen, jemals wiedersehen. Ich könnte verrückt werden. Das ist so verantwortungslos, was hier gemacht wurde."

Walijewa selbst konnte sich den positiven Dopingtest nicht erklären. Ihre Anwälte gaben an, sie sei mit dem Mittel über ein Glas in Kontakt gekommen. Walijewas Großvater nehme Trimetazidin und habe aus dem gleichen Gefäß getrunken wie sie. An der Geschichte kamen schnell Zweifel auf. Der deutsche Pharmakologe und Dopingexperte Fritz Sörgel sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Die Menge für eine positive Dopingprobe kann nicht durch Speichel an einem Glasrand in den Körper gelangen."

Dass die 15-Jährige aber wissentlich gedopt hatte, daran zweifelten die Experten auch. Viel mehr nahmen sie die russische Regierung ins Visier, denn dass Staatsdoping in Russland systematisch stattfindet, ist spätestens seit den Olympischen Spielen in Vancouver 2010 bekannt.

Wie ging es nach Olympia weiter?

Trotz der Vorwürfe wurde Walijewa bei ihrer Rückkehr aus Peking gefeiert. Am Flughafen warteten Fans mit Blumen auf die junge Eiskunstläuferin. In Russland wurde der positive Dopingtest von Teilen der Bevölkerung ohnehin als eine Art Verschwörung gesehen, um das große Talent zu diffamieren.

In den Wochen danach wurde es ruhiger um Walijewa. Das lag auch daran, dass nur wenige Tage nach dem Eiskunstlauf-Finale Russland die Ukraine angriff. Putins Krieg überschattete die Ereignisse aus Peking.

Ende März war sie erstmals wieder öffentlich zu sehen. In einer Veranstaltung des staatlichen TV-Senders "Perwy kanal", hierzulande bekannt als "Channel One", stand sie wieder auf dem Eis. Im WM-Stadion von Saransk wurde Walijewa von den Zuschauern gefeiert. Einzelne warfen am Ende der Kür Kuscheltiere in Richtung der jungen Sportlerin.

Eine Dopingsperre gab es zu dem Zeitpunkt noch immer nicht, aber weil russische Athleten aufgrund des Angriffskriegs bei internationalen Turnieren nicht starten durften, maß sich Walijewa nur mit ihren Landsleuten.

Eine Auszeichnung von Putin

In ihrer Heimat war die umstrittene Olympia-Vierte spätestens jetzt ein großer Star. Es entstand der Eindruck, nicht ihre Landsfrau Anna Schtscherbakowa habe in Peking Gold gewonnen, sondern Walijewa. So spannte auch Präsident Wladimir Putin die Eiskunstläuferin für seine politischen Zwecke ein und ehrte sie zu ihrem 16. Geburtstag am 26. April.

Putin übergab Walijewa einen Strauß Blumen und lobte sie für ihre Leistung bei den Olympischen Spielen. Sie habe den Sport zu einer Kunstform gemacht, sagte er bei der Veranstaltung. "Eine derartige Perfektion kann nicht auf unehrliche Weise mithilfe von Substanzen oder Manipulationen erreicht werden", behauptete der russische Präsident weiter.

Etwas über einen Monat später hob der Eiskunstlauf-Weltverband das Mindestalter für Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Spitzenniveau von 15 auf 17 Jahre an. Kamila Walijewa sollte das jedoch nicht betreffen. Zum einen, weil sie aufgrund der Sperre russischer Athleten weiter nicht an internationalen Wettbewerben teilnehmen durfte. Zum anderen, weil die Umsetzung der Entscheidung schrittweise erfolgt. Ab Sommer 2023 wird die Altersgrenze zunächst von 15 auf 16 Jahre angehoben. Dieses Alter muss eine Läuferin zu Saisonbeginn am 1. Juli erreicht haben. Zu Saisonbeginn 2024 tritt dann die Regel mit 17 Jahren in Kraft.

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Die Wada macht Druck, die Rusada reagiert

Bei nationalen Wettbewerben durfte Walijewa ohnehin weiter starten. Nebenher trat sie bei anderen Großveranstaltungen auf. Bei Charity-Events, Curling-Meisterschaften oder der Halbzeitshow bei einem Match von Eishockey-Legenden – Walijewa war überall zu sehen. Auch für den Puck-Drop, sozusagen dem Anpfiff eines Eishockey-Duells in der russischen Liga wurde sie eingesetzt.

