t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeSportOlympia

"IOC sollte die Winterspiele wieder Richtung Europa vergeben"


Ex-Biathlon-Weltmeisterin fordert Umdenken
"IOC sollte die Winterspiele wieder Richtung Europa vergeben"

  • T-Online
Ein Interview von Alexander Kohne

Aktualisiert am 23.02.2018Lesedauer: 6 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Vor neun Jahren: Bei der Biathlon-WM in Pyeongchang gewann Simone Hauswald zwei Medaillen. Heute sagt sie darüber: "Das war wie eine Identitätsfindung."Vergrößern des Bildes
Vor neun Jahren: Bei der Biathlon-WM in Pyeongchang gewann Simone Hauswald zwei Medaillen. Heute sagt sie darüber: "Das war wie eine Identitätsfindung." (Quelle: Bild13/imago-images-bilder)

Für die ehemalige Biathletin Simone Hauswald sind die Spiele in Pyeongchang etwas ganz Besonderes – nicht nur, weil ihre Mutter aus Südkorea stammt. Dennoch ist sie mit einigen Entwicklungen im olympischen Sport überhaupt nicht einverstanden.

2009 gewann Simone Hauswald (geb. Denkinger) bei der Biathlon-Weltmeisterschaft auf der Olympia-Anlage in Pyeongchang zwei Medaillen. Nicht nur deshalb hat sie einen speziellen Bezug zu den Olympischen Spielen dort, die am Sonntag mit der großen Abschlusszeremonie (ab 12.00 Uhr im Live-Ticker von t-online.de) enden.

Im Interview mit t-online.de zieht die 38-Jährige Bilanz und richtet klare Forderungen ans Internationale Olympische Komitee (IOC).

t-online.de: Frau Hauswald, Sie haben 2010 in Vancouver die letzte deutsche Medaille in der Frauenstaffel gewonnen. Für Ihre Nachfolgerinnen wurde es – nach Rang elf in Sotschi – in Pyeongchang nur der achte Platz. Wie haben Sie das Rennen gesehen?

Simone Hauswald: Das war dramatisch. Gerade am Anfang, als Franziska Preuß sich mit einem Nachlader, den sie gar nicht gebraucht hätte, selbst verunsichert hat. Dazu kamen die schwierigen Bedingungen mit den starken Böen, die es besonders am Schießstand schwer gemacht haben. Mit der Strafrunde von Preuß kommt man in Zugzwang, dann müssen auch Denise Hermann und Franziska Hildebrand in die Strafrunde und am Ende konnte Laura Dahlmeier das nicht mehr aufholen. Insgesamt ein bitterer Tag, wenn man haushoher Favorit ist und am Ende Platz acht rauskommt. Hoffentlich haken die Mädels das so schnell wie möglich ab, lernen aus den Fehlern und legen den Fokus auf die nächsten Aufgaben.

Teilweise glich das Rennen einer Windlotterie. Nur zwei der 18 Teams sind ohne Strafrunde durchgekommen. Denise Herrmann sagte später: „Ich will nicht alles auf den Wind schieben, aber so macht es keinen Spaß.“ War es richtig, das Rennen bei den Bedingungen zu starten?

Das kann ich aus der Distanz schwer beurteilen. Das Einzelrennen der Frauen wurde beispielsweise verschoben – da war der Wind wahrscheinlich noch schlimmer. Wenn die Jury entscheidet zu starten, muss man sich auf die Bedingungen einstellen. Meine Devise war da immer: Lass‘ die anderen sich aufregen und leg‘ den Fokus voll auf das Rennen. Das hat oft gut geklappt.

Wie beispielsweise 2009, als Sie auf der Anlage von Pyeongchang zwei WM-Medaillen gewonnen haben. War es da ebenfalls so windig – auch im Vergleich zu anderen Rennen wie beispielsweise im sibirischen Chanty-Mansijsk?

Als ich damals im Sprint Silber gewonnen habe, war es auch sehr windig – und ich habe trotzdem null Fehler geschossen. In der Verfolgung waren die Bedingungen ähnlich, doch ich habe siebenmal vorbei geschossen. In Antholz oder Pokljuka habe ich aber schon viel schlimmere Bedingungen erlebt. Da sind die Matten am Schießstand durch die Gegend geflogen und man hätte viel eher abbrechen müssen. Im Vergleich dazu waren das am Donnerstag fast milde äußere Bedingungen. (lacht)

Franziska Preuß wirkte nach ihrem Patronen-Fauxpas und dem missglückten Stehendschießen untröstlich. Sie arbeiten als Mentaltrainerin – und mussten als Aktive ebenfalls einige herbe Rückschläge hinnehmen. Was würden Sie der 23-jährigen Preuß jetzt raten?

Das was war, kann man nicht mehr ändern. Eine kurze Analyse gehört natürlich dazu, aber danach sollte man es so schnell wie möglich abhaken, damit keine schlechten Erinnerungen im Inneren bleiben. Wenn einen solche Erlebnisse nicht loslassen, kommen in ähnlichen Situation Ängste hoch. Deshalb ist es für das ganze Team wichtig, das Ergebnis so hinzunehmen und den Blick auf das Wesentliche zu richten.

Ihre Mutter ist Südkoreanerin, Ihr Vater Deutscher. Sie sind auf der Schwäbischen Alb aufgewachsen und wohnen jetzt im Schwarzwald. Welche Beziehung haben Sie zu Südkorea?

Die äußere Entfernung von Deutschland nach Südkorea ist größer, als die Entfernung in meinem Inneren. Die südkoreanischen Wurzeln sind ein Teil von mir – das habe ich besonders 2009 bei der WM in Pyeongchang erlebt. Das war wie eine Identitätsfindung. Nach dem Gewinn der Medaillen habe ich gemerkt: Wenn Du alles, was in Dir drin ist, auch zulässt, hast Du viel mehr Potenzial und Energie. Das hat mich beflügelt – zuerst vor Ort und auch ein Jahr später bei den Spielen in Vancouver. Ich genieße es auch heute sehr, wenn wir nach Korea in den Urlaub fliegen oder meine Onkel und Tanten nach Deutschland kommen. Leider beherrsche ich die Sprache nicht so gut, weshalb meine Mutter dolmetschen muss. Aber trotzdem versuche ich, den Kontakt zu halten.

Ist es für Sie etwas Besonderes, dass die Spiele gerade dort stattfinden?

Ja, vor allem die Eröffnungsfeier war bewegend. Da habe ich gemerkt, dass es besondere Spiele sind, auch wenn ich nicht als Athletin dabei bin. Es hat sich etwas in mir geregt, mein Herz ist sehr berührt gewesen – ein total schönes Gefühl. Natürlich schaue ich viele Wettbewerbe und bei den Siegerehrungen vergieße ich die eine oder andere Träne, weil ich mich einfach mitfreue. Wenn Du weißt, wie es sich anfühlt, Dir einen Kindheitstraum zu erfüllen, fühlt man da mit.

Die Zuschauerränge im Biathlon-Stadion sind meistens leer. Einige Athleten beschweren sich über die Stimmung in Südkorea. Skifahrer Josef Ferstl sagte: "Das ist einfach nur enttäuschend. Man muss wirklich hinterfragen, ob man die Spiele künftig wieder an solche Länder vergibt, die einfach keine Wintersporttradition haben.“ Hat er Recht damit?

Das sehe ich genauso. Es ist schade, wenn Athleten vor leeren Zuschauerrängen starten – das fühlt sich eben nicht so an wie Olympia. Natürlich hat Südkorea nicht so eine Wintersporttradition wie Deutschland oder die skandinavischen Länder. Aber es liegt natürlich auch an den späten Startzeiten: Viele Südkoreaner wollen sich nicht die Nächte um die Ohren schlagen, wenn die Wettkämpfe erst kurz vor Mitternacht enden. Deshalb plädiere ich dafür, dass das IOC schauen sollte, dass die Winterspiele wieder mehr Richtung Europa kommen, in Länder mit Wintersporttradition. Oder auch in Orte, in denen sie schon einmal ausgetragen wurden, um eine Wiedernutzung der Sportstätten zu gewährleisten. Es muss ein Umdenken stattfinden, damit der olympische Sport wieder die Werte verkörpert, die ihn ausmachen.