Während ihre Popularität stetig wuchs, war ihre internationale Zukunft auf dem Eis noch immer unklar. Denn eine Entscheidung im Dopingfall Walijewa gab es nicht. Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada machte Druck, da die Rusada, die russische Doping-Agentur, die Ermittlungen auch neun Monate nach dem Befund nicht abgeschlossen hatte. "Obwohl Rusada formell aufgefordert wurde, den Fall Kamila Walijewa umgehend zu lösen, wurden keine Fortschritte erzielt", sagte Wada-Präsident Witold Banka im November. "Daher kann ich bestätigen, dass die Wada den Fall jetzt offiziell direkt an den Sportgerichtshof verwiesen hat."

Der Druck zeigte Wirkung, denn Anfang Januar fällte die Rusada eine Entscheidung: Walijewa wurde freigesprochen. Lediglich der russische Meistertitel von Ende 2021 wurde ihr aberkannt. Andreas Wagner, Präsident der Deutschen Eislauf-Union, kritisierte das Vorgehen: "Dass man ihr den nationalen Titel abgenommen hat, wirkt so, als habe die Rusada einen Brocken hingeworfen, um zu zeigen: Wir machen ja etwas."

Die Wada-Vertreter waren empört, sie hatten eine vierjährige Sperre gefordert. Der Freispruch löste Unverständnis aus.

Aus Russland gab es hingegen viel Zuspruch für die Entscheidung. Der Jurist Alexej Sergejew erklärte im Gespräch mit dem Fernsehsender "Moskau24": "Nach jener positiven Dopingprobe gab es einige weitere Proben, die alle negativ waren. Sowohl vor den Olympischen Spielen als auch während den Spielen, und auch vor und nach der Europameisterschaft 2022. Aber wie der Internationale Sportgerichtshof Cas nun entscheidet, wissen wir nicht."

Das Warten hat noch immer kein Ende

Die Begeisterung der russischen Sportfans für Waljiewa hält auch im Jahr 2023 an. In einer repräsentativen Umfrage des staatlichen russischen Meinungsforschungsinstituts "Wziom" wurde sie sogar zur Sportlerin des Jahres 2022 gewählt. Sie erhielt sieben Prozent der Stimmen und gewann damit vor Langlauf-Olympiasieger Alexander Bolschunow (fünf Prozent) und Eishockey-Superstar Alexander Owetschkin (vier Prozent). Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Anna Schtscherbakowa erhielt nur zwei Prozent der Stimmen.

Auch wenn dieser nationale Titel viel bedeutet, an einen Olympiasieg kommt er nicht heran. Bis heute ist nicht klar, wer den Teamwettbewerb im Eiskunstlauf bei den Spielen in Peking gewonnen hat. Bei einer Sperre Walijewas würde Russland wohl disqualifiziert werden. Das Warten auf die Entscheidung des Cas geht weiter.

Auch die Zweitplatzierten aus den USA, die noch immer eine Chance auf Gold haben. Madison Hubbell und Zachary Donohue, sagten im Gespräch mit CNN, dass sie eine "leere Medaillenschachtel in unserem Zimmer stehen haben." Nicht einmal Silber nahmen die beiden nach Hause. Sie seien enttäuscht gewesen, als sie am 8. Februar in letzter Minute darüber informiert wurden, dass die Medaillenvergabe aufgrund des Falls von Walijewa verschoben werden würde.

"Wir hatten uns wirklich darauf gefreut, diesen olympischen Moment gemeinsam zu erleben. Es war eine unglaublich schwierige Situation für alle Beteiligten, aber ich glaube nicht, dass es gegenüber den Athleten, die eine Medaille gewonnen haben, fair ist, dass sie auf diesen Moment verzichten mussten. Es war hart, mit leeren Händen nach Hause zu gehen", so Hubbell.

Bis wann der Cas die Entscheidung getroffen haben will, ist nicht bekannt. Kamila Walijewa wird das Ergebnis wohl kaum egal sein, ihren Fans hingegen schon. Für sie wäre die Russin selbst mit einer Dopingsperre und nachträglicher Disqualifikation ein Star.

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