Loading...
Loading...
Loading...

Es gab das politische Signal eines gesamtkoreanischen Eishockeyteams, begeisterte Fans bei der Eröffnungsfeier, aber auch einige Dopingfälle, Diskussionen über die fortschreitende Kommerzialisierung und Negativ-Schlagzeilen um die Abholzung Tausender Bäume für die Skistrecken. Wie sieht Ihre Bilanz der Spiele aus? Waren sie ein Erfolg?

Das ist rückblickend immer schwierig: Welche Olympische Spiele waren denn unbestritten ein riesiger Erfolg? Es gibt meistens ein Für und Wider. Letztendlich muss man schauen, in welchem Verhältnis das Ganze steht. Meines Erachtens nehmen Olympische Spiele mittlerweile Dimensionen an, die unverhältnismäßig sind. Das ist schade. Die Frage ist doch: Steht der Sport wirklich noch im Vordergrund – oder ist Olympia nur noch ein Politikum? Manchmal ist weniger mehr. Aber dieses Bewusstsein kann nur im Ganzen stattfinden. Wenn Geld und Macht im Spiel sind, verliert der Mensch oft den Blick für das Wesentliche.

Heute leben Sie mit Ihren Zwillingen und Ihrem Mann in Schönwald im Schwarzwald und arbeiten – wie gesagt – unter anderem als Mentaltrainerin. Wie sind Sie dazu gekommen?

Ich habe mich bereits in meiner aktiven Zeit mit diesen Themen beschäftigt. Über das Leben zu reflektieren, war mir schon immer wichtig. Ab 2002 habe ich autodidaktisch versucht, mit mentalen Techniken zu arbeiten, was – mehr oder weniger – gut funktioniert hat (lacht). 2008 habe ich mich dann bei einem Kurs angemeldet und bin mit den dort erlernten Techniken gut gefahren. Das war ein Mosaikstein für die letzten beiden Jahre als Biathletin, die meine erfolgreichsten waren. Danach habe ich eine professionelle Ausbildung gemacht. Viele Leute sind der Meinung, dass Mentaltraining nur etwas für Sportler sei. Aber mein Motto ist, dass Mentaltraining nicht nur im Sport, sondern auch im Alltag hilft, weil man durch entsprechende Techniken viel verändern kann: Wie ist meine Einstellung zu leben? Wie denke ich über mich, wie denke ich über andere? Wie kommuniziere ich mit mir selbst, wie mit anderen? Wie kann ich mein persönliches Potenzial ausschöpfen? Wo stecken meine Fähigkeiten? Wie gehe ich mit Zielen um? Habe ich diese überhaupt? Mir geht es in meiner Arbeit immer um den einzelnen Menschen – egal ob Sportler, Führungskraft oder Hausfrau. Letztendlich hat jeder seinen persönlichen Weg zu gehen und es hilft oft, eine Begleitung zu haben und Perspektiven aufgezeigt zu bekommen, die man aus dem eigenen Blickwinkel möglicherweise nicht gesehen hätte.

Zieht es Sie irgendwann zurück zum Biathlon – beispielsweise als Mentaltrainerin des deutschen Teams?

Puh, da sehe ich mich eigentlich nicht (lacht). Ich möchte nicht nur im Sport zu Hause sein, sondern auch andere Menschen begleiten. Und der Biathlon-Zirkus geht das ganz Jahr, was mit meinen sechs Jahre alten Zwillingen schwierig wäre. Von daher könnte ich mir das im Moment nicht vorstellen.

Verwendete Quellen
  • Website von Simone Hauswald
  • Portrait auf "Biathlon-news.de"
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